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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

eingerichteten Bildflächen Scenen aus der Herzensgeschichte eines liebenden Paares.

Schauen wir uns dann im Frauengemache weiter um, so finden wir im Verstecke einer Nische die Tochter des Hauses am Spinnrocken, eine Beschäftigung, welche sie nicht wesentlich hindert, gleichzeitig draußen den Flug der Schwalben und das Treiben auf der Landstraße zu verfolgen. Sie hat den mit goldiger Borte umschlungenen Rocken in den Gürtel gesteckt und bringt mit der rechten Hand die auf dem Boden aufstehende Spindel in kreisende Bewegung. Von Zeit zu Zeit hebt sie dieselbe vom Boden empor und wirft sie ein Stück vor sich hin, sodaß der Faden sich mehr und mehr längt. Die Spindel, ein spitzer, dünner Körper, nach unten zu sich etwas verstärkend und mit einem Holz- oder Eisenringe versehen, auf den das Garn sich auflegt, besteht aus Elfenbein; die Spindeln der Mägde sind dagegen nur von Holz. In einem mit zierlichem Flechtwerke und geschnitzten Hundsköpfen versehenen Kasten liegt eine Anzahl bereits fertig gespulter Spindeln. Auch ein hölzerner Rockenständer zum Aufstecken des Rockens, unten in eine Art Bänkchen auslaufend, auf dem der Fuß ruhen kann, steht zum Gebrauche der Spinnerin da, falls sie dessen Benutzung bequemer findet. Spinnräder gehören erst einer späteren Zeit an.

Im weiteren Umschauen stehen wir vor einem großen Rahmen, über den ein mächtiges Stück Leinwand gespannt ist. Der Untergrund der Leinwand ist mit rothem Mennig getränkt, und auf der Fläche befinden sich die Contouren einer in leichter Aquarellmalerei ausgeführten figürlichen Scene. Es ist ein Herr und eine Dame, welche sich auf blumenreichem Rasen gegenüber stehn. Der junge Mann hat das reichgelockte Haar mit einem Kranze geschmückt und trägt in der Hand einen Lilienstengel, während die Frau wie verschämt zur Seite blickt; sie hat mit der einen Hand das Obergewand etwas aufgenommen, eine fast bei allen mittelalterlichen Frauenbildern vorkommende Stellung; in der andern Hand hält sie ein in Bogen um sie herumgehendes Spruchband, auf welchem die Worte stehn: „Und Liebe versag ich Dir nit“, während auf dem gleichen, vom Arme des Mannes festgehaltenen Bande zu lesen ist: „Hör Frau, was ich Dich bitt!“ (Germanisches Museum.) Zwischen die Figuren schlingen sich, ein tapetenartiges Muster bildend, allerlei Arabesken, und an den Kanten läuft eine breite, golddurchwirkte Borte hin. Ein Theil der Stickerei ist bereits ausgeführt und zwar durch Plattstich, mit seidenen und leinenen Fäden. Es war eine Malerei der Nadel, welche sich da vollzog. Den Kreuzstich wandte die Stickerin nur an, wo es galt eine mosaikartige Wirkung zu erzielen, und zur Ausfüllung des Zwischenfeldes zwischen den Figuren bediente sie sich des Webstichs, der demselben das Aussehen eines Gewebes verlieh, wie der Durchschuß von Einschlag und Kette, während ihr zur Darstellung der auf den Blumen sich schaukelnden Vögel und Schmetterlinge der Federstich verhalf, mit dem sie auch ganze figurenlose Flächen breit ausführen konnte; bei ihm legten sich, von einer Mittellinie ausgehend, wie bei dem Barte eines Federkiels, die Fäden nach rechts und links um. Endlich wurde auch noch der Flechtstich angewandt, zur Herstellung fester Contouren. Neben den seidenen und wollenen Fäden verwandte die kunstfertige Dame auch Goldfäden, welche dem Gewebe in der Weise einverleibt wurden, daß sie reihenweise, den Contouren der malerischen Unterlage folgend, auf der Oberfläche lose neben einander gelegt und dann mit rother Seide durch Ueberfangstiche auf den Grund niedergenäht wurden. Die Goldfäden waren kein metallische Gold, sondern Streifen von thierischen, glänzenden Häuten, auch wohl Goldpapier, wie bei einem Gewebestücke aus dem sechszehnten Jahrhundert im Germanischen Museum. Es geschah dies nicht blos um der Billigkeit willen, sondern auch um das Gewebe nicht zu plump und schwer zu machen.

Die Nachbildung der Köpfe im Wege der Stickerei schien unserer weiblichen Künstlerin zu schwierig und minutiös gewesen zu sein. Sie hatte deshalb jene Stellen von der Nadel unberührt gelassen und darauf Ausschnitte von feiner Leinwand mit den gemalten Köpfen aufgeklebt und festgenäht. Das war so geschickt gemacht, daß nur das Auge eines Nahestehenden den frommen Trug zu entdecken vermochte. Später pflegten die Damen der Figurenstickerei durch allerlei Unterlagen einen Reliefcharakter zu geben. Diese Reliefstickerei wurde in der Renaissancezeit so weit getrieben, daß aus den Figuren förmliche Puppen wurden, hergestellt aus Wolle oder Pappe, sogar aus Holz und mit Seidenstoff und Stickerei überzogen, die man in die Gewebemuster einnähte.

