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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

von Herz und Charakter anständiger Frauen herausbilden konnten. Ich habe mir durch mein ganzes bisheriges Leben den Glauben an die edle Natur des Weibes zu erhalten gesucht, und würde aus tiefstem Grunde meines Herzen nur wünschen, daß ich ihn nicht aufzugeben brauchte. Ich möchte dann nicht mehr leben.“

Tiefe Überzeugungen, wie die Erich’s, so schmucklos sie auch geäußert werden mögen, verfehlen ihre Wirkung nie. Lideman fühlte sich in seinen weiteren Ausführungen so gehemmt, daß er durch einige entschuldigende, unzusammenhängende Worte sich seinen Rückzug deckte. Er nahm die Miene des Weltschmerzes an, sprach von allerdings sehr schmerzlichen Erfahrungen, von seinem Herzen, als einem Grabe, an dem mehrere Frauen die Todtengräber waren, und kam schließlich auf seine Offerte zurück.

„Wenn ich vorhin noch, ich gestehe es ja, schwankend war,“ lautete Erich’s Bescheid, „wenn auch mir dasjenige, nach dem, um ein Dichterwort zu gebrauchen, sich Alles drängt, verführerisch erschien – ich könnte dadurch meine Frau über so Manches heben; ich habe ein Kind, an das ich dachte – aber selbst angesichts dieser Rücksichten gestatten Sie mir jetzt Ihren freundlichen Vorschlag abzulehnen.“

Damit war die Sache abgeschlossen. Lideman versuchte dagegen noch sehr lebhafte Einwendung zu machen – es war vergebens. Das Herz hatte Rechting den richtigen Weg gezeigt. Er sagte mit dieser Willensäußerung, daß er doch noch andere Bande kenne, welche zwei Herzen zusammen zu halten vermöchten, daß er noch eine Macht anerkenne und verehre, die Gott in das Herz des Weibes gelegt. Zugleich aber war Erich die tiefe Kluft sittlicher Anschauungen zwischen ihm und dem bisherigen Hausfreunde vollkommen aufgegangen. So klar, so scharf wie jetzt, hatte sich deren Vorhandensein bei ihm zuvor niemals kund gegeben. – –

„Lideman ist für uns kein ganz passender Umgang,“ äußerte Rechting zu seiner Frau, als der Präsident gegangen war.

Statt aller Antwort fühlte sich Erich von den Armen seiner Frau umschlungen; lieb und gut, wie einst in ihren glücklichsten Zeiten, lächelte sie ihn an, und der Zauber eines verschämten naiven Mädchens sprach aus ihr, als sie ihm vertraute, daß sie hinter der Portière das ganze Gespräch mit angehört habe.

„Wie danke ich Dir, daß Du nichts von ihm angenommen hast, daß Du Dich nicht durch seine Anerbietungen hast verleiten lassen! Ja, ja, ich war oft schwach und kleinlich. Jetzt weiß ich erst, wie weh ich Dir gethan haben mag. Ich will mich ja doch in Allem bescheiden, in Alles fügen, und wenn ich auch entbehren müßte. Denke nicht, mein Erich, daß Du so eine abscheuliche Frau hättest, wie er sie schildert. Hätte ich geahnt, daß er so von uns, von mir denkt, dann würde ich nie gegen ihn freundlich gewesen sein. Ich mußte da in meinem Verstecke immer an mich halten, um nicht hervorzutreten, um nicht Protest einzulegen. Und nun erlaube mir, daß ich mich recht schäme. Aber vor dem Präsidenten, vor dem fürchte ich mich jetzt fast.“




5.

Das war einer der Augenblicke gewesen, wo Erich seiner Frau hätte um den Hals fallen und sie um Verzeihung bitten mögen, daß er sie nicht noch mehr lieben könne, als er es schon thue. Wenn Doris dagegen hätte sagen sollen, was sie bewogen hätte, in dem entscheidenden Momente so zu handeln, würde sie wohl die Antwort schuldig geblieben sein. Sie wußte es selbst nicht. Es war eine Eingebung, eine jener divinatorischen Regungen in der Seele eines Weibes, die den richtigen Ausweg plötzlich da findet, wo ihn die Gedanken eines Mannes oft vergebens suchen. Sie empfand nur das aus dem Vorschlage Lideman’s heraus, daß dieser einen Vorwand, eine Gelegenheit suchte, die Klingel ihres Hauses jeden Tag ziehen zu dürfen. Früher, als sie noch in glänzenden Verhältnissen lebte, hatte sie ruhig die Gefahr ignorirt, welche das Benehmen Lideman’s ihr gegenüber darstellte, und so hatte sie unbefangen mit ihm verkehren können. Jetzt fürchtete sie sich. Als sie Lideman’s Worte vernahm, mit denen er Erich zu umstricken suchte, sah sie seine dunklen Augen mit dem bläulichen Weiß, seine vollen, über den weißen Zähnen halb geöffneten Lippen immer näher an sie heran kommen; sie fühlte den Hauch derselben, mit dem es sich, wie ein fremder Geist und Willen, in sie niedersenken wollte. Eine unaussprechliche Angst überkam sie, und im Geiste stieß sie den Gefährlichen zurück. – –

„Nun hat Doris Alles überwunden, nun ist sie so geworden, wie ein Mann zu seinem Glücke eine Frau nur wünschen kann.“ Das sagte Erich einige Zeit nach diesem Vorfalle zu der einzigen Vertrauten, die er für solche Herzensbekenntnisse sich erwählt hatte, zu Regina.

