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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Eine plötzliche Blutstockung mit einem sehr hohen Grade von Nervenaufregung,“ sagte er halblaut zu Regina.

„Wo haben Sie diesen Abend zugebracht?“ fragte er den Kranken.

„Ich war zum Diner,“ stöhnte dieser.

„Wo?“

„Bei meinem Chef, dem Präsidenten Lideman.“

„Allerdings, da geht es nicht so einfach ab,“ bemerkte der Arzt. „Haben Sie vielleicht sehr starken Kaffee genommen?“

„Nein!“

„Oder geraucht?“

„Ja – er hat mir eine Cigarre gegeben – und mich vergiftet.“

Wie der Arzt es in Aussicht gestellt hatte, so geschah es. Der Anfall ging vorüber. Einige Tage mußte der Kranke im Bette zubringen. Dann schickte der Arzt ihn ein paar Wochen zur Erholung auf’s Land, und von dort kam er völlig hergestellt wieder zurück. Unterdeß hatte Regina erfahren, daß er Buchhalter bei dem Bankverein sei, an dessen Spitze Lideman stand. Dann klopfte es eines Tages bei ihr, und Herr Warbusch – das war der Name des Hausgenossen – trat ein und hielt ihr für „geleistete Hülfe und christlichen Beistand“ eine wohlgesetzte Rede.

„Wenn ich Ihnen je wieder dienen könnte, mein Fräulein! Nur kann ich Ihnen nicht wünschen, daß über Sie auch ’mal so ’ne Attaque kommen möchte. Aber vielleicht etwas Anderes. Wie ich bemerkt habe, leben Sie einsam, wie ein Hamster. Wenn es Ihnen ’mal zu einsam in Ihrem Stübchen würde und Sie Lust bekämen, sich auf einige hunderttausend Meilen von hier zu amüsiren! Was denken Sie dazu? Ganz köstlich! Auf dieser Erde ist wirklich nicht viel los – erbärmlich. Man ißt, trinkt, schläft und schafft – verächtliches Dasein! Aber drüben – ein paar Millionen Meilen von hier – man muß sich durch das Planetengewimmel durchschlagen, aber dann gehen Einem die Sonnen auf. Wenn Ihnen also ’mal so eine Excursion Spaß macht, so richte ich mein Teleskop und dann geht die Reise los. Ich bringe Sie zu Ihrem Lieblingsstern – o das wird eine Himmelfahrt werden!“

Regina antwortete nicht. Nur ein wehmüthiges, fast schmerzliches Lächeln schwebte um ihre Lippen über den Mann, der sie zu ihrem Lieblingssterne führen wollte.




3.

Seit einiger Zeit wollte es Doris bedünken, als gehe mit ihrem Manne wirklich Etwas vor. Er schien ein Geheimniß mit sich umherzutragen. Erich’s fröhliche Unbefangenheit war dahin; mitten in der scherzhaftesten, anregendsten Conversation, im eigenen Kreise wie in fremden Häusern, deren Gesellschaften er an der Seite seiner Frau besuchte, schien er von Gedanken, von Stimmungen erfaßt zu werden, die ihn geistig weitab führten. Dazwischen kamen aber wieder Momente, in denen er glücklicher als zuvor erschien und sich seiner Frau gegenüber mit einer fast stürmischen Zärtlichkeit gab. Doris mußte das bemerken. Sie forschte auch nach der Ursache; Erich schien davon betroffen und machte eine Miene, als wollte er ihr ein Geständniß ablegen, aber dann überlegte er, brach ab und suchte ihre Besorgnisse zu zerstreuen, indem er ihre Wahrnehmungen auf eine Selbsttäuschung zurückführte.

Darauf gewann es einige Zeit den Anschein, als ob er sich zwänge, seiner Frau gegenüber sich unbefangener zu geben, als er es jedenfalls im Innern war. Aber gerade dieses Bestreben machte Doris noch aufmerksamer. Sie nahm ihre Zuflucht zu Regina.

„Mir weicht er aus; mir enthüllt er nicht sein Herz, mir, die doch das erste Recht darauf hätte, es ganz zu kennen. Aber vielleicht vertraut er sich Dir, Regina. Sprich Du mit ihm!“

Eine abweisende, ja eine fast hastige Bewegung war die Antwort auf dieses Ansinnen.

„Warum ich – warum sollte ich gerade? Nein, nein, nie!“

„Regina, was ist Dir?“

Das sonst so bleiche Antlitz der Angerufenen wurde plötzlich blutroth.

