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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Das nächste in Berlin zur Aufführung gekommene Stück Brachvogel’s, „Adalbert von Babenberg“ (1858), war ein Ritterschauspiel, wenigstens nach dem Eindruck, den es auf der Bühne machte. Es sollte die Tragödie der deutschen Treue sein. Der Held ist ein wenig politischer, aber vertrauensfester Deutscher, welcher ein Opfer der gegen ihn angezettelten Intriguen wird; doch diese Vertrauensseligkeit giebt ihm einen schwächlichen Zug; sein Untergang ist mehr traurig als tragisch. In „Mons de Caus“ (1859) that Brachvogel einen glücklicheren Griff, was die Wahl des Helden betrifft: der Erfinder der Dampfmaschine, der in’s Irrenhaus gesperrt wird, ist ein tragischer Held, in dessen Schicksal das Geschick der großen Entdecker und Erfinder und vieler anderer schöpferischer Geister sich spiegelt, doch hier zeigte Brachvogel ein so geringes Talent dramatischer Architektonik, daß er schon am Schlusse des zweiten Actes seinen Helden nach Bicêtre bringen läßt, was nach allen dramatischen Regeln erst am Schlusse des vierten Actes geschehen konnte. So gewann der Dichter Platz für eine zweite, eingeschachtelte Tragödie, deren Held der Marquis von Cinq-Mars ist, und das Interesse war unrettbar zersplittert; ein Charakter des Stückes indeß, der Spion Bradamonte, beweist das frische, schöpferische Talent des Dichters. Mit dem Schauspiel „Der Usurpator“, dessen Held, Cromwell, durchaus nicht im historisch großen Stil behandelt ist, nahm Brachvogel zunächst Abschied von der Bühne, da keines der nachgeborenen dramatischen Geschwister des „Narciß“ sich auf ihr zu behaupten vermochte; er wandte sich dem Roman zu, nicht ohne hin und wieder zu seiner alten Liebe zurückzukehren. So hatte er mit dem „Fräulein von Montpensier“ (1865) wieder einen größeren Bühnenerfolg. Das Stück hat die nervöse dramatische Unruhe, die flackernde Beleuchtung, die den Brachvogel’schen Productionen eigen ist, aber es hat wieder einige glänzende dramatische Scenen, markig ausgeführt und mit echtem Theaterinstinct geschaffen. Weniger gilt dies von den späteren Dramatisirungen einzelner Romanstoffe: „Die Harfenschule“ (1869) und „Hogarth“ (1870). In dem Schauspiel „Alte Schweden“ (1874) herrscht ein kräftiger Haudegenstil und altbrandenburgischer Patriotismus; es fand in Berlin gute Aufnahme, doch der Inhalt desselben war zu anekdotisch und zu unbedeutend.

Die Ungleichheit der errungenen Erfolge stimmte den Dichter selbst skeptisch in Bezug auf alles , was das Drama betrifft; er erklärte in seinen theatralischen Studien, es habe jede Kunst eine meist vollständig abgeschlossene Wissenschaft, welche ihr allein eigen sei, zur Grundlage; die Poesie allein, zumal die dramatische Poesie, entbehre derselben. Das ist nicht der Fall; es giebt Grundzüge dramatischer Architektonik, von denen auch ein bedeutendes Talent nur zu eigenem Schaden abweicht; dies war auch bei Brachvogel der Fall: der Mangel an künstlerischem Formgefühl, der sich auch in seinen „Gedichten“ in einer oft geradezu befremdenden Weise ausspricht, der Mangel an feinem Geschmack, an Sinn für künstlerische Gliederung war besonders im Drama seinem Talente hinderlich, das, von seltenstem Phantasiereichthum und von lebendigster theatralischer Anschauung, es im Grunde doch nur zu einem einzigen glücklichen Wurf und glänzenden Erfolg gebracht hat.

Weit freier konnte sich Brachvogel auf dem Gebiete des Romans bewegen, hier hörten die einschränkenden Hindernisse der knappen Technik des Dramas, hier die strengeren, von Brachvogel freilich in Abrede gestellten Ansprüche der grundlegenden Aesthetik auf. Hierzu kamen noch äußerliche Rücksichten: ein einziger Erfolg eines Dramatikers gewährt ihm keine Lebensstellung; spätere halbe Erfolge nöthigen ihn zu einem schweren Kampfe um seine Existenz. Brachvogel, der eine Zeitlang das Journal des Johanniterordens redigirt, doch im Jahre 1863 aus Meinungsverschiedenheiten die Redaction niedergelegt hatte, mußte sich jetzt als Schriftsteller allein durchschlagen; er vertauschte den Aufenthalt in Berlin auf längere Zeit mit demjenigen in kleineren Städten, wie Weißenfels und Görlitz. Der Roman eines namhaften Autors findet immer seinen Verleger und sein Publicum – und Brachvogel entwickelte auf dem Gebiete des Romans eine erstaunliche Fruchtbarkeit; er hat mehr als sechszehn drei- bis vierbändige Romane geschrieben, von denen einige bei der Leserwelt entschiedenes Glück machten. Allen gemeinsam ist ein großer Reichthum der Phantasie und eine Lebendigkeit der Schilderung, die nur hin und wieder, bei Ortsschilderungen, in’s äußerlich Topographische verläuft, das der Phantasie kein klares Bild giebt; aus diesem Reichthume geht die in Romanen beliebte Romantik der Situationen hervor, in denen Brachvogel bisweilen mit Glück auf den dramatischen Effect hinarbeitet; es ist Mark und Leben in vielen derselben und die Neigung zu philosophischer Weltbetrachtung, die ihm eigen ist, versetzt die Leser immer in eine Sphäre, die über den Bereich der gewöhnlichen Leihbibliothekenlectüre sich erhebt.