„Das ist Alles, was man für Sie erbitten oder dessen Dauer man Ihnen wünschen kann,“ war deren Antwort.

Ueber ihre Augen, die vor wenigen Secunden, als sie ihn begrüßte, noch so klar, so hell, so freudig auf ihm geruht hatten, fiel es plötzlich wie ein Schleier. Obwohl sie gekommen war, um den Abend dort zu bleiben, hatte sie wieder die Thürklinke erfaßt. Erich wollte sie zurückhalten; seine Hand berührte die ihre. Diese zitterte.

„Ist Ihnen nicht wohl, Regina? Ihre Hand zittert.“

„Fieber, ein bischen Fieber,“ preßte sie heraus. „Das Alleinsein zu Hause – mit mir – ist das beste Heilmittel. Ich muß fort.“

„Und Sie wollen Doris nicht sehen?“

„Sie ist bei Liddy. Ich will sie nicht stören. Bringen Sie ihr meinen Gruß!“

„Ich hätte sie nicht sehen können,“ sagte sie für sich, als sie das kleine Haus im Rücken hatte. „Ich hätte sie mit dem Auge des Hasses anschauen müssen.“

Vier Wochen darauf war es wieder anders. Da hatte es zwischen den Eheleuten eine Scene gegeben. Warum? Als Erich vom Bureau nach Hause kam, trat ihm Doris strahlenden Auges entgegen – mit einem Kinderkleidchen in der Hand. Sie hatte es selbst gemacht, während sie früher diese Dinge fertig gekauft hatte. Sie hatte die Stunden der Nacht geopfert, denn das Kind sollte an seinem Geburtstage damit erfreut werden. Sie war stolz auf ihr Werk, stolzer noch, daß ihr die Arbeit ein Opfer an Ruhe und Bequemlichkeit gekostet hatte.

War Erich von Arbeit abgespannt, oder hatte sonst etwas ihm den Sinn getrübt – genug, Doris glaubte, daß er an ihrer Arbeit nicht den gebührenden Antheil nehme, die Selbstüberwindung verkenne und die Mühe, mit der sie sich in die neuen Verhältnisse einzufügen suche. Nun kam es zu Anklagen, Vorwürfen; Erich wurde heftig; er kehrte ihr seine Manneswürde heraus; Doris schmollte Tage lang. Es war um diese Zeit das erste Mal in seiner Ehe, daß er des Abends nicht bei seiner Frau zu Hause blieb. Er nahm seinen Hut und ging weg. Wohin? Das wußte er selbst nicht.

Ein beladen Herz ist ein irrend Ding – selten mit bestimmtem Ziel. Plötzlich sah Erich sich in der Straße, wo Regina wohnte. Einige Häuser weiter war ihre Nummer. Die kannte er, da er die Freundin so manchmal des Abends nach Hause geleitet hatte; über ihre Schwelle war er aber nie gekommen. Oben in zwei niedrigen Fenstern brannte Licht. Es konnten nur die ihrigen sein. Er wußte ja, daß sie vorn wohnte, „hoch über den Häuptern der Menschen, wo alle superioren Naturen ihre Schlafstellen haben“, wie sie einst geäußert hatte, nämlich über vier Treppen. Plötzlich sah er sich auf dem letzten Treppenabsatz – er sah nur vor sich in dunklen unbestimmten Umrissen eine Thür und an dieser umhertastend griff er ein rundes Porcellantäfelchen. Aber die Schriftzüge auf demselben vermochte er in der Dunkelheit nicht zu entziffern. Er machte sich mit Hülfe eines Taschenfeuerzeuges Licht und erfaßte rasch auf dem Täfelchen den Namen. Regina Desancto. Dann drückte er leise auf die Klinke; diese gab nach; die Thür war offen; die Lampe brannte in der Stube, aber diese schien leer.

Da hörte er über sich Laute von Stimmen, zuerst einer männlichen, dann Regina’s. Er öffnete die Thür wieder, die nach dem Corridor hinausging, und stieg leise die Stufen der engen Treppe hinauf. Er wollte wissen, was da oben vorging. Von der drittletzten Stufe konnte er in eine Stube sehen, in die Stube des Herrn Warbusch. Die Thür war offen, auch das breite Fenster, gerade wie damals, da Regina zum ersten Male hier eingetreten war als rettender Engel – nur war heute der Himmel, der in das kleine Observatorium schaute, reiner und sternenreicher als in jener Nacht. Regina saß vor dem Teleskop, und Herr Warbusch, in dem Erich den vorletzten Miether des Planethenhäuschens erkannte, stand neben ihr und gab ihr Erläuterungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_075.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)