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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Anzuge. Sie hatte bis auf einen ganz geringen Theil alle ihre kostbare Garderobe verkauft. Erich hatte dagegen Einspruch zu erheben versucht; mit ihm verbündete sich Regina, aber gerade dieses Abmahnen bestärkte Doris in ihrem Entschlusse. Sie wurde eigensinnig, bitter in ihrer Stimmung.

„Du sagst ja selbst, daß wir uns auf völlig neue Verhältnisse einrichten müssen. ‚Dein Kleid entspreche deinem Leben und Denken’ – sagt das Wort eines Weisen, dem ich folge. Was sollen mir jetzt diese Zeugen einstiger Herrlichkeit? Arme Leute brauchen sich nicht mehr zu schmücken; für diese genügt ein Leinwandkleid. Und es ist besser so, Erich; ich würde durch diese Roben nur an das Einst erinnert werden und – man muß doch einmal vergessen.“

„Eine Perle von einer Frau!“ rief die Nachbarschaft, die gar bald erfahren hatte, warum der Eigenthümer des „Planetenhäuschens“ den bisherigen Inwohner desselben ausgemiethet hatte. Das Haus hieß in der Umgegend so, weil das Planetensystem, allerdings in sehr fragwürdiger Weise, über dem mittleren Fenster aufgebracht war. Darum hatte es auch Herr Warbusch zu seiner Wohnung erwählt und hatte lange Jahre darin gehaust, bis der Assessor dem bisherigen Miether, dem alten einsamen Junggesellen, die Wohnung zu kündigen veranlaßt war. „Ein Juwel,“ sagte man von Doris, „ein Weib, das man für alle anderen Frauen als mustergültiges Beispiel hinstellen muß, wenn man die schöne Frau früher stolz zurückgelehnt in die Kissen ihres Wagens hier vorüberfahren sah und sie nun beobachtet, wie sie ihre eigene Equipage fährt, das heißt den Wagen ihres Kindes, und sich an die feine Promenade setzt und Handarbeiten macht und dabei den Schlaf ihres Kindes behütet, wie es eine gute Mutter thun muß!“

Das hätte Doris nun nicht nöthig gehabt – den Kinderwagen hätte ebenso gut das Kindermädchen ziehen können, wenn es überhaupt nöthig war. Denn hinter dem kleinen Landhause war ein ziemlich großer Garten, welcher der kleinen Liddy Luft und Licht in hinreichendem Maße zugeführt hätte. Aber es war in dem Gebahren von Doris in den neuen Verhältnissen ein Übereifer, ein Bestreben, das über jedes Maß hinaus ging, und das nur die schmerzliche Erinnerung an die Vergangenheit, die innere Unbefriedigtheit und Vergrämung bloßlegte. Jede andere Frau von demüthigerem und ergebenerem Charakter würde es vermieden haben, die Orte aufzusuchen, wo sie ihren früheren Gesellschaftsgenossen begegnen mußte. Allerdings – und darin hatte sie wieder recht – brauchte sie das Auge der Welt nicht zu scheuen – sie und ihr Mann waren völlig intact aus den früheren glänzenden Verhältnissen in das Dunkel gegangen. Doris aber war gewohnt, zu glänzen, bewundert zu werden. Da sie das nicht mehr im Salon genießen konnte, that sie es an der offenen Heerstraße. Sie wollte der Welt zeigen, warum sie nicht mehr zu ihr gezählt werden konnte; sie wollte hier ein Beispiel der vollsten Selbstbescheidung geben und verrieth nur ihren Hochmuth, ihre Gefallsucht, ihre Lüsternheit nach dem Verlorenen. Die Weltdame kokettirte mit der Mutter.

Rechting hatte für sich und seine Frau alle gesellschaftlichen Verpflichtungen, die nicht mehr im Bereiche seiner Mittel lagen, abgebrochen. Regina unterließ nicht, ihn auf das Gefährliche dieser Maßregel aufmerksam zu machen. Der Contrast gegen das Sonst sei bei Doris zu unvermittelt – die Klugheit gebiete, doch hier und da Ausnahmen zu machen – Ausnahmen, die selbst mit beschränkten Mitteln auszuführen seien. Rechting entgegnete darauf, daß ein Princip darin festzustellen nöthig sei, denn gerade diese Ausnahmen seien der versteckte Weg zur Regel. Doris müsse sich in das Unabänderliche fügen.