Der Rahmen, auf welchem wir die Stickerei ausgespannt finden, kann durch Drehung auch horizontal gelegt und die Stellage, in welcher er hängt, so zu einem Webstuhle hergerichtet werden. Auf dem Webstuhle entstanden besonders jene in ihren geretteten Ueberbleibseln so viel bewunderten Teppiche zur Wandbekleidung, welche wir heutzutage unter der französischen Bezeichnung Gobelins kennen und deren von uns schon mehrfach gedacht wurde. Zwar stammt eine große Anzahl derselben aus niederländischen, speciell burgundischen Fabriken, wo sie am Ausgang des Mittelalters in der Renaissancezeit die größte technische Vollkommenheit erlangten, aber viele rührten auch von der wirkenden und webenden Hand einer fleißigen deutschen Edelfrau her, wie z. B. das Bruchstück eines schweren wollenen, die Geschichte des verlorenen Sohnes darstellenden Teppichs aus der St. Elisabeth-Kirche zu Marburg, zu dem die heilige Elisabeth selbst die Wolle gesponnen, unter den Schätzen des Germanischen Museums bekundet.

Als Instrumente zur Herstellung dieser Frauenschöpfungen werden in den mittelalterlichen Quellen außer Nadel und Scheere, welch letztere ohne Charnier nur aus zwei Schenkeln bestand, der Spalter und der Dreher erwähnt.

Thun wir noch einen verstohlenen Blick in die Truhen nach den Gewand- und Wäschestoffen, so begegnen wir auch hier überall dem Walten kunstfertiger Frauenhände. Da die Wollen- und Seidenstoffe glatt und ungemustert waren, so half auch hier die Weberei und Stickerei durch Anbringung von bunten Arabesken und Figuren, durch Besatz mit Edelsteinen, Perlen und Gold nach. Da gab es besonders auf den Seidenstoffen Pfauen, Greife, Löwen, Papageien, springende Hunde, rehartige Thiere, geometrische Ornamente und das nachzeitig sehr beliebte Granatapfelmuster. Das Gleiche war der Fall mit dem Linnenzeug, mit Decken, Bettstücken und Hand- und Tischtüchern. Ueberall hatte auch hier die nachhelfende Nadel die einförmige Fläche verschönert. Besonders beliebt war die Devisenstickerei sowohl in ganzen Sinnsprüchen, wie in einzelnen Buchstaben, die mit der Zeit eine besondere Deutung, besonders für die Eingeweihten, enthielten, wobei z. B. die Buchstaben A. M. gleichzeitig als Ave Maria wie als Amor gedeutet wurden. Später waren auch rebusartige Allegorien beliebt – flammende und durchbohrte Herzen u. dergl. m. – die auf geheime Herzensvorgänge schließen ließen. Die Perlenstickerei wurde im Mittelalter wenig geübt; sie beschränkte sich fast nur auf die Einfassung mit echten Perlen; erst als die billigen Glasperlen aufkamen, wurde sie auf ganze Flächen übertragen. Die Muster wurden nicht überall frei erfunden, sondern vielfach nachgeahmt und durch Mustertücher und gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts, als Holzschnitt und Kupferstich mehr ausgebildet waren, durch besondere Musterbücher von Haus zu Haus verbreitet. Als Vorbilder dienten besonders arabische und sicilianische Seidenmuster. Es gab aber auch schon im vierzehnten Jahrhundert vorgedruckte Muster auf Leinwand, wie einige Reste solchen Modelldrucks im Germanischen Museum bekunden.

Ziehen wir ein paar Stücke aus der Truhe hervor, so haben wir da ein Handtuch, streifenweis gewirkt mit blauen Verzierungen auf weißem Grunde. Die einzelnen Reihen stellen Thiere dar, die wie auf modernen Tapeten bald einander zu-, bald abgewandt sind; am unterm Ende des über anderthalb Meter langen Tuchs befindet sich eine Fransenborte. Weiter eine dazu correspondirende Tischdecke mit blau und weißen Streifen, welche zur Jagd reitende Falkenjäger darstellen; ferner gestickte Leinentüchlein, an zwei Seiten mit Fransen besetzt, das eine David und Bathseba, ein anderes eine Jungfrau mit einer Blume unter Blumenranken darstellend.

Wir werfen noch einen Blick in die Ecke, wo sich eine holzgeschnitzte Figur der Madonna in einer Nische und darunter, auf einem kleinen Hausaltare, ein elfenbeingeschnitztes Crucifix befindet, und verlassen nunmehr das Frauengemach, um noch einen raschen Gang durch Küche, Garten und Keller zu machen.

Eine besondere Küche zu haben, galt lange Zeit hindurch nur als das Vorrecht sehr vornehmer Häuser. In solche Küchen zog denn auch statt der Hausfrau jener stämmige Koch mit rundem Bäuchlein ein, der in den Romanen des Mittelalters öfter die Rolle eines Dieners diplomatischer Intrigue spielt. Der Ausdruck „Kochen“ für das Garmachen der Speisen ist nicht deutsch; der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_103.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)