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verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

beschleunigend eingriff, ein Hausirer, ein Krämer, der neben buntem Tande auch manche Mähr – wahr oder erlogen – mit feilbot, eine Horde fahrender Sänger oder Spielleute, oder wohl gar ein befreundeter willkommener Gast, der die Unbill des Wetters nicht gescheut hatte. In der Stille dieser langen Nächte und kurzen Tage entstanden jene wundersamen Kunstgebilde der weiblichen Hand, Gobelins, Teppiche und Decken, bei denen wir ebenso sehr die Kunstfertigkeit als die Ausdauer der Schöpferinnen bewundern müssen, so weit Kirchen, Klöster und Museen uns einzelne Exemplare davon bewahrt haben.

Mit der Einkehr des Sommers erstand auch die vergrabene Lust wieder und zog in hellem Jubel durch die geöffneten Säle oder hinaus auf Anger und Aue. Mit anschaulichem Behagen schildert der Dichter (Hartmann von Aue im „Tristan“) ein solches „Lagern im Freien, wenn des Maien Freund, der grüne Wase (Rasen), aus Blumen sein Sommerkleid angethan, daß das Herz sich an die lachende Bluth mit spielenden Augen machte und ihr entgegenlachte".

Auf einem im Germanischen Museum in Nürnberg aufbewahrten großen buntgewirkten Wandteppiche, dem vierzehnten Jahrhundert entstammend, finden wir in der Form eines Minnehofs das gesellige Treiben jener Zeit charakteristischer Weise bildlich wiedergegeben. Neben Jagd, Fischerei und Turnier belustigen sich die ritterlichen Damen und Herren theilweis in einer dem Geschmacke unserer Zeit nicht mehr recht zusagenden Weise. So sehen wir im Vordergrunde eine ritterliche Dame, der ein Herr zum Sitz, ein anderer zur Lehne dient, mit ausgestrecktem Fuße nach dem vorgestreckten Fuße eines ihr gegenüberstehenden stützelosen Herrn stoßen, während die danebenstehende gekrönte Frau Minne, an den Fingern zählend, den Tact dazu angiebt – ein Spiel, das auf die Absicht hinauszulaufen scheint, sich gegenseitig um den Schwerpunkt zu bringen. An einer andern Stelle des Bildes hat eine Dame zwei Ritter an die hölzernen Schranken gefesselt, welche das Reich der hochthronenden Minnekönigin umgeben. „Von Damen Hand lieg' ich in Band", meldet das dem Munde des einen Gefesselten entsteigende Spruchband. An den Gürteln befestigte Glocken und Schellen geben dabei den Ton der Ausgelassenheit an, welche die Periode der bereits sinkenden ritterlichen Zeit auch sonst kennzeichnet.

Ein anderes gewirktes Bild jener großartigen und reichhaltigen Sammlung belehrt uns darüber, wie es besonders die Pflege der Musik war, der sich Männer und Frauen im Mittelalter gleichmäßig hingaben. Wir sehen da auf blumigen Rain gelagert eine lustig musicirende Gesellschaft, der es auch nicht an einem aufmerkenden Publicum fehlt. Eine der Damen spielt auf der Harfe; eine andere streicht die Fiedel; eine dritte schlägt mit zwei Klöpfeln auf die in ihrem Schooße liegende Laute. Einer der Herren bläst die Flöte. Harfe, Fiedel, Flöte und die Rotte, eine Art Laute, zwischen Fiedel und Harfe in der Mitte stehend, waren die in der mittelalterlichen Gesellschaft eingeführten Instrumente, auf deren Handhabung – außer der Flöte – die gebildete Frau sich meist wohl verstand. Das Spiel der Saiten begleitete vielfach der Gesang, der sich damals noch nicht in Läufern und Trillern bewegte, sondern nur eine kurze Scala von Tönen bestrich ohne künstliche Verschlingung, einfach wie die Weisen unseres Volksliedes. Die Lieder der Minnesänger wurden gesungen, nicht gesprochen. Ihre Entstehung war von Haus aus eine musikalische. Die Erlernung war deshalb eine leichtere, die Verbreitung der Gesangkunst unter der Frauenwelt eine größere. Daß die Frauen damit oft auch etwas zu viel, und „mit dem Wohlsingen hoffährtig thaten", das unterläßt der sittenpredigende Pater Berthold von Regensburg nicht zu rügen.

