Seite:Die Gartenlaube (1879) 063.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Theorie ausgebildet. Man ist zu der unumstößlichen Ansicht gelangt, daß das Leben der Zelle überhaupt die Grundlage aller Lebensfunctionen im Pflanzen-, im thierischen und menschlichen Organismus bilde.

Nicht nur für den gesunden Körper, auch für den erkrankten wurde das Leben der Zelle als Basis angenommen, welche Anschauung insbesondere von dem berühmten Arzte und Naturforscher Rudolph Virchow vertreten wird. Derselbe schuf unter dem Namen Cellularpathologie eine neue Lehre von der Erkrankung der zelligen Gebilde im menschlichen und thierischen Organismus. Verschiedene Arten krankhafter Umwandlung ließen nach dieser Theorie für viele Leiden die Ursachen in den Veränderungen der Zellen erblicken. Diese wissenschaftliche Richtung reichte jedoch zur Erklärung mancher Krankheitsprocesse, besonders zur Ergründung der Ursachen epidemischer Krankheiten nicht aus. Man suchte deshalb in jüngster Zeit nach anderen Krankheitsursachen und fand, durch geeignete Untersuchungsmethoden und treffliche optische Vergrößerungsinstrumente unterstützt, daß die Ursachen vieler, besonders der in Rede stehenden Krankheiten auf Einwanderung von Pilzkeimen in den menschlichen Organismus beruhen. Diese durchleben im Körper des Menschen und der Thiere ihren Entwickelungsgang, indem sie sich zu Millionen und Milliarden vermehren, wodurch Reizzustände und Zersetzung der Säfte in den feinsten Geweben des menschlichen Körpers hervorgerufen werden. Nimmt die Vervielfältigung dieser organisirten mikroskopischen Gebilde so enorm zu, daß der Körper für ihre Beherbergung nicht mehr ausreicht und sie die Säftebildung und Ernährung zu sehr beeinträchtigen, und sind nicht die geeigneten Mittel erkannt, jene Pilzkeime durch Gegengifte zu vernichten, so tritt Siechthum und unter Umständen der Tod ein.

Alle bis jetzt als Krankheitserreger erkannten Pilzformen gehören der Gattung der Spaltpilze oder Schizomyceten an. Im Weltreiche ist ihnen ihre Stellung von den Systematikern zwischen Thier- und Pflanzenreich angewiesen, denn sie wachsen wie die niedrigsten Pflanzen, wie die Algen und Pilze, freilich in bedeutend kleineren Formen, haben aber anderseits zur Zeit ihrer Fortpflanzung, indem sie sich in kleine Stäbe und Punkte auflösen, eine eigentümliche schnellend-taumelnde Fortbewegung, welche sie den Infusorien ähnlich macht. Daher kommt es, daß ein Theil der Naturforscher diese Gebilde dem Pflanzenreich, ein anderer Theil sie dem Thierreiche in seinen niedrigsten Entwickelungsformen zuzählt, viele aber sie weder dem Pflanzen- noch dem Thierreiche zusprechen, sondern für sie ein ganz neues Reich geschaffen haben.

Bei der kaum faßbaren Verbreitung dieser Gebilde im Weltall ist solche Absonderung für sie nicht unbegründet; in jedem Athemzuge, den wir thun, mit jedem Schluck Wasser, welchen wir zu uns nehmen, mit vielen Speisen, die wir als Nahrung zur Erhaltung des Lebens uns zuführen, wandern Tausende und Abertausende solcher Gebilde in den Organismus ein, freilich meist ohne Schaden anzurichten, denn nur bestimmte Gattungen dieser niederen Geschöpfe sind darauf angewiesen, im menschlichen und thierischen Organismus ihr Fortpflanzungsgeschäft auszuüben und durch ihre enorme Vermehrung dort Krankheiten hervorzurufen. Man nennt diese mikroskopischen Lebewesen Bakterien und Mikrokokken. Die Bakterien (Fig. 1a) zeigen sich unter dem Mikroskope, bei

