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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

lang, so ist’s kein Wunder, wenn man ihn schließlich findet. Aber wahrhaftig, Mann, hätte ich Dein Fahrwasser nicht vor elf Jahren gekreuzt, sollt’s Erkennen mir schwer genug geworden sein. Achtzehn Jahre und drüber wären dann seit unserem letzten Zusammensein verstrichen; ’ne verdammt lange Zeit, selbst für gute Freunde.“

„Sind die hundert Thaler Dir nicht eingehändigt worden?“ fragte Seiling noch immer fassungslos.

„Gewiß habe ich die eingestrichen,“ lachte der Fremde, „und ich hätte ein verhenkert zähes Leben haben müssen, um damit elf Jahre auszukommen. Nebenbei, Mann: sieben Jahre hatte ich Dich gesucht, die ganzen Vereinigten Staaten nach Dir abgekreuzt, und als ich endlich auf den Gedanken gerieth, Du könntest in Deine Vaterstadt vor Anker gegangen sein, und Dich nach langem Spüren wirklich in Bremen entdeckte, da begingst Du den erbärmlichsten Schurkenstreich, indem Du unter Hinterlassung von lumpigen hundert Thalern Dich bei Nacht und Nebel davon machtest. Noch niederträchtiger aber war’s, daß Du zu Schiffe gingst und falsche Fährten zurückließest, die mich wieder nach Amerika führten. Volle elf Jahre habe ich darauf wieder nach Dir ausgelugt, und wäre ich nicht am Bord eines Ostindienfahrers mit ’nem Burschen aus dieser Gegend zusammengetroffen, der von einem wunderlichen alten Mann, Namens Peter Seiling, zu erzählen wußte, so möchte ich heute noch ohne Nachrichten von Dir sein.“ Er lachte höhnisch und fügte hinzu: „Als pfiffiger Bruder galtst Du immer, und ’n ehrliches Trick wars eben nie, welches Du mir spieltest. Anstatt nach Amerika zu segeln, legtest Du auf dieser Insel bei und hast hier gelebt wie ’n pensionirter Schiffsrheder, während ich selber mich wie ’n Hund durch die Welt schlug.“

Seiling erhob sich. Sein Muth schien zurückgekehrt zu sein, aber ein Muth der Verzweiflung; denn unsicher klang seine Stimme, indem er antwortete:

„Daß ich Dir in Bremen aus dem Wege ging, bevor das Kind Dich sah, war in der Ordnung, und ich dächte, durch die hundert Thaler hätte ich mir wohl Ansprüche auf Deine Dankbarkeit erworben. Darüber will ich indessen mit Dir nicht rechten. Du bist da, und, wie ich sehe, nicht in den besten Verhältnissen. Ich verdenke Dir’s nicht, daß Du in Deiner Noth Dich an mich wendest, und Du sollst nicht vergeblich gekommen sein. Ich besitze hier ein Haus, kann mich also nicht frei bewegen, wie einst in Bremen. Du bist es daher, der weichen muß. Und so will ich Dir dreihundert Thaler als Reisegeld mit auf den Weg geben, wenn Du dafür versprichst, mich als einen Todten zu betrachten und Dich fernerhin nicht mehr um mich zu kümmern.“

„Zum Teufel, Maat, sollte man nicht glauben, Du habest ’ne hohe Schule seit unserem letzten Beisammensein besucht – so vornehm sprichst Du,“ höhnte der Strolch, „und dreihundert Thaler meinst Du? Bei Gott, Mann, für einen Lump allerdings ein hohes Gebot, aber nicht für Jemand, der ein Recht hat, ebenso sorglos zu leben, wie Du. Was sind dreihundert Thaler? Verdammt! Ich bin jetzt fünfzig Jahre alt, verdiene einen behaglichen Winkel, und einen solchen finde ich in Deinem Hause. So viel, wie wir Beide gebrauchen, Tabak und Grog eingerechnet, besitzest Du, und ich denke, es soll ’ne Erholung für uns sein, wenn wir des Abends auf der Ofenbank die alten Zeiten noch einmal abspinnen – verdammt, Seiling, lustige Zeiten waren’s eben, die vor ’n achtzehn, zwanzig Jahren.“

Wie helle Wuth kam es über Seiling. Doch ein Blick in das tückisch grinsende Antlitz des früheren Genossen belehrte ihn, daß mit Gewalt am wenigsten auszurichten sei. Mühsam kämpfte er seine Erregung nieder, gleichzeitig aber trat Besorgniß an die Stelle des flüchtig erwachten Trotzes. Es offenbarte sich dies in dem zitternden Tone seiner Stimme, indem er anhob:

„Klaas, ich errath’s; was Du eben sagtest, sollte dazu dienen, mich willfährig und mürbe zu machen. Das hättest Du Dir ersparen können. Auch ohne Deine versteckten Drohungen vergesse ich nicht, daß wir einst Maats gewesen. Was ich für Dich thun kann, soll geschehen. Ich will ein viertes Hundert – mehr habe ich nicht flüssig – zulegen, wenn Du heute Abend noch Dich auf Nimmerwiederkehr von hier entfernst. Denn in mein Haus aufnehmen kann ich Dich nicht. Es ist gerade groß genug für mich und die Kordel – und das Mädchen – Klaas – bedenke – nein, Klaas, wolltest Du mir als Knecht um’s Brod dienen, ich müßt’s zurückweisen. Und die Leute im Dorf, was sollten die von mir denken?“

Schaudernd brach er ab, als Klaas ein wildes Lachen ausstieß, den Stock hinter sich hervorholte und mit demselben in heftigem Schwunge einen etwas erhöht liegenden kleinen Stein traf, daß er wirbelnd bis in die Brandung hineinflog.