Freilich waren, abgesehen von einigen glänzenden Aperçus, seine philosophischen Ergüsse meist Ausflüsse einer unklaren Skepsis, wie denn auch den meisten seiner Romane eine feste, kunstgerecht sich aufgipfelnde Gliederung fehlt und ihre Architektonik viele blinde Fenster aufweist. Geniale, im Leben durch eigenes Verschulden scheiternde Künstlernaturen, die an den „Narciß“ anklingen, behandelte er mit Vorliebe: so den Musiker „Friedemann Bach“, den ältesten Sohn des Sebastian Bach, in einem Romane, der vielleicht sein bester geblieben ist, da er historische und kunsthistorische Portraits in Fülle enthält und eine phantastisch ausstaffirte Zigeunerromantik; hierher gehört auch das Bild des unglücklichen Dichters Schubart, des Gefangenen vom Hohenasperg, welches er uns in dem Romane „Schubart und seine Zeitgenossen“ entwirft; auch hier ist es ein unglückliches haltloses Genie, dessen selbstverschuldetes Mißgeschick uns vorgeführt wird.

Auf dem Gebiete des historischen Romans hat sich Brachvogel mehrmals zur Abart des biographischen verirrt, der uns gleichsam nur eine phantastisch aufgeputzte Lebensgeschichte giebt. Das gilt besonders von dem Romane „Ludwig der Vierzehnte oder die Komödie des Lebens“, in welchem das Leben des großen Königs von der Jugend bis zum höchsten Alter geschildert wird und fast alle Geliebten desselben der Reihe nach eine Rolle spielen, die Hauptrolle freilich jene Anna Stuart, deren Herz er nie gewonnen hat.

In dem Roman „Die Grafen Barfuß“ werden wir in Verhältnisse eingeführt, die sich unter den brandenburgisch-preußischen Regierungen abspielen; die Tragödie des Familienhasses hat hier zum Hintergrund die Geschichtschronik Preußens vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich dem Großen; in ähnlicher Weise werden wir in dem Roman „Glancarty“ durch eine ganze Periode der englischen Geschichte hindurchgeführt, die von der Regierung des zweiten Karl Stuart bis zur Thronbesteigung der Königin Anna nach dem Tode Wilhelm’s von Oranien reicht: eine ganze Bildergallerie historischer Berühmtheiten, Marlborough, Shaftesbury, der Herzog von Monmouth, Algernon Sidney, Essex, Newton, wird vor uns hingestellt, während der eigentliche Faden der Handlung durch die Intriguen des Herzogs von Sunderland gebildet wird; selbst in dem Roman „Hamlet“, in welchem die Parallele zwischen Hamlet und Lord Essex in einzelnen Situationen phantasievoll beleuchtet ist und auch geschichtliche Modelle für die anderen Shakespeare’schen Helden gesucht und gefunden werden, verläuft die Darstellung oft in eine Geschichtschronik des Zeitalters der „Elisabeth“; ja der Held des Romans, „der deutsche Michael“, ist fast an allen Hauptereignissen der deutschen Reformationszeit mit betheiligt.

Der Dichter hielt seinen Reichthum nicht genug zu Rathe; die Menge der Ereignisse und Persönlichkeiten läßt zuletzt viele dieser Romane mehr als romanhaft illustrirte Geschichtschroniken erscheinen, und das intime Interesse, welches die künstlerische Beschränkung auf einzelne hervorragende Persönlichkeiten vertheilt, geht darüber verloren. Gleichwohl enthalten alle diese Werke manche ergreifende Situationen und glänzende Schilderungen; einige derselben, wie „Beaumarchais“, in welchem nur die Vorliebe für das Crasse hier und dort bis zum Widrigen geht, haben mehr inneren Zusammenhalt. Besonders gilt dies von dem „Fliegenden Holländer“, der den holländischen Befreiungskrieg zum Hintergrund hat, in welchem aber die Mischung des Historischen und Freierfundenen eine glückliche ist und eine glänzende Erfindung und schwunghafte Darstellung selbst das phantastisch Grelle annehmbar macht.

Was auch die ästhetische Kritik an diesen allzu stoffreichen Romanen, deren Stil überdies ungleich ist und nicht das Gepräge eines geläuterten Geschmackes trägt, aussetzen mag: auf den Ruhm eines deutschen Alexander Dumas des Aelteren darf Brachvogel mit Recht Anspruch machen, was reiche Erfindung und effectvolle Darstellung betrifft; doch wie wenig entsprach der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_131.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)