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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

von der Welt abschließt, da fühlte ich mich stark. Und als ich wieder zum Kloster hinblickte, da fühlte ich, als würden meine Arme und meine Brust von Stahl! Dort will ich den Tod erwarten, sagte ich mir und schritt festen Schrittes zum Kloster hinauf. Und als ich droben unter dem Kastanienbaum stand, warf ich über jene Berge hinaus der Welt meine Verachtung zu.

‚Lebet wohl, Ihr Eitlen,’ rief ich, ‚Ihr Verdächtigen, Ihr Kleinen und Erbärmlichen, Ihr hochmütigen Neider, Ihr niedrigen Hasser und Verleumder, Ihr Treulosen, Ihr Feinde ohne Größe noch Muth! Jetzt bin ich befreit von Euch. Ihr reichet nicht zu den Adlern herauf.’ –

Und so,“ setzte er leiser hinzu, „so ward ich ein Kapuziner.“

„Habt Ihr hier den Frieden gefunden, Pater Gregor?“ fragte ich zögernd.

Da sah er mir mit seinen Feueraugen in die neugierige Seele hinein: „Ich habe nur die Einsamkeit gesucht, und diese habe ich hier gefunden,“ sagte er.

„Pater Gregor,“ bat ich, „gebt mir eine rauhe Arbeit, die mich ermüdet!“

Er griff wieder in seinen Bart und sagte dann: „Es fließen beständig die Wasser am hintern Felsen herab; grabe längs der Gartenmauer eine Rinne, damit sie sich nicht stauen, sondern frei hinunter fließen! Und – studire nicht so eifrig die Malerei! Gehet jetzt, Pater Josias, und wenn Ihr wieder in innere Nöthe gerathet, so saget es mir!“

„Wie kann ich Euch für so viel Güte danken, Pater Gregor?“

„Ich thue nichts für Dank, Pater Josias, aber wenn Ihr ein dankbares Gefühl für mich hegt, so bringet es zum Ausdruck, indem Ihr mich nichts mehr über mein Leben, noch über meine Seele fragt!“

Darauf entließ er mich mit einem stummen Gruße.

Ich schlich wie ein Träumender in meine Zelle. Die Sonne ging hinter Wolken unter und die Nebel umfingen langsam die Bergspitzen; dann kam die Dämmerung und das Abendgebet. Als ich in die Capelle trat, waren die Mönche schon versammelt.

„Pater Josias, könnt Ihr jetzt vorbeten?“ fragte Pater Gregor.

Ich öffnete das Buch und las; er selbst las die antwortenden Strophen; seine Stimme klang noch tiefer und reicher als sonst und kräftigte mir die Seele, und als das Gebet zu Ende war und ich zu ihm hinüber blickte, sah ich, daß sein Gesicht von Blässe überhaucht war. Aber es war keine Schwäche. Denn als er aufstand und den Blick erhob, war er der Mann, vor dem die Mönche ihren Blick zu Boden schlugen.

Mit Hacke und Schaufel ging ich am nächsten Tage hinter den Garten; ich grub tiefer, als es nöthig war, und legte die Rinne mit Steinen aus, damit diese Arbeit recht lange Zeit erfordere. Ich fand Gefallen an dieser Beschäftigung, und hätte ich nicht die braune Kutte auf mir gehabt, ich würde für Augenblicke mich frei geglaubt haben. Der Duft der Tannen drang zu mir her; zarte weiße und gelbe Alpenblumen hoben mir zur Seite ihre Sternenköpfchen aus dem Grase, und über meine Schaufel schlüpften schillernde Eidechsen. Ich trank die Luft, als wäre sie Wein, und oftmals hätte ich laut hinausrufen mögen: Süße Natur, ich liebe dich. Und ich preise mich selig, daß ich lebe und dein Kind bin.

Aber diese Arbeit ermüdete mich nicht, sie that das Gegentheil: sie erfrischte mir das Blut und stärkte meine Glieder, und wenn ich zum Gebet in die Capelle trat, dann sank mir ihre Armuth und die Blässe der Mönche schwer auf’s Herz. Wie viele von ihnen, fragte ich mich im Stillen, haben gekämpft, wie ich kämpfe? Wie viele haben sich in Ergebung ertödtet, wie viele sind in Erbitterung gealtert! Wie viele von ihnen sind glücklich, und wie viele sind elend! Und wie viele hat die Zeit stumpf und kalt gemacht!

Pater Gregor war gegen mich nicht freundlicher und nicht strenger, als gegen die Anderen, und hätte ich von jener bedeutungsvollen Unterredung mit ihm nicht einen feurigen Stachel in der Brust behalten, ich würde sie für einen Traum gehalten haben. Nichts an ihm zeigte, daß er noch eine Erinnerung daran habe.

Nach vierzig Tagen hatte ich die Abzugsrinne beendet. Als ich den letzten Stein in die Erde gedrückt, setzte ich mich nieder: „Jetzt mußt du Abschied nehmen von der Natur,“ sagte ich mir. Und da die Dinge, welche wir verlassen müssen, in der Abschiedsstunde immer am schönsten sind, so kam jetzt ein Zwiespalt in mein Herz, ein grausamer Zwiespalt. – Leben, Leben, du ziehst mich an dich mit weichen, unsichtbaren Händen und bethörst mir die Seele, wie eine sanfte Musik. Ich sitze unterhalb des Klosters; die Dämmerung kommt; Niemand sieht mich; die Sehnsucht und das böse Gewissen werden mir Flügel geben – ich fliehe aus diesem trostlosen Kerker und bin frei. Aber du Mann dort oben hinter der Klostermauer, du gebeugtes Haupt, du Feuerauge, du geheimnißvoller Pater Gregor, du fesselst mich. O, entsetzlich litt ich in jener Stunde! Aber als sie vorüber war, nahm ich Hacke und Schaufel auf die Schulter und stieg zum Kloster hinan. Und in der Nacht, die auf jenen Abend folgte, hatte ich ein seliges Einschlafen.