Fig. 1. Verschiedene Bakterien- und Mikrokokkusformen.
(Vergrößerung 700fach linear.)

einer 700fachen linearen, das heißt circa 490,000fachen Flächenvergrößerung, als bewegliche Stäbchen von etwa 1 bis 2 Millimeter Länge und circa 1/5 Millimeter Breite, in Wirklichkeit also von 1/700 bis 1/350 Millimeter Größe. Die Mikrokokken sind weit kleinere, bewegliche Pünktchen (Fig. 1b), welche zu den Bakterien in einer verwandtschaftlichen Beziehung stehen. Der wirkliche Durchmesser einer Mikrokokke variirt zwischen 1/1000 und 3/1000 eines Millimeters.

Die Bakterien vermehren sich durch fortwährende Zweitheilung und sind entweder frei, oder in Reihen an einander gekettet, oder zu gallertartigen Klümpchen vereinigt, welche man mit dem Namen "Zoogloea" bezeichnet (Fig. 1c). Es finden sich in diesen Zoogloea-Massen sowohl rundliche Gebilde (Mikrokokken) als auch Stäbchen (Bakterien), welche sich theils in Ruhe befinden, theils sich drehen und winden und zu bestimmten Zeiten aus ihrer Gallerthülle herausschwärmen. Bei diesem Ausschwärmen hat man häufig die Beobachtung gemacht, daß die Bakterien, sobald sie ausgeschwärmt sind, in spiralige Schlangen, sogenannte Spirillen (Fig. 1d) umgewandelt erscheinen und ungemein hurtig über das Sehfeld des Mikroskopes vorüberhuschen. Wie jene Umwandlung vor sich geht, und welche Bedeutung sie für den Lebensact dieser niederen Gebilde hat, ist bis jetzt noch nicht endgültig gefunden worden.

Die erwähnten Geschöpfe sind meist farblos, äußerst durchsichtig und von unendlicher Kleinheit, wodurch die Untersuchung ihrer Lebensbedingungen bislang sehr erschwert wurde. In neuerer Zeit aber wurden die einschlägigen mikroskopischen Arbeiten durch die Anwendung der Anilinfarben bedeutend erleichtert. Wenn man nämlich zu einem Tröpfchen Flüssigkeit, welche Bakteriengebilde enthält, eine Spur Anilinfarbe zugiebt, so saugen die Bakterien das Anilin sofort mit großer Behendigkeit auf und färben sich je nach der benutzten Farbe grün, blau, roth oder braun. Dadurch werden sie in ihrer Form sehr genau sichtbar und können nicht nur gezeichnet, sondern auch nach der Methode photographirt werden, welche wir vor einiger Zeit (Nr. 41, 1876) in der "Gartenlaube" beschrieben und abgebildet haben.

Die natürliche Uebertragung der Bakterien geschieht vornehmlich durch Feuchtigkeit, besonders durch verdunstendes Wasser. Die kleinen Wesen werden bei der Verdunstung zahlreich mit in die Luft emporgerissen und lassen sich dann, dem menschlichen Auge unerkennbar, als Bakterienwolken da und dort nieder, entweder in harmloser Weise ihr Fortpflanzungsgeschäft in der Natur ausübend, oder den Organismus der Menschen und Thiere befallend, wodurch dann gewisse Krankheiten hervorgerufen werden. Von der leichten Uebertragbarkeit der Bakterien kann man sich einen Begriff machen, wenn man ein mit bakterienhaltiger Flüssigkeit gefülltes Glas mit einer Platte bedeckt; wenn nach einiger Zeit die Unterseite derselben sich mit Dunst beschlagen hat, so kann man mit dem Mikroskop leicht die Bakterienkeime in demselben wieder nachweisen.

Wie sehr die Luft mit Bakterienkeimen und Mikrokokken angefüllt ist, beweist unsere Fig. 2. Dieselbe zeigt eine Anzahl

Fig. 2. Faulendes Blut.
(Photoxylographie-Vergrößerung 700fach linear.)

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_063.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)