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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

der stärkeren Vortheil zu ziehen suchen, wovon ich hier einige besonders interessante Beispiele anführen will.

Der sogenannte Schiffshalter, ein zur Gattung der Makrelen gehöriger Fisch, heftet sich zur rascheren Ortsveränderung nicht nur an Schiffe, sondern auch an die allgemein gefürchtetsten Raubfische, an Thune, Schwertfische, Haifische und andere, und diese müssen den „blinden Passagier“ gleich einem Parasiten ruhig dulden; abstreifen können sie ihn im freien Wasser nicht, und dann ist er auch viel zu gewandt, als daß sie ihm sonst wie etwas anhaben könnten.

Ein weit interessanterer Fall kommt in der Insectenwelt vor. Die Larve des Oelkäfers kriecht, sobald sie geboren ist, aus der Erde heraus, sucht die nächste blühende Pflanze auf, klettert an derselben empor bis zur Blüthe, und hier wartet sie ruhig auf eine Biene. Kommt nun eine solche zur Blume, um sich Honig und Blüthenstaub zu holen, so kriecht ihr die Käferlarve auf den Rücken – und wozu das? Sie läßt sich von der Biene gemüthlich nach dem Bienenstock tragen. Während nun die unfreiwillige Kindermagd beschäftigt ist, ihren Honig in eine mit dem Ei versehene Zelle zu thun, gleitet die junge Larve ganz sachte von ihrer Trägerin herunter in die Zelle, aber nicht etwa um der Biene nun ihren Dank abzustatten, sondern – um das Bienenei zu fressen. „Undank ist der Welt Lohn.“ – Die Larve des Blasenkäfers, der sogenannten spanischen Fliege, hat dieselbe Gewohnheit.

In anderen Fällen suchen kleinere Thiere die Nähe größerer Raubthiere auf, in deren Gesellschaft sie gegen gefährlichere Feinde vollkommen geschützt sind, ziehen also Nutzen aus dem Räuberberufe Anderer.

Im Neapolitaner Aquarium fiel mir seit längerer Zeit die merkwürdige Thatsache auf, daß die Garneelen, kleine durchscheinende Krebse, sich haufenweise in der Nähe der Pulpen (Polypen) aufhielten. Ich wunderte mich hierüber anfangs um so mehr, als ich wußte, wie sehr alle übrigen Krebse diesen Seeräuber fürchten und seine Nähe zu meiden suchen. Aber bald wurde mir das Verhältniß klar. Diese kleinen freischwimmenden Krebse können mit ungemeiner Gewandtheit blitzartig zurückfahren; kein Fisch ist im Stande, sie zu erhaschen, und auch der Polyp, welcher nach diesen Thieren äußerst lecker sein mag und sehr oft seine Armspitzen entrollt, um eines derselben zu packen, vermag nie zu seinem Ziele zu gelangen: die kleinen Kruster sind zu flink. Dagegen bewohnen zwei furchtbare Feinde der zarten Krebse das Meer, gegen welche ihnen kein Zurückschnellen, kein Verkriechen zwischen die Steine und in die Ritzen hilft und gegen welche sie nur in der Nähe des vielgefürchteten Polypen sicher sind: das sind der Tintenfisch und die Sepia. Diesen gelten die Garneelen als Lieblingsspeise, und so flink sich auch letztere im Entfliehen zeigen, die Tintenfische und Sepien sind mit ihren zwei Fangarmen noch viel gewandter. Wie ein Blitz werden die sonst immer zurückgezogenen Fangapparate mit ihren zahlreichen Saugnäpfen hervorgeschnellt, und das Opfer zuckt zwischen den Armen, die es zum Munde führen. Wo diese Kopffüßler Garneelen finden, da ist es um dieselben geschehen; nur in der Nähe des Polypen nicht. Der achtarmige Seeräuber ist von seinen Vettern viel zu sehr gefürchtet, als daß sich diese verleiten lassen würden, ihm zu nahe zu kommen.

Auf dieselbe Weise ist wohl das Verhältniß des Lootsenfisches zum Haifische zu erklären. Nach den älteren Berichten soll zwischen diesen beiden Meeresbewohnern ein sehr intimes dienstliches Freundschaftsverhältniß existiren. Der Lootsenfisch soll dem Hai, der allerdings auch nach meinen Beobachtungen schlecht zu sehen scheint, die Beute auskundschaften und seinen Gebieter darauf hinführen, ihm also als Lootse dienen, dafür aber von demselben Abfälle erhalten. In der That werden nun die beiden Fische nach vielfachen Beobachtungen häufig in Gesellschaft angetroffen, aber nach meinem Urtheile hauptsächlich aus dem oben angedeuteten Grunde. Der Lootsenfisch weiß dem Hai bei etwaigen Angriffsversuchen geschickt zu entschlüpfen, ähnlich wie die Garneele dem Pulpen gegenüber; dagegen sind ihm andere Raubfische, wie die Makrelenarten, etwa der Thun, weit gefährlicher, in Gesellschaft des Hai ist er aber auch diesen gegenüber gesichert. Dabei mag es auch vorkommen, daß sich die ungleichen Gesellschafter bei der Nahrungssuche absichtlich oder unabsichtlich nützen.

