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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Weil Sie so gut Bescheid wissen im innern Ministerium des Hauses, das die Frau Geheimräthin verwaltet.“

„Ich – ich war dem Hause empfohlen, und wenn auch vielleicht meine Person nicht, so doch meine Geige. Rüchel, schließen Sie auf. Ich bin müde, ich habe diesen Abend tüchtig geigen müssen, und die Manen Spohr’s und Beethoven’s werden mir’s verzeih’n, wenn ich mich an ihnen vergangen habe,“ schloß er zu Rechting gewendet. „Gute Nacht, Herr von Rechting!“

Der Genannte setzte seinen Heimweg fort.




6.

Eine große Partie! In diesen drei Worten ist Alles zusammengefaßt, was die Frau von Wandelt seit Else’s frühester Jugend für ihre Tochter geträumt, erstrebt, ersehnt hatte. Die Geheimräthin wollte ihr eigenes Schicksal durch das ihres Kindes repariren. Ihr Vater war Gesandter der siebenundzwanzigsten deutschen Macht an dem Hofe der achtundzwanzigsten gewesen, und wenn sich auch die diplomatische Thätigkeit ihres Vaters nicht viel über das Visiren der Wanderbücher von Handwerksburschen hinaus erstreckt hatte, so war er doch Excellenz gewesen; das große Band des Hofes, an dem er beglaubigt war, hatte sich über seine Brust gespannt, und die Tochter hatte in ihrer Jugend eine erste Gesellschaftsstellung eingenommen. Da aber das, was rund ist und klingt und blinkt, auch schon in der rosigen Jugendzeit der Gesandtentochter eine gewichtige Rolle spielte und Constanze weder durch den Besitz von Vermögen, noch durch hervorragende körperliche Reize zu fesseln im Stande war, so hatte sie endlich nach dreimaliger Werbung und zweimal ausgetheiltem Korbe der Stimme der Vernunft nachgegeben und den jungen Collegienassessor von Wandelt geheirathet, der sie dann glücklich durch alle Leidensstationen ihres ehelichen Lebens hindurch bis zur Geheimen Legationsräthin treu und geduldig geführt hatte. Constanze stellte sich in den häuslichen Zwisten, die sich mit der Regelmäßigkeit der Kalendertage wiederholten, als beklagenswerthes Opfer hin, während es in Wahrheit doch der arme, geplagte Ehemann war. Mit der Zeit wurde dieser immer stiller und stiller, und zuletzt weilte er nur noch gleichsam als Chambregarnist in seiner Familie.

Was also an Glück ihr, der Mutter, entgangen war, sollte nun der Tochter werden. Leider hatte es indessen den Anschein, als ob Elschen weder im Aeußern, noch im Innern so recht in die Ideen der Mama hineinwachsen wollte. Statt sich zu hoher, majestätischer Gestalt empor zu entwickeln, die auf dem Parquet der großen Welt Figur zu machen geeignet wäre, blieb das Kind „eine Mittelfigur“, wie die Mutter jammerte, Vergeblich war es, daß Elschen turnen, exerciren, tanzen, schwimmen, Schlittschuh laufen mußte; selbst der Besuch einer orthopädischen Anstalt, wozu im Uebrigen ihr ganz normaler, ja hübscher und zierlicher Gliederbau absolut keine Veranlassung gab, erhöhten ihr Körpermaß nicht so weit über dasjenige der übrigen Mädchen, daß alle Männerblicke gleich an ihr haften bleiben mußten. Auch moralisch blieb sie Mittelfigur. Sie glich darin ihrem Vater, dem dieses vergebliche Mühen von Seiten der Mutter manche böse Stunde einbrachte. Was die Schuld der Natur war, dafür wurde die Mama nicht müde ihn verantwortlich zu machen. Am Ende ergab sie sich doch drein. Aber von diesem Zeitpunkt an quälte sie ein neuer Verdruß. Wenn Else wenigstens irgend etwas Anderes an sich gehabt hatte, was auffallend gewesen wäre – den Reiz des Aparten, der Gegensätze – rothe Haare mit schwarzen Augen, blaue Augen mit dunklen Wimpern und ähnliche Contraste. Nichts von alledem! Und der unglückliche Gatte hatte sich fortan allen Ernstes gegen den Vorwurf zu wehren, daß er nicht rothes Haar und schwarze Augen oder irgend eine solche interessante Melange oder Varietät aufzuweisen hatte, die er hätte auf sein Kind vererben können.