„Verdammt, Mann, an das Mädchen habe ich nicht gedacht,“ rief er aus, „es muß hübsch herangewachsen sein – laß mich sehen! – achtzehn, neunzehn Jahre wird’s alt sein. Aber darum mache Dir keine Sorge! Mich hindert das Mädchen nicht. Hübsche Gesichter sind mir ’ne Augenweide, und ’ne Lust soll’s sein, wenn die junge Kraft ein munteres Garn für mich abspinnt.[1] Und Dein Knecht, Peter Seiling? Bei Gott, Mann, ich habe lange genug als Knecht gelebt, um mir endlich ’mal ein Herrenleben zu wünschen. Die Leute im Dorfe hindern mich dabei am wenigsten. Bin nämlich im Kruge eingekehrt; ein halbes Dutzend Fischer saßen um den Tisch, und weil ich Dich zur Hand wußte, gab ich meinen letzten Schilling hin, um Eins mit ihnen zu trinken. Erzählte ihnen, daß ich ein Anverwandter von Dir sei und Du mir geschrieben habest, meine alten Tage bei Dir zu verleben –“

„Du willst mich ängstigen, Klaas,“ fiel Seiling entsetzt ein, „den Schurkenstreich hast Du nicht begangen.“

„Nimm es, wie Du willst!“ versetzte Klaus lachend, „aber geschehen ist’s. War indessen scharf genug, den einfältigen Häringsseelen anzuvertrauen, daß ich unter falscher Flagge segle, um meinen Verwandten auszugraben, und erst mit der Wahrheit und meinen Thalern ’rausrücken würde, nachdem ich gesehen, daß ich in meiner Armuth ihm nicht zu gering. Doch was stehen wir länger hier im Regen, während ’n paar Faden von uns ein rechtschaffenes Haus offen ist? Komm, komm, wollen sehen, wo und wie Du wohnst, und zugleich eine gute Ankerstelle für mich ausmachen. Hernach mögen wir bei ’nem heißen Trunk berathen, wie ich mich am schnellsten mit einer neuen Takelage versehe, um den Eseln im Dorfe keinen Grund zum Argwohn zu geben.“

„Mit keinem Fuße betrittst Du meine Schwelle,“ antwortete Seiling in seiner Verzweiflung drohend, „nein, nimmermehr! Ich will Dir helfen, aber nur, wenn Du Dich entfernst. Besinne Dich also nicht lange – in jedem Augenblicke kann das Mädchen eintreffen – es wäre ein Unglück –“

„Unsinn, Mann!“ fiel Klaas achselzuckend ein, „von woher sollte Unglück kommen? Ich und das Mädchen werden bald genug die besten Freunde sein, und geschieht's nicht, ist's meine Schuld am wenigsten. Doch mach ein Ende! Du in Deinem Regenrocke hältst’s schon aus. Mein Zeug dagegen ist nicht wasserdicht, und was Deine Schwelle betrifft, so will ich, um sie nicht zu betreten, mit beiden Füßen zugleich hinüberspringen.“

„Nicht in mein Haus!“ rief Seiling, und erhob seine Fäuste, als Klaas ihn ungeduldig unterbrach:

„Und dennoch in Dein Haus, Maat! Oder wär’s Dir lieber, ich miethete mich im Dorfe ein und spülte meinen Aerger im Branntwein runter? Das aber wär’ ’ne gefährliche Sache; denn der Branntwein macht den Menschen oft redseliger, als es ihm hinterher lieb ist –“

„Gehe, Klaas, gehe!“ stöhnte Seiling gebrochen, „ich will Dir helfen, wo immer – nur fort von hier –“

„Nicht fort von hier,“ entschied Klaas einfallend, „denn wo’s einem Menschen behagt, da soll er bleiben, und wir sind zu alte Bekannte, um nach kurzem Wiedersehen aus einander zu treiben, wie ’n Wallfischfahrer und eine abgespeckte Carcasse.[2] Also komm, Mann,“ und an Seiling vorbeitretend, kehrte er sich der Schlucht zu. Dieser hielt ihn wieder auf.

„Klaas, hast Du kein menschliches Gefühl?“ fragte er mit Unheil verkündender Ruhe, „willst Du mich zu einer That der Verzweiflung treiben?“

„Damit möchte dem Mädchen am wenigsten gedient sein,“ meinte Klaas wie beiläufig, „und deshalb wirst Du alle Narrheiten bleiben lassen. Es soll nicht lange dauern, und ich und die kleine Cordula hängen an einander wie Schiffsbinden und Kupferblech. Hab’ so meine eigene Art, mich anzufreunden; also komm, oder ich such’ mir den Weg allein.“

Wie spielend zog er ein abgenutztes Jagdmesser mit Perlmuttergriff unter seiner Jacke hervor, und es drehend, daß der

  1. Seemannsausdruck für „Plaudern“.
  2. Das Wallfischgerippe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_127.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)