In der Vogelwelt ist ein ähnliches Verhältniß beobachtet worden. Singvögel, besonders Finken und Sperlinge, miethen sich oft in den Horsten der Adler ein, weil sie sich dort, wie es scheint, vor Falken und anderen Raubvögeln sicher wissen. Der Mietherr duldet aber jedenfalls die Eindringlinge nicht etwa aus Großmuth; er würde dieselben ebenso gut seinen Jungen als Speise vorlegen wie andere Beute, wenn sie der verhältnißmäßig schwerfällige Vogelkönig nur erwischen könnte.

Auch bei dem Nahrungserwerb machen sich gar oft listige Thiere die Geschicklichkeit und Kraft anderer zu Nutze. Ich erinnere besonders an den Fregattvogel, die Schmarotzermöven und Schmarotzermilane. Ersterer paßt, wie beobachtet den Delphinen und Meerschweinen bei ihrer Fischjagd auf, bis diese irgend welche Beute gemacht haben. Noch ehe sie zum Verschlingen derselben kommen, hat sie ihnen der Fregattvogel vom Maule weggeschnappt; ja dieser zwingt andere fischende Seevögel oft, die schon verschlungene Beute wieder herzugeben; und die Schmarotzermöven haben dieselbe liebenswürdige Gewohnheit. Auch die Schmarotzermilane, Gabelweihen etc. lassen andere Vögel, besonders den Edelfalken, für sich jagen. Sie passen ihm genau auf, warten, bis er eine Beute in den Krallen hält, überfallen ihn dann und quälen ihn, bis er ihnen die Beute überläßt.

Eine höchst eigenthümliche Arbeit verlangt der Kormoran vom Pelekan. Letzterer vermag Eisschichten viel leichter zu durchbrechen als sein schwächerer Herr Vetter. Das weiß dieser recht gut, und will er eine Wasserbahn im Eise haben, so quält er den Pelekan so lange, bis dieser um des lieben Friedens willen auf das Eis geht und es für seinen Verwandten einschlägt.

Nach diesen Thatsachen kann die oben erwähnte neue Beobachtung über die Benutzung der Reisegelegenheit nicht befremden. Nur muß man nicht glauben, daß die Störche die kleinen Sänger aus Großmuth oder etwa deshalb mit über’s Meer nehmen, weil sie durch den Gesang der munteren Passagiere dafür unterhalten würden. Jede Bürde ist bei einer solchen Reise unangenehm, und der Storch wird sein lebendes Eilgut oft genug, wenn auch erfolglos, abzuschütteln suchen. Daß übrigens junge Schwimm- und Reihervögel oft der Mutter auf den Rücken steigen und sich von derselben über’s Wasser, ja durch die Lüfte tragen lassen, ist vielfältig beobachtet worden.

Dieses Schutzsuchen bei der Mutter ist bei den Hühnervögeln besonders üblich und allgemein bekannt, und manche Säugethiere, wie die Affen, Maulthiere, Aeneasratten, geben ebenfalls Beweise rührenden Mutterschutzes. Aber selbst von den Fischen, welche sich im Allgemeinen um ihre Jungen wenig kümmern, ist doch ein interessanter Fall kindlicher Schutzbedürftigkeit und väterlicher Fürsorge bekannt. Die jungen Lumpfische heften sich an den Vater, der die Brut in’s sichere Versteck trägt.

Eine weit merkwürdigere Beobachtung dieser Art wollte einst ein Diener des Neapolitaner Aquariums bei den Seerosen (Actinien) gemacht haben. Torillo – so heißt derselbe – hat ein ungemein scharfes Auge und weiß überall die winzigsten Wesen gleich ausfindig zu machen. Seine unübertreffliche Fähigkeit hierin ist allen in der zoologischen Station arbeitenden Gelehrten gar wohl bekannt. Was keiner der Herren Fachzoologen, selbst mit der Loupe bewaffnet, aufzufinden weiß, das sieht Torillo mit bloßen Augen und zeigt es ihnen. „Sehen Sie, Herr Dr. N…, die jungen Spyrographen (Röhrenwürmer) und hier junge Pentacten (Seegurken),“ ruft er gar oft und zeigt auf winzige Geschöpfchen kaum von der Größe eines Stecknadelkopfes, die an den dunklen Steinen

sitzen, und welche kein anderes Auge bemerkt haben würde. Als wir nun einst am Bassin der Seerosen standen, behauptete er, einige Tage vorher ein solches Blumenthier gesehen zu haben, welches überall mit Jungen bedeckt gewesen sei; das alte Blumenthier sei darauf fortgerutscht, habe die junge Colonie an einem andern Orte abgesetzt und sei dann auf seinen alten Platz zurückgekehrt, und diese Beobachtung behauptete er in allem Ernste gemacht zu haben. Das wäre ja von einem Korallenthiere eine große Geistesthat und eine höchst interessante Beobachtung, wenn sie nur mehr Wahrscheinlichkeit für sich hätte. Nach der Entwickelungsstufe aller Pflanzenthiere, insbesondere der festsitzenden, und nach dem Larvenleben der Seerosen kann man diesem Berichte vorerst nur wenig Glauben schenken.