Einen Theil der geselligen Unterhaltung bestritt die Erzählung alter Geschichten, Legenden, Mären, Sagen und Schwänke, die, Generationen hindurch sich mündlich vererbend, damit ein lang dauerndes Leben gewannen, bis der Griffel und später die Lettern des Druckes sie für immer fixirten. Wer einen Schatz solcher alten Mären, die von der Liebe Leid, Lust und Stärke, von edlen Jungfrauen und tapferen Recken, Drachen, Riesen, Feen und Zwergen handelten, im Schooße seines Gedächtnisses trug, der war wohlangesehen bei den lauschenden Frauen. Viele ließen sich deshalb von den wandernden Spielleuten, die das Erzählen solcher Geschichten als Gewerbe betrieben, darin unterrichten. Oft wurde daraus ein sich gegenseitig überbietender rednerischer Wettkampf, ähnlich wie bei unseren Anekdotenjägern, indem sich Zwei zur Prüfung ihres Wissens gegenseitig herausforderten. Wer dabei den größten Scharfsinn entwickelte, dem wanden dann wohl die dankbaren Hörerinnen einen frischen Kranz „von Blümlein roth und weiß, gebrochen mit ganzem Fleiß“.

Dieses Spiel wurde auch in bürgerlichen Kreisen als Abwechselung in den Tanzpausen an festlichen Tagen in den Zunftlauben oder draußen vor dem Thore unter den grünenden Linden geübt. Kecken Muthes trat da der junge Sänger in den geschlossenen Kreis und begann mit herausforderndem Gruße:

„Gott grüß mir alle die Frauen,
Die großen, wie die kleinen!
Grüßt' ich die eine, nicht die andre,
So sagten sie zum Sänger: 'Wandre!'

Ist kein Sänger in diesem Kreis,
Der mich fragt, was ich nicht weiß?
Derselbe soll sich nicht besinnen,
Will er mir das Kränzlein abgewinnen."

Bald findet sich wohl Einer, der ihm entgegentritt und den Wettkampf mit ihm aufnimmt:

„Sänger wohlan! und merk' mich eben.
Ich will Dir eine Frage aufgeben:
Was ist höher wohl als Gott?
Was ist größer als der Spott?
Und was ist grüner als der Klee?
Und was ist weißer als der Schnee?
Kannst Du das singen oder sagen.
Das Kränzlein sollst Du gewonnen haben."

Der muthige Sänger läßt sich nicht verblüffen. Nach kurzem Besinnen erwidert er in gewandter Gegenstrophe:

„Sänger, Du hast mir eine Frage aufgeben,
Die gefällt mir wohl und ist mir eben.
Die Kron' ist höher noch als Gott;
Die Schand' ist größer als der Spott;
Der Tag ist weißer als der Schnee,
Das Märzenlaub grüner als der Klee.
Sänger, die Frage konnt’ ich Dir sagen,
Das Kränzlein mußt Du verloren haben."

Nun wendet sich der siegende Sänger zu einem „zarten Jungfräulein“ und bittet sie um ihr Kränzlein:

„Ihr wollt mir’s geben und nicht versagen;
So will ich es um Euretwegen tragen."

Ehe sie’s aber vom Haupte löst, stellt er zuvor auch ihr noch eine Räthelfrage:

„Sagt mir, Jungfrau, zu dieser Frist,
Welches die mittelste Blume im Kränzlein ist?"

Kann sie die Frage beantworten, so soll sie das Kränzlein behalten und ferner tragen. Darauf erfolgt ein „großes Schweigen", denn der Blumen im Kranze sind gar viele, und wo ist bei ihm die Mitte? Da giebt der Sänger schalkhaft lächelnd die schmeichelhafte Lösung: „Ihr, liebes Jungfräulein, Ihr mögt die mittelste Blume im Kränzlein sein."

An die versteckte Schmeichelei hatte die Jungfrau nicht gedacht. Schamvoll erröthend, reicht sie dem galanten Sänger den Kranz.

Die Räthselreime und Sprüche bilden bei uns einen reichen nationalen Schatz, der in früher oder später Zeit in besonderen Räthselbüchern niedergelegt wurde. Unser obiges Beispiel entstammt einer neueren Sammlung von K. Simrock. Manches dieser neckischen Räthsel feiert noch heute im Salon wie am Schänktisch sein Daseinsrecht, und doch stand seine Wiege schon in den nun längst verwitterten Mauern einer ritterlichen Burg oder unter der eingesunkenen Linde des Dorfes.

Erst einer etwas späteren Zeit war es vorbehalten, ein gesellschaftliches Belustigungselement ausgiebig zu nutzen, das doch schon seit der Zeit der Kreuzzüge in unserm Vaterlande zuweilen auftaucht: die Narren. Schon die uralt religiöse Tradition pflegte den volksthümlichen Mummenschanz, und man thut gewiß Unrecht, die Figur des Narren für etwas von auswärts Importirtes zu halten. Neu ist nur für die spätere Zeit des Mittelalters das Auftreten des berufsmäßigen Narren, wie er seit dem fünfzehnten Jahrhundert an den Fürstenhöfen bereits unentbehrlich ist. In vornehmen Kreisen, wie unser Bild einen solchen aufzeigt, zog man wohl früh schon Personen, welche sich durch äußere und innere Eigenschaften zum witzigen Spaßmacher und Possenreißer eigneten, zu der Aufgabe heran, die Kosten einer belustigenden

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