„Dann machen Sie es, wie Sie wollen,“ versetzte Regina. „Ich will nichts mehr darüber sprechen – Ihr Männer seid alle in dem unverbesserlichen Hochmuth befangen, daß ein Frauenherz eine Weidengerte sei, die sich fügen und formen lassen müsse, wie es gerade nur immer bon plaisir ist. Ein Frauengemüth ist ein Ding, das sein eigenes Gesetz hat und seine eigene Art will, die Ihr Alle nicht ergründet. Ihr wollt Selbstständigkeit bei einer Frau haben, und verlangt, daß sie in Allem Euer gefügiges Werkzeug sei, unterthan Eurem Willen, wie Euren Launen, Ihr wollt aber zu gleicher Zeit ein weiches, sanftes Herz, und greift jeden Augenblick mit brüsker Hand hinein, den Schlag desselben hemmend, seine Lebensfähigkeit beschränkend. Aber das Alles sind Dinge, die Euch hundertmal schon und viel besser gesagt worden sind, ohne daß es etwas gefruchtet hätte. – Komm, Doris – Du sollst nicht wie eine Nonne in Deinen vier Mauern eingesperrt sein; Du sollst mit der Schönheit und dem Reize der Welt wieder in Berührung kommen. Ich habe hier zwei Concertbillets – es sind keine gekauften, denn sonst bekäme Dein Mann wieder die Angst. Es sind Freibillets, die ich meiner Kunst verdanke. Einen Violinspieler, der an seiner Geige sich einen Buckel gespielt hatte, habe ich wieder für’s Leben aufgerichtet, daß er jetzt Flügelmann in einem preußischen Garderegiment werden könnte. Komm mit mir, Doris! Wir wollen den herben Mann einmal allein mit seinem Actenkram zu Hause lassen. Nun – willst Du?“

Doris warf einen prüfenden Blick auf ihren Mann. Der rauchte seine Cigarre, holte ein Buch vor und sagte kein Wort. Sie hatte gehofft, er würde sie auffordern, mit Regina zu gehen. Er that es aber nicht.

„Ich danke Dir, Regina,“ sagte Doris. „Du weißt ja, wie ich die Musik liebe, aber –“ Ihre Lippen preßten sich bei diesen Worten zusammen. „Du bist so gut, Regina, daß Du mir eine Freude machen wolltest, und eine solche wäre es gewesen, aber Erich scheint es nicht zu wollen. Ich gehe nicht – ich unterwerfe mich seinem Willen – wie es ja meine Pflicht ist.“

Die Thränen standen ihr in den Augen. Sie wollte es aber nicht zeigen und ging eiligst aus dem Zimmer.

„Regina, Sie reizen Doris gegen mich auf,“ sagte Erich mit finsterer Miene.

Regina schreckte bei diesen Worten zusammen, wie Jemand, der durch einen äußern Anruf zu dem innern Bewußtsein einer Gefahr gebracht wird. Sie wurde das Wort den ganzen Tag über nicht wieder los. Sollte Erich Recht haben? Wäre sie nur deswegen auf Doris’ Seite getreten, damit sie die Kluft zwischen den beiden Gatten erweiterte und aus dem Abgrunde ihres Glückes für sie eine Hoffnung aufstiege? Das nicht – von dieser Schuld durfte sie sich vor Gottes Augen, der in ihr Herz schauen konnte, lossprechen. Für Doris sprach das Weib in ihr; die Parteinahme für sie ging aus der Opposition gegen den Mann hervor, der in diesem Falle hart verfuhr. Vielleicht fühlte sie die Macht nur zu sehr, die Erich über ihr Herz gewonnen hatte. Um diese einzudämmen, suchte sie nach einem Grunde, um ihm einen Vorwurf machen zu können, um sich zu ihm in einen Gegensatz zu bringen. Sie bedachte nicht, daß die Gefahr einer Frau einem Manne gegenüber da beginnt, wo sie diese abwehren will, wo das Streitgefühl in ihr erwacht, und Regina befand sich mit ihrem Herzen in dieser Phase.

Jenes Wort Erich’s aber hatte in ihrem beiderseitigen Verhältnisse keine Folge. Ein Augenblick des Unmuthes hatte es erzeugt – der nächste Tag hatte es ihn und sie vergessen lassen. Erich begegnete ihr weiter mit der gleichen Freundlichkeit, demselben Vertrauen wie zuvor.

(Fortsetzung folgt.)




Bei den Kapuzinern in Palermo.[1]

In seinen „Italienischen Reisebildern“ aus den vierziger Jahren hat Dickens zu verschiedenen Malen hervorgehoben, daß die Italiener sich ihrer Todten mit einer gewissen auffallenden Eile und in den unteren Classen mit großer Lieblosigkeit entledigten. In letzterer Beziehung wird namentlich auf jene schauerliche Begräbnißweise hingewiesen, welche in verschiedenen Städten Italiens, besonders auch zu Neapel noch an der Tagesordnung ist, daß die Todten, hier und da ohne Sarg, in eine gemeinsame Grube geworfen werden, von denen im Ganzen 365 vorhanden sind, für jeden Tag des Jahres ein, die mit ihrem

  1. Nachdem wir in unserer vorigen Nummer einen orientirenden Artikel zur Feuerbestattungsfrage veröffentlicht, dürften im Anschluß daran die obigen Mittheilungen über eine eigenthümliche Beisetzungsweise nicht unwillkommen sein, welche zwar weniger eine culturhistorische als locale Bedeutung hat, immerhin aber als ein Beitrag zum Register der bestehenden Bestattungsformen dem allgemeinen Interesse sich nahe legt.
    Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_060.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2023)