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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Par – Partie?“ wiederholte Lideman.

„Eine sehr passende – Sie haben vielleicht schon errathen, wohin ich ziele. Haben Sie errathen?“

Lideman hielt eben ein Stück Zucker in der Hand.

„Ja, ja, Zucker, reiner Zucker, wie der Berliner sagt. Eine Partie für Sie – es ist ein Glück, eine Zukunft – und heißt Else von Wandelt.“

Lideman sagte nichts dazu – er ließ das Stück Zucker in die Flüssigkeit gleiten und rührte mit dem silbernen Löffel gedankenvoll in der Tasse, die zur Hälfte mit Thee gefüllt war. Daß aber der Vorschlag der jungen Frau nicht wirkungslos an ihm vorübergegangen war, das sagten die zuckenden Winkel seiner vollen Lippen und das fast leidenschaftliche Aufeinanderpressen derselben.

„Sie schweigen? Haben Sie mir wirklich nichts auf meinen Vorschlag zu antworten?“

Keine Antwort. Er rührte immer noch mit dem Löffel.

„Gute Frau!“ rief der Papagei.

„Sehen Sie – Giacomo hat’s getroffen, Herr Präsident. Er meint Else. Die ist jung und gefällt – aber dieses Rühren im Thee macht mich fast nervös. Sie könnten doch wenigstens ein Wort sagen.“

„Wie kann man sprechen, gnädige Frau – wo man weinen möchte!“

Ein fragender Blick aus Doris’ Augen ging zu ihm hinüber. Deutlich lag darin ausgesprochen, daß diese Bemerkung ihr unverständlich sei.

„Eine Partie – Partie!“ sagte Lideman mit bitterem Ausdruck im Tone für sich hin. „Und darum – darum!“

„Was – was, verehrter Freund?“

„Als ob man zu nichts weiter auf der Welt wäre, als um einer Frau seinen Namen zu geben, ihre Equipage zu halten, ihre Rechnungen zu bezahlen und sie in die große Welt zu führen! Beneidenswerthes Schicksal eines Mannes unserer Zeit!“

„Sie haben die Hauptsache vergessen, Herr Präsident – eine Frau zu lieben! Sie sind aber heut wieder etwas seltsam, wie seit einiger Zeit so oft. Ich verstehe Sie nicht; diese gekniffenen Worte, diese mühsam herausgestoßenen Laute, dieses Gestimmtsein auf gebrochene Töne und Dissonanzen! Früher waren Sie viel artiger, weit unbefangener –“

„Der Schmerz über die Partie!“ sagte Lideman plötzlich wie in einer scherzenden Wendung. „Sie wollen mich nur von Ihrem Theetische los sein und an einen andern ketten, wo es weniger amüsant ist; wo ich in schlechtem Thee und einer Schwiegermutter gegenüber mein baldiges Ende finden soll.“

„Kennen Sie denn Else? Ich sage Ihnen: ein vortreffliches Mädchen, ein Charakter, an welchem selbst diese Mutter nichts verderben konnte. Diese holde Mädchenhaftigkeit, diese Sanftmuth! Das ganze Wesen ist wie ein harmonischer Accord. Und wie hübsch! Haben Sie schon ein so glänzendes Kastanienbraun des Haares gesehen, und so helle leuchtende blaue Augen? Ich liebe solche Menschen, denen immer ein deutsches Gedicht auf den Lippen zu schweben scheint.“

Das Gespräch der Beiden hier an dem brodelndem Theekessel wurde unterbrochen. Nicht durch die Geheimräthin, die entweder, wie Lideman spöttelte, morgen zur Communion ginge und ihre Sünden noch rasch zusammenklaubte, oder einen heirathsfähigen, eben erst in das Ministerium versetzten Assessor zu Hause festhalten müsse. Sie war es wirklich nicht – ausnahmsweise. Ein Wagen hielt vor dem Hause.

„Mein Mann!“ rief freudig Doris. „Endlich ist diese langweilige Kammersitzung beendet!“

„Ein Beweis, daß ich Ihnen ebenso langweilig war – gnädigste Frau.“

Diese antwortete nicht, sondern ging dem Kommenden, dessen Schritte auf der Treppe vernehmbar waren, bis vor die Thür des Salons entgegen.

Lideman hatte noch ein Rencontre mit Giacomo: „Spitzbube – Spitzbube!“ hatte dieser wiederholt gerufen. Der Präsident gab dem Käfig einen Stoß vor Zorn und Wuth. Giacomo kollerte sich vor Lachen.

(Fortsetzung folgt.)




Das Satyrspiel von 1878.
von Franz Mehring.

Wie eine tief erschütternde Tragödie schritt das gewaltige Jahr, welches so eben zur Vergangenheit geworden, über die Bühne der deutschen Geschichte. Die großen Aufzüge und Heerschauen des socialdemokratischen Wühlerthums, die in den ersten Monaten alle patriotischen Herzen mit ahnungsvollen Schrecken erfüllten, die fluchwürdigen Attentate, in denen sich die elektrische Spannung wie in fahlen Blitzen entlud, die Wahlbewegung, welche das ganze Volk aufrief, zu retten und zu richten, die Verhandlungen des Reichstages die dem nationalen Willen die gesetzgeberische Klarheit und Schärfe gaben, endlich das Walten und Wirken des