Seite:Die Gartenlaube (1879) 112.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

müssen Sie selbst zusehen, wie Sie die Festung erobern. Aber wie ich Sie kenne, wird Ihnen das nicht schwer werden. Jeder Mann – beherzigen Sie das! ein Erfahrener spricht zu Ihnen – jeder Mann bekommt das Mädchen oder die Frau, welche er haben will, wenn er nur festen Willen hat. Der Wille eines Mannes ist etwas zauberhaft Bannendes. Hat ein Weib, wie sie auch in ihrem Herzen widerstreben möge, nur einmal den vibrirenden Ton der Leidenschaft gehört, kann sie sich des Mannes nicht mehr erwehren, der diesen Ton an ihr Ohr schlagen ließ – nie – nie mehr! – Also Sie kommen!“

Damit trennten sich Beide.

Lideman lachte im Gehen einmal vor sich hin. „Die gute Frau Geheimräthin fängt an gefährlich zu werden; man muß der Sache ein Ende machen.“ –

„Nie – nie mehr!“

Diese von Lideman fast nur hingehauchten Laute wurden von Doris wiederholt, als sie aus ihrem grünen Versteck hervortrat. Sie war von dem Eindruck des Gehörten wie gelähmt – die Worte enthüllten ihr plötzlich eine furchtbare Gefahr. Was bisher nur unbestimmtes Empfinden, bange Ahnung, sensitives Fürchten in ihr war, das war hier in einer Formel gegeben, mit wenigen Worten, scharf, schneidig: ein Wille, ein Gesetz, unter dessen Gewalt sie zusammenschauerte. Etwas zauberhaft Bannendes! Er hatte Recht. Sie machte die Erfahrung an sich selbst. Der Nachklang dieser Worte, die berauschenden Düfte rings um sie her, die Klänge der Musik, das Dunkeln und Dämmern des Abends und das mystische Spiel der Schatten – wie eine feine, das Bewußtsein einschläfernde, die Sinne umfächelnde und erregende Aetherkraft kam es über sie, deren betäubendem Einfluß sie zu erliegen drohte. Dazwischen aber rang sich die Reue durch, die Reue darüber, daß sie dem Willen Erich’s entgegengehandelt, und dieses Erheben der Gedanken auf den fernen Gatten hielt ihr die sinkende Willenskraft aufrecht. Doris war fest entschlossen, ganz unbemerkt die Gesellschaft zu verlassen. Der Augenblick schien günstig dazu: Niemand war in der Nähe, um ihr Weggehen zu bemerken. Ihre Schritte wandten sich dem Ausgange zu. Da plötzlich – stand sie vor Lideman.

Ein Blitz der freudigen Ueberraschung flog über sein Gesicht. Er faßte sich indeß rasch; er gab dem Vergnügen Ausdruck, das er darüber empfände, endlich fern von den Larven der Convenienz ein Wort mit ihr von Mund zu Munde sprechen zu können, wie es sonst gewesen wäre, in schöneren Zeiten, ein Wort – hier legte er die Hand auf’s Herz – nach dem er sich so lange gesehnt habe. Denn nun sei er leider aus ihrer Nähe verbannt, und er wisse auch, warum man sich von ihrer und ihres Gatten Seite kühler gegen den einstigen Freund des Hauses verhalten habe, den treuesten vielleicht, den das Haus Rechting besessen habe.

„Wenigstens den treuesten, den Sie, gnädigste Frau, besessen haben. Sie ahnen nicht, wie sehr ich Sie in der Sorge meines Herzens trage, wie ich mit Ihnen fühle, mit Ihnen leide.“

„Was giebt Ihnen ein Recht, Herr Präsident, Leiden bei mir vorauszusetzen? Habe ich Sie zum Vertrauten meiner Gedanken gemacht?“

„Leider nicht!“

„Oder ist über meine Lippen Ihnen gegenüber schon ein Laut der Klage gegangen?“

„Nein, dieses stolze Herz wird sich nie verrathen; aber es giebt eine ahnende Empfindung der Herzensvorgänge in Anderen, mit welchen uns die Sympathie verbindet: diese Eindämmung in ein Ihnen ganz fremdes Dasein macht Sie unglücklich.“

„Wo ist der Beweis dafür?“

Es war nur ein schwacher Laut, in dem sich diese Worte gaben, ein Laut, der ein halb willenloses Zugeständniß bedeutete.

