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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

äußere Dichterlohn den Reichthümern, die der Autor des „Monte-Christo“ sich zusammenschrieb und dann verschwendete!

Durch den Tod seiner Frau vereinsamt, schien Brachvogel der poetischen Production in letzter Zeit mehr zu entsagen: er schrieb in allzu prunkhaftem Romanstil mit byzantinischen Schnörkeln eine Sammlung von Biographien der neuesten Helden des deutschen Reiches; er begann eine Geschichte des Berliner Hoftheaters, und so unermüdlich thätig, starb er, mit der Feder in der Hand, eines Abends plötzlich in seinem Studirzimmer, ein treuer Arbeiter in dem erwählten Beruf.

Der Dichter des „Narciß“ wird der deutschen Nation unvergessen bleiben; er war eine liebenswürdige Natur, ein redlich strebender Schriftsteller, der, dem inneren Treiben, dem Schwung und der Phantasie seines schlesischen Naturells folgend, rastlos schuf, dem es stets auf die Leistung ankam und der nie nach flüchtigem Tagesruhm strebte.



Ein Ferienabenteuer in Amerika.
Dem Leben nacherzählt von Wilhelm Braunau.
(Schluß.)


Wir folgten kopfschüttelnd dem Manne, und nach einer Viertelstunde, da wir uns über Steine und durch Gestrüpp hindurchgearbeitet hatten, standen wir am Ufer des Susquehanna. Zur Linken befand sich die Bahn, welche auf der Strecke zwischen Susquehanna und Deposit die Wasserscheide der beiden Flüsse Susquehanna und Delaware durchbricht und deshalb mehrfach in Durchstichen hinführt. Der von Norden her kommende Susquehanna kreuzte unmittelbar vor einem solchen Durchstich die Bahn, umging in einem Bogen von etlichen hundert Schritten eine durch den Bahndurchstich von dem übrigen Berge losgetrennte Felspartie und berührte dann wieder auf eine Weile die Bahn, sodaß dieses auf der einen Seite von der Bahn und im übrigen von dem Flusse eingeschlossene Bergstück einer Insel glich. Auf dieses Stück Berg, Plymet genannt, hatte es der Agent abgesehen. Die Seite nach der Bahn zu war fast senkrecht abgeschnitten; oben, etwa dreißig Fuß über den Schienen, hielten in die Felswand eingelassene Eisenbügel die zahlreichen Telegraphendrähte; die von dem Fluß umspülte Seite war gleichfalls ringsum steil und unzugänglich, eine kleine, natürliche Felsenfestung.

Mr. Carpe betrachtete aufmerksam die Felsenburg; ein selbstzufriedenes Nicken des Kopfes deutete an, daß er gefunden, was er suche. Wir sollten auch nicht lange in Zweifel bleiben. Er kauerte sich zur Erde, löste die Reitstege von den Beinkleidern, steckte den Revolver in die Außentasche seines Rockes und knöpfte diesen, um durch nichts behindert zu werden, bis oben zu. Es war, als ob jedes Glied an dem Manne Leben bekommen habe; seine ganze Gestalt war Bewegung geworden – gleichwohl lag auf seinem Antlitz eine wirklich imponirende Ruhe.

William nickte mir bedeutungsvoll zu: „Jetzt geht’s los,“ und er hatte Recht.

Wir hatten uns in ein dichtes Gebüsch gekauert, ungesehen von allen Seiten, ich und William noch immer im Unklaren, was unser Führer beabsichtigte. Jetzt beugte er sich zu uns und sagte, auf den Plymet deutend, mit gedämpfter Stimme, sodaß das Rauschen des Flusses dieselbe fast übertönte:

„Da droben steckt er, meine Herren, den wir suchen, wie ich nach allen Andeutungen schließen muß. Und wir müssen ihn in seinem Neste aufsuchen.“

„Aber,“ wandte William ein, „ich verstehe noch gar nicht –“

„Ich weiß,“ nickte Mr. Carpe. „Der Bursche hat an der Wand vorn, wo die Telegraphendrähte vorüberlaufen, den, auf welchem Sie correspondiren, durchschnitten, fängt dort mit einem telegraphischen Apparat, den er sich vermuthlich in Narrowsburgh bei seinem früheren Principal gekauft hat, die Depeschen auf, ehe er sie weiter giebt, und hat auf diese Weise auch die erlogenen Depeschen an Ihre Filialen abgeschickt. Ein Helfershelfer, den er genau instruirt, hat das Geld abgeholt, und etwaige Bedenken hat er an Stelle Ihres Vaters durch seine telegraphischen Antworten zu beseitigen gewußt.“

Ich guckte überrascht an den steilen Wänden in die Höhe. „Aber wer mag da hinauf kommen?“

Wir hatten den Fels umgangen; an der Seite der Bahn war er glatt und steil; vom Flusse her erschien er gleichfalls nicht zu erklimmen.