Mein Kerker schien mir am nächsten Tage weniger düster, und ich war ruhig im Gemüth. Während vierzig Tagen hatte ich nicht ein einziges Mal zu Maria, die über’s Wasser geht, hingeblickt. Wenn ich an dem Bilde vorbeiging, schloß ich die Augen; das Herz klopfte mir entsetzlich, und alle meine Nerven geriethen in Erschütterung. Und wenn ich das Bild dann hinter mir hatte, athmete ich tief auf, wie Einer, der einer Gefahr entging. Und doch – ich wage kaum es zu sagen, obschon mein Gefühl kein unheiliges war – hatte ich eine Empfindung, als ob Maria unzufrieden mit mir sei, weil ich sie nicht mehr ansah. Dann bat ich sie im Herzen um Verzeihung.

(Schluß folgt.)




Zur socialen Selbsthülfe.


Ein halbes Jahr etwa ist es her, daß in der „Gartenlaube“ die Mahnung an die deutschen Arbeitgeber erging, durch positives, auf Hebung der Arbeiter gerichtetes Wirken das Ihrige zur Herbeiführung des socialen Friedens zu thun. Eine ähnliche Aufforderung richtete in der Reichstagssitzung vom 17. September 1878 der durch seine humanitäre Wirkthätigkeit bekannte Elsässer Industrielle Jean Dollfus an das Bürgerthum, und eine Reihe von Stimmen unterstützte in der Tagespresse jene Mahnrufe. Daß sie Anklang fanden, wer will es bezweifeln? Sprachen die von Einzelnen gesprochenen und geschriebenen Worte doch nur die Empfindungen von Tausenden aus!

Man würde sich aber täuschen, wollte man glauben, daß die bisherige Agitation viel mehr gethan habe, als das Interesse für die Arbeiterfrage zu festigen bei denjenigen, die schon vorher ein Herz dafür hatten, zu werben bei einem Theile derjenigen, welche bisher der Sache gleichgültig gegenüberstanden. Der gute Wille ist gewiß gefördert, der große Schritt vom Gedanken zur That aber ist es, worauf es ankommt, und die That darf, wenn der Zweck, um den es sich handelt, in einigermaßen befriedigender Weise erreicht werden soll, keine vereinzelte sein. Dasjenige, was bereits früher von einzelnen Arbeitgebern gethan worden ist, war ja gar nicht unbedeutend, der Erfolg aber war ungenügend, weil die Allgemeinheit fehlte und die Gemeinsamkeit, ohne welche ein großer Theil der in Angriff zu nehmenden Aufgaben gar nicht zu lösen ist; ich erinnere nur an Pensionscassen, Veranstaltungen zur Förderung der Erziehung der Handwerkslehrlinge und Aehnliches. Einen wirklich praktischen Erfolg kann die Bewegung also erst dann gewinnen, wenn die Masse des Bürgerthums und besonders der Arbeitgeber zu gleichzeitigem und, wo dies nöthig ist, zu gemeinsamem Vorgehen angeregt wird.

Ein bedeutsamer, viel versprechender Schritt in dieser Richtung ist nun soeben gethan worden. An die deutschen Arbeitgeber wie an alle Freunde des Arbeiterstandes ist ein Aufruf ergangen zum Beitritt zu einem Verein, der sich „die geistig-sittliche Hebung und die möglichste Sicherung der materiellen Existenz der Arbeiter“ zur Aufgabe macht. Neben einer Anzahl von Vereinen und Vereinsvorständen haben diesen Aufruf unterzeichnet hervorragende Politiker, welche Interesse und Verständniß für die sociale Frage haben, darunter der Feldmarschall Graf Moltke, durch Wohlfahrtseinrichtungen für ihre Arbeiter bekannte Industrielle und Landwirthe und einige sonstige bewährte Freunde des Arbeiterstandes. Alle Theile Deutschlands, alle kirchlichen, politischen und wirthschaftlichen Richtungen, die extremen ausgenommen, sind hier durch rühmlich bekannte Namen vertreten.

Zu dem diesem Aufrufe beigegebenen Statutenentwurfe für den Verein, der den Namen „Concordia, Verein zur Förderung des Wohls der Arbeiter“ tragen soll, heißt es in § 1: „Zweck des Vereins ist Beförderung aller auf Erhöhung des Wohles der Arbeiter gerichteten Bestrebungen.“ § 2 lautet: „Der Verein sucht diesen Zweck zu erreichen: 1) dadurch, daß er den Arbeitgebern Anregung und Anleitung zur Schaffung von Einrichtungen giebt, welche geeignet sind, die Arbeiter in geistig-sittlicher, wie in materieller Beziehung zu heben. Die Thätigkeit des Vereins hat sich daher im Speciellen auf Gründung, Hebung und Förderung von allgemeinen und fachlichen Fortbildungsschulen, Bildungsvereinen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_071.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2018)