„Wenn sich in Ihnen, Frau von Rechting, eine berechtigte Sehnsucht nach dem Einst regt, wird sie von der harten Strenge Ihres Gatten im Keime erstickt. Er sucht Sie von jeder gesellschaftlichen Berührung hermetisch abzuschließen; er verwehrt Ihnen, Ihre Jugend, Ihre Schönheit zu schmücken. Die Einförmigkeit, die Langeweile sind Ihre nunmehrigen Hausfreunde. Als ich damals Ihrem Herrn Gemahl jenes Anerbieten machte, das ihn in den Stand gesetzt hätte, Sie wieder mit allem gewohnten Reize des Lebens zu umgeben, wurde ich leider von Ihnen – von ihm verkannt. Ist’s nicht so? Sagen Sie doch ‚ja‘! Ich weiß –“

„Nun denn – ja! Ein Wort von Ihnen, um ganz offen zu sein, hat uns Beide befremdet, und wenn daraus eine Erkaltung unsererseits erfolgte –“

„So grausam gestraft zu werden für eine Bemerkung, welche der Uebermuth, die gesellschaftlich pointirte Redeweise unserer Zeit mir auf die Lippen gebracht haben, nicht mein Herz, noch weniger meine Gesinnung. – Aber die Entbehrung so manchen Genusses, der Ihnen zur Gewohnheit geworden war – das wäre noch das Leichteste. Verzeihen Sie, daß ich davon wie ein Freund zu Ihnen spreche! Ueber dem immerwährenden Ringen zwischen Neigung und äußerem Zwange, zwischen regem Verlangen und brüsker Verweigerung flieht eine schöne Illusion um die andere aus Ihrem Herzen, und die Liebe, die Sie bisher dem Gatten so treu bewahrt haben, sie beginnt zu reflectiren. Wo aber nicht mehr der frische, unmittelbare Zug des Herzens vorhanden, wo dieses in Erwägungen eintritt, da kommt etwas in’s Schwanken, das fest sein soll wie ein Fels inmitten brandender Strömungen – die Liebe – das fühle ich mit meinem Herzen so tief, und ich will Ihnen nicht sagen, warum –“

Mit einer hastigen Bewegung, mit einem jähen Aufblitzen ihrer Augen hatte Doris den Worten des Präsidenten Stillschweigen geboten und war von ihm zurückgetreten – denn wie mit seiner Rede, so war er auch mit seiner Gestalt ihr immer näher gekommen. Fest entschlossen, diese gefährliche Nähe zu meiden, wollte sie sich zuück in den schützenden Port der Gesellschaft flüchten, als die Geheimräthin zu Beiden trat. Sie war, den Präsidenten suchend, unbemerkt hinzugekommen und hatte die letzten Worte erhascht.

(Fortsetzung folgt.)




Das Aufdämmern einer neuen Weltanschauung.
Zu Darwin’s 70. Geburtstagsfeier, am 12. Februar 1879.


Nur selten ist es einem Revolutionär auf dem Gebiete der Forschung und des Geistes beschieden gewesen, einen so vollkommnen Sieg der von ihm in Umlauf gebrachten Ideen zu erleben, wie es dem Reformator der „Wissenschaft von der lebenden Natur“ vergönnt zu sein scheint. Copernicus erblickte erst auf seinem Sterbebette den Druck seines Werkes über die Revolutionen der himmlischen Sphären; Kepler rieb sich in Sorgen auf; Newton fand unter den ersten Geistern seiner Zeit mehr Widersacher als Freunde. An Widersachern hat es auch Darwin nicht gefehlt, aber die meisten entstammten solchen Kreisen, welche der eigentlichen Lebenswissenschaft oder Biologie fremd waren, während die wirklichen Forscher auf dem genannten Gebiete bereits seit zehn Jahren fast ausschließlich im Darwinischen Sinne und nunmehr erst mit wahrem Erfolge arbeiten. So haben denn auch seine Gegner nur zu seiner höheren Ehre beigetragen, und noch am Vorabende seines siebenzigsten Geburtstages haben sich einige rückständige Akademieen beeilt, den nie im Lehrfache thätig gewesenen Privatgelehrten in ihre Listen einzuschreiben.

Ueber die von Darwin begründete neue Weltanschauung ist den Lesern der „Gartenlaube“ bereits wiederholt berichtet worden – wir erinnern an die Artikel von Bock und Klotz in den Jahrgängen 1872 und 1873, denen auch ein Portrait des Jubilars beigefügt war. Ein ander Mal wird auf Einzelnes zurückzukommen sein; zur Feier des heutigen Tages aber möchten wir den Versuch machen, den ersten Ahnungen seiner weltbewegenden Ideen nachzuspüren. Den ersten Ahnungen! – ja, die lagen eigentlich schon in der Familie, denn wie der Schreiber dieser Zeilen an einem andern Orte ausführlich nachgewiesen hat[1], muß nicht Lamarck,


  1. Im soeben erschienenen Februarheft des „Kosmos“, Zeitschrift für einheitliche Weltanschauung, in Verbindung mit Darwin und Häckel herausgegeben von Prof. Dr. G. Jäger, Prof. Dr. O. Caspari und Dr. Ernst Krause (Carus Sterne). Leipzig, E. Günther’s Verlag.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_112.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)