G. H. Schneider.


Das Chloroformiren der Pflanzen. Am 11. Februar wird ein Jahr vergangen sein seit dem Tage, da der größte Physiologe Frankreichs und vielleicht seines Jahrhunderts, Claude Bernard, sein verdienstvolles Leben beschlossen. Um die Erinnerung an ihn frisch zu erhalten, wollen wir einige interessante Experimente mittheilen, die er kurz vor seinem Hingang über die Reizbarkeit der Pflanzen anstellte. Wenn die Pflanzen, dachte er, ähnliche Reizbarkeit wie die Thiere besitzen, dann müßten sie dieselbe unter der Einwirkung narkotischer (betäubender) Stoffe verlieren. Bernard wählte zu diesem Zwecke Aether und Chloroform, und der Erfolg der Versuche war überraschend.

Bekanntlich giebt es fleischfressende Pflanzen, deren Blätter mit der Fähigkeit ausgestattet sind, sich bei leiser Berührung zusammenzuziehen; setzen wir sie aber dem Einfluß der Chloroformdämpfe aus, so verlieren sie diese Eigenschaft, um nach kurzer Zeit sich wieder zu erholen und wie früher zu functioniren. Sie waren also betäubt, eingeschläfert durch das Chloroform.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß die grünen Pflanzenzellen unter dem Einfluß des Sonnenlichtes athmen, das heißt daß sie Kohlensäure absorbiren und Sauerstoff ausstoßen. Taucht man aber die Blätter in Wasser, in dem sich Aether oder Chloroform befindet, so werden die grünen Theile betäubt; ist diesem Zustande den Sonnenstrahlen ausgesetzt, athmet die Pflanze wie in der Nacht, sie absorbirt Sauerstoff und haucht Kohlensäure aus. Entfernt man aber das Chloroform, so erwacht die Pflanze aus ihrem Schlummer, und die grünen Zellen arbeiten wie früher.

Kinder pflegen Erbsen in’s Wasser zu werfen, um zu sehen, wie sie aufquellen und dann zu keimen zu beginnen. Nehmen wir dazu Wasser, das mit Chloroform vermengt wurde, so sehen wir freilich unter der mechanischen Einwirkung der Flüssigkeit die Erbsen aufquellen, aber nicht keimen. Dagegen gewinnen sie ihre Entwickelungsfähigkeit sofort wieder, wenn sie in reines Wasser geworfen werden.

Das Geheimniß der Gährung ist insofern aufgeklärt, als wir wissen, daß die Zuckerlösung durch kleine, einzellige Pilze, die unsere Hefe bilden, in Alkohol und Kohlensäure zerlegt wird. Nehmen wir nun frische Hefe und tauchen sie in eine Zuckerlösung, zu der Aether oder Chloroform hinzugemengt wurde, so treten keine Gährungserscheinungen ein. Die Hefe arbeitet nicht, sie ist betäubt; sie schläft. Waschen wir aber dieselbe Hefe aus und bringen sie in chloroformfreie Zuckerlösung, so beginnt sie sofort zu arbeiten und verwandelt den Zucker in Alkohol und Kohlensäure.

Wir sehen, was uns ein vollständiges Räthsel gewesen, das Fühlen der Pflanzen beginnt an einem Punkte wenigstens sich zu klären. In das dunkle Gebiet, auf dem in der Phantasie unserer Vorfahren Elfen und Zwerge sich tummelten, hat die Sonne der Wissenschaft einen Strahl geworfen. Hoffen wir, daß es den Nachfolgern Bernard’s bald gelingt, das Verhältniß zwischen dem thierischen und pflanzlichen Leben genau zu erforschen!



Nachträgliches. Bezüglich unseres Feuilleton-Artikels „Ein Unterrichtsmittel für Schule und Haus" (Nr. 51, 1878) geht uns vom „Geographischen Institut“ im Weimar die Mittheilung zu, daß der Preis für die dort erwähnten mit Reichspatent versehenen Erdgloben nicht, wie irrthümlich angegeben wurde, 23 bis 24 Mark, sondern 2 bis 53 Mark (je nach Größe) beträgt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_092.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)