„Verlange das nicht von mir!“ sagte sie in kurz abgebrochenen Lauten. „Alles – nur das nicht! Man soll sich nie zwischen Eheleute drängen – auch nicht in bester Absicht als Mittelsperson. Man kommt immer dabei mit sich selbst zu Schaden – so oder so.“

Sie blieb bei ihrer Weigerung.

Doris verfiel auf das in solchen Fällen natürliche Mittel, ihren Mann zerstreuen zu wollen. Sie sprach ihm davon, daß sie endlich doch ihren zweiten Winterball geben müßten. Die Gesellschaft erwarte das gewissermaßen. Sie bemerkte, wie ihr Mann bei ihrem Vorschlage unruhig zu werden begann. Er suchte Ausflüchte. Seine Arbeitskraft würde von seinem Berufe zu sehr in Anspruch genommen, als daß er sich um das Vergnügen seiner Gäste bekümmern könnte. Man müsse den Gesellschaftskreis, in dem sie sich bewegten, an Ausnahmen gewöhnen, da sie das gesellschaftliche Leben vielleicht mit der Zeit nicht in der Weise fortzuführen im Stande wären, wie sie es bisher gethan.

„Du scheinst sparsam werden zu wollen, mein Freund. Daran bin ich aber nicht gewöhnt – und in meinen berechtigten Gewohnheiten möchte ich doch nicht beschränkt werden.“

Als sie dies nicht ohne eine gewisse Erregung sagte, entging ihr, wie Erich bei diesen Worten zusammenzuckte. Er entgegnete aber kein Wort, und nur als ihn seine Frau durch eine energische Miene herauszufordern schien, begann sich der strenge Bann seiner Lippen zu lösen. Er machte eine Miene wie Einer, der sich innerlich von einer Last, die ihm lange das Herz beschwerte, freimachen will – dann aber besann er sich, preßte die Lippen fester zusammen und sagte:

„Gut, liebe Doris – Du sollst Deinen Ball haben. Arrangire Alles, wie Du es nöthig findest, so elegant, wie Du es gewohnt bist! Schone nichts! Ich bin vollkommen damit einverstanden. Man soll sich bei uns doch noch amüsiren – bevor –“ Er brach ab und beobachtete sie einen Augenblick.

Doris schien das letzte Wort überhört zu haben.

„Also der Ball,“ schloß er rasch, „wann Du willst – so groß und glänzend Du willst.“

(Fortsetzung folgt.)




Deutschlands große Industrie-Werkstätten.
Jagdschloß und Werkstätte.


Wenn man die Bevölkerung von Ländern und Städten so ziemlich nach den Allgemeinbegriffen beurtheilen kann, unter welche sie die Dinge ordnet, so ergiebt sich für den Nürnberger unmittelbar die gewerbliche Richtung als charakteristisch. Er hat für alle materiellen und idealen Dinge das Wort: Waare. Gute oder schlechte Waare ist sein Compaß wie für die Dinge auf Erden, so für die, welche jenseit derselben in den Glaubensdogmen, in den Köpfen der Philosophen, in den höchsten Gesetzen der Sittlichkeit beruhen. Eine rege Gewerkthätigkeit sprach sich schon in dem Nürnberger Volkscharakter aus, als die ersten Ansiedler aus den fränkischen Wäldern dahinkamen und sich mit ihren Wohnungen und Gewerben im Schutze der Burg auf dem Jurafelsen ansiedelten und so Burger, das heißt Bürger wurden. Bis in die neueste Zeit hat sich dieser industrielle Nürnberger Zug erhalten. Er hob sich Hand in Hand mit der politischen Bedeutung der Stadt im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert zu einer künstlerischen Höhe, die er vielleicht nie wieder erreichen wird. Je mehr aber das Regiment der Stadt gegen die Bewegung der Zeit sich abschloß und innerlich sich verknöcherte, desto mehr ging auch das Gewerk zurück. Der kunstgewerbliche Handwerker, der früher Künstler gewesen, sank mit der Abnahme der politischen Selbstständigkeit des Bürgerthums wieder zum Handwerker herab. So blieb es von der Zeit des dreißigjährigen Krieges an bis zu dem Momente, wo die Ereignisse der Welt die Nürnberger Stadtregierung von ihrem Asthma erlösten, das heißt die politische Selbstständigkeit der Stadt aufhoben. In Nürnberg hatte sich trotz alledem doch noch die Tradition des Kunsthandwerkes erhalten, dazu eine gewisse mechanische Kunstfertigkeit und im Bunde damit der deutsche Fleiß. Damit hat sich das Kunsthandwerk als Kleinkunst durch die politische Trübseligkeit der Zeit fortgefristet, bis es durch die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_044.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)