„Hm!“ sagte William, als wir mit der Recognoscirung fertig waren, „da kann ja kein Mensch hinauf; das Ding ist ja unbesteiglich.“

„Um so sicherer ist er oben,“ meinte Mr. Carpe ohne weitere Erklärung. –

Wir machten endlich einer Stelle gegenüber Halt, welche die einzige, allerdings zweifelhafte Möglichkeit einer Ersteigung bot, da sonst die Wände glatt und schroff in die Höhe stiegen. Es war ein schmaler, flacher Riß, der sich in zweifacher Mannshöhe über dem Fluß etwas verbreiterte und von da aus ein leichteres Erklimmen ermöglichte.

„Da müssen wir hinauf,“ meinte der Agent, mit dem Finger auf die Spalte deutend, „sonst giebt es keinen Weg.“

„Wenn aber der Bursche oben ist und uns überrumpelt?“ meinte William.

„Das wird er bleiben lassen,“ versetzte Mr. Carpe; „das hieße sich selbst verrathen, und dann könnten wir einfach das Ding von einigen Dutzend Leuten umstellen lassen und ihn aushungern. Hinauf läßt er uns – das bezweifle ich nicht; freilich gilt es dann, ihn auch geschickt zu fassen. Denn wenn wir oben in eine Falle gerathen, entkommt keiner von uns, das ist ebenso sicher.“

„Schöne Aussicht!“ dachte ich. „Mitten in Amerika, auf einem unzugänglichen Felsen, von einem Strolche niedergeschossen zu werden und sich von Sonne, Mond und Sternen bescheinen lassen zu müssen, ohne daß sie daheim auch nur ahnen, wo man eigentlich geblieben!“

Allein zu Reflexionen war hier keine Zeit; ich wäre auch um keinen Preis der Welt zurückgeblieben.

Der über Felstrümmer hüpfende Fluß war bald durchwatet, und wir standen, bis über die Kniee im Wasser, vor der bezeichneten Spalte. Der Agent, als der Leichteste, wurde vorn weg geschoben; ihm folgte, von mir mit Händen und Schultern unterstützt, William, und zuletzt kletterte ich mühsam und schwerfällig nach, hier erst einsehend, wie gut es gewesen, daß ich als Knabe in meiner bergigen Heimath bei der mit eigensinniger Beharrlichkeit wiederholten Besteigung gerade der steilsten Felsen manches Paar Hosen zerrissen. Mehrmals kam mir der nicht kraftlose, aber ungeübte William, dem bald die Finger zu bluten begannen, so nahe auf den Hals gerutscht, daß ich nicht anders glaubte, als jetzt ginge es wieder hinab in die kühlen Fluthen des Susquehanna, der, da ich noch Indianergeschichten las, stets etwas sehr Anziehendes für mich gehabt. Endlich hatte der katzenartig gewandte Agent das Plateau erreicht und streckte eben den Kopf über den Rand des Felsens, als er ihn auch blitzschnell wieder zurückzog. Im nächsten Augenblick hatte er den Revolver aus der Tasche gezogen und hielt denselben vorsichtig lugend empor. Es war eine hübsche Situation. Ich klebte im oberen Rande des engsten Theiles der Felsenspalte, unfähig, die Hand nach meiner Waffe auszustrecken; in dem breiteren Theile suchte eben William ein wenig zu verschnaufen, und oben hing, jeden Augenblick in Gefahr, herabgeschleudert zu werden, der Detective. Einige bange Minuten vergingen – es blieb Alles ruhig. Da hob der Agent seine Mütze mit dem Lauf seines Revolvers über den Rand des Felsens; nichts regte sich; er schob vorsichtig den Kopf nach; dann hob er den Leib und die Füße – jetzt lag er oben. William, dem jener einen mitgenommenen Zügel zuwarf, half sich gleichfalls hinauf, und nach einigen Minuten standen wir alle drei tiefaufathmend hinter einem Felsblock.

„Ich habe ihn gesehen,“ flüsterte Mr. Carpe, „drüben nach der anderen Seite zu. Er wandte sich gerade um, doch scheint es, er hat mich nicht bemerkt.“

Es war auf dem zerklüfteten, felsigen, von einzelnen Bäumen bewachsenen Boden schlecht vorwärts zu kommen, und einige Revolverschüsse hätten, wenn wir gerade in einer Schlucht weiter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_132.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)