Else war eine jener Naturen, die von den Männern nach einer großen Leidenschaft, nach Kämpfen und Revolutionen des Herzens gesucht werden. Es lag etwas Beruhigendes darin, wenn man durch die kindlich tiefen blauen Augen unter den langen braunen Wimpern wie in ein reines, schuldloses Herz hinein blickte, wenn dieser schöngeformte, frische Mund mit den weißen Zähnen lächelte und wenn bei einem Schmeichelworte, das man ihr sagte, die rosige Färbung des frischen Teints sich noch hob und bis unter die vollen Flechten ihres kastanienbraunen Haares fortsetzte. Sie war recht gut unterrichtet, hatte selbstständige Ideen und gab in der Conversation nur sich selbst, in Herz und in Gedanken. Mit diesem Wesen war sie freilich der Herrenwelt des Salons, auf welche die Mutter speculirte, „trop innocente“ – zu unschuldig, wie ein junger Russe es einst ausgedrückt hatte; Frau von Wandelt hatte es gehört und war nahe daran gewesen, zu ihrer Tochter in vorwurfsvollem Tone zu sagen: „Siehst Du – warum bist Du so?“ — Sie hatte sich indessen zu rechter Zeit besonnen und betrachtete seither die Russen als eine „sehr sittenlose Nation“.

Zum Zwecke einer Verheirathung Else’s war bereits einmal ein Aufenthalt in Baden-Baden arrangirt worden. Der Geheimrath mußte sich irgend ein Gebreste zulegen, um für die Badereise einen Zuschuß vom Staate zu erhalten, und so ging es denn in das Schwarzwaldparadies. Mit Entzücken beobachtete dort die Mama sehr bald, daß ein Holländer immer dringender Anschluß an Wandelt’s suchte – ziemlich jung noch, nicht häßlich und beweglicher, als sonst die Holländer zu sein pflegen. Er wohnte im „Holländischen Hof“, hatte einen Kammerdiener, reiste mit Courier und spielte mit Haufen von Geld an der Bank.

„Das Spielen werde ich ihm später noch abgewöhnen,“ sagte die Mutter zu ihrer Tochter.

So weit war das Verhältniß schon gediehen, daß die Geheimräthin von der Zukunft sprechen konnte. Er nannte sich Mynheer und trug einen Namen, der fast wie ein holländischer Adelsname klang. Indessen kam es der Mutter weniger darauf, als vielmehr auf die Gulden an, hinter welchen jedenfalls noch Zuckerplantagen mit Sclaven etc. lagen – kurz, der Antrag des Mynheer wurde jeden Tag unter Herzklopfen von Frau von Wandelt erwartet.

Er kam nicht! Es war übrigens nicht viel an dem Freier verloren, denn später erfuhr man, daß er ein Heringshändler aus Middelburg war.

Nach der Rückkehr von Baden-Baden wurde der Präsident in den Kreis der Berechnung gezogen. Wie schwer ein Arrangement im Anfange hatte gelingen wollen, wissen wir ja. Aber nun auf einmal erschien ihm das Haus des Geheimraths als das liebste Heim. Der Magnet war natürlich Else. Wie hätte die glückselige Mutter daran noch einen Augenblick zweifeln können!

Lideman bewarb sich augenscheinlich um Else. Er schickte Blumen, Concert-, Theaterbillets. Wandelt’s konnten seinen Wagen benutzen; er holte die Familie sehr oft ab, aber wenn er mit ihr ausfuhr, wußte er es einzurichten, daß sie an der Wohnung Rechting’s vorbei ihren Weg nahmen. Wenn indessen die Mutter der Tochter von deren künftigem Glücke an der Seite des Präsidenten sprach, wenn sie ihr mit ihrer lebhaften Phantasie alle die Herrlichkeiten vorzauberte, von denen sie umgeben sein würde, so machte das auf Else sehr wenig Eindruck, ja diese suchte das Gespräch um jeden Preis auf irgend einen anderen Gegenstand zu lenken.

Sollte diese Gleichgültigkeit gegen die glänzende Außenseite des Lebens in einem so jungen Gemüthe wirklich tief begründet sein, oder trug etwa Else eine andere Neigung im Herzen?

Die Geheimräthin faßte sich bei dem Gedanken an die neue Haube, daß letztere in eine schiefe Lage kam. Sie tröstete sich indessen bald, daß dies „leere Wahngebilde“ seien. Wenigstens hatte sie sich keiner Persönlichkeit aus ihrem Gesellschaftskreise erinnern können, mit der Else in Berührung gekommen wäre.

Seit einiger Zeit suchte Else von Wandelt das Rechting’sche Haus mit besonderer Vorliebe auf. Zwischen Doris und ihr hatte sich ein inniges Freundschaftsverhältniß entwickelt. Die weiche anschmiegende Natur des um etwa fünf Jahre jüngeren Mädchens behagte der jungen Frau ganz besonders. Else kam zu jeder Tageszeit, und zu jeder Stunde schien sie zu bedauern, gekommen zu sein, weil sie wieder gehen mußte. Sie machte sich im Hause nützlich, besserte die Wäsche aus, machte Besorgungen, spielte mit Liddy und hörte die Klagen der Freundin geduldig an.

Die Berichte des Mädchens über den Verkehr des Präsidenten in ihrem Hause schienen Doris höchlich zu interessiren.

„Nächstens wird er kommen und um Dich werben,“sagte Letztere eines Tages zu Else.

„Dann laufe ich davon, Doris. Was habe ich Dir denn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_095.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)