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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 4.   1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.     
Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)


Der Ball fand statt. Es waren gegen zweihundert Einladungen ergangen. Doris widmete sich den Vorbereitungen mit vollem Eifer: Erich ließ sie in Allem gewähren. Jedermann hatte mit größter Beflissenheit sein Erscheinen zugesagt. Bei Rechting’s amüsirte man sich immer; bei Rechting’s gab es ausgezeichnetes Büffet und vorzüglichen Sect; bei Rechting’s fand man die heiterste Gesellschaft, die hübschesten jungen Frauen, die neuesten Toiletten und den angenehmsten Whisttisch.

Die Säle waren gefüllt und die Festlust hoch im Schwange. Die Geheimräthin von Wandelt war mit Elschen gekommen. Die Tochter glich der vortheilhaften Schilderung, die Doris dem Präsidenten von ihr gemacht hatte, und die Mutter der Bemerkung, welche jene über sie hingeworfen. Frau von Wandelt war an Gestalt, Geist, Gemüth und Tact um das Endchen zu kurz gekommen, das sie sich überall anzusetzen bemüht war. Sie trug mit Vorliebe einen Perlmutterschmuck, der den Eindruck von Perlen machen sollte. Die Magerkeit ihres Leibes umgab sie mit schweren Stoffen, die man irgendwo schon an einer Prinzessin gesehen haben wollte. In neuester Zeit trug sie Gefallen daran, sich ihr Haar in einer Titusfrisur arrangiren zu lassen. Trotz aller dieser Eigenschaften, die eine komische Figur hinreichend ausgestattet hätten, spielte sie in der Gesellschaft eine gewisse Rolle. Ehe man sie lächerlich fand, fürchtete man sie.

Sie war allein mit Else da. Ihren „lieben Mann“ hatte sie entschuldigt. Er wäre gern mitgekommen, wie sie behauptete – die Hummeraspics und die schweren Rheinweine mundeten ihm nirgends so gut als hier – aber der Arzt habe ihm gerade die Luft der Salons und die schweren Weine verboten. Und dann würde er in neuester Zeit immer so aufgeregt, wenn er im L’hombre verlöre. Als Frau habe sie gegen den Staat die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß nicht vor der Zeit dem Staate ein so vortrefflicher Beamter, wie ihr Mann, verloren ginge. Darum sitze er jetzt zu Hause und lege sich seine Patience darauf hin, ob sie und Else sich auch gut amüsirten.

„Das ist der hübscheste Ball, den Sie gegeben haben, meine theuerste Freundin,“ sagte sie zu Doris. „Dieses Silber – dieses Tischzeug — dieses Krystall! Und nichts davon geliehen! Diese himmelblauen Livréeen – und immer zwei davon auf dem Kutscherbock! Sie sind doch die glücklichste Frau der Erde!“

„Ich bin das Alles von Jugend auf so gewöhnt,“ antwortete diese. „Ich wüßte nicht, wie das anders sein könnte.“

„Und wie reizend sie wieder aussieht, die charmante Frau! Die Robe mit den Points d’Espagne und der gestickten Taille! Das sitzt alles wie ein Panzer. Natürlich wieder Paris! ‚Siehst du,’ predige ich jeden Tag, den Gott der Herr giebt, meiner Else, ‚siehst du, Frau von Rechting müßte dein Vorbild sein. Das ist die Frau von Chic. Der strebe nach! Man hat nur dann im Leben etwas erreicht, wenn man die Welt vom Standpunkt einer Equipage aus betrachten kann, aber mit zwei Domestiken drauf.' Kommt denn heute der Herr Bankpräsident nicht?“

„Gewiß, wir haben ihn natürlich eingeladen. Er hat nicht abgesagt.“

„Der Mann ist entzückend.“ Dann, nach einer Pause, sagte sie mit halber Stimme, halb schmeichelnd, halb bittend: „Wie wäre es, meine liebste Freundin? Sie kennen ihn genau. Else vortreffliches Kind – ich die beste Schwiegermutter. Thun Sie etwas für Ihre Freunde, die Ihnen so sehr ergeben sind!“

„Sehr gern, Frau von Wandelt, aber ich weiß nur nicht, wie ich das könnte.“

„Giebt die Gelegenheit, überlegen Sie sich’s! Schildern Sie uns ihm in unserer stillen Anmuth. – Aber wo ist denn meine Tochter?“

„Fräulein Regina hat sie unter ihre Fittige genommen,“ bemerkte Doris.

„Regina? Dagegen habe ich nichts, das ist wenigstens keine Nebenbuhlerin. Man muß junge Mädchen von Concurrentinnen stets fern halten.“

Else schien an diesem Abend Glück zu machen. Erich kam zur Geheimräthin und brachte ihr seine Elogen über die reizvolle, minnigliche Anmuth, in der sich Else heute ganz besonders zeige. Es wäre der Mutter zwar lieber gewesen, wenn Lideman ihr das gesagt hätte, aber eine Mutter nimmt das Lob ihres Kindes von Jedermann an – selbst von einem Ehemann.

Die Geheimräthin hatte bei solchen Festen ihren ständigen Bostongeneral, einen jovialen älteren Militär. Er saß bei ihr und zog Erich damit auf, daß er nach jungen Mädchen ausschaue. Er würde beim Souper Frau von Rechting davon pflichtschuldigste Meldung machen. Die Geheimräthin ließ ihn immer reden und spielte währenddem tapfer ihre besten Karten gegen ihren General aus. Wußte sie doch Else unter der schützenden Obhut von Fräulein Regina, in der sie keine Gefahr für die Wirkung ihrer Tochter sah.

Aber immer war Elschen doch nicht an deren Seite. Da hatte ein junger hübscher Mann seine Schritte nach dem stillen Boudoir der Frau von Rechting gelenkt, das am Ende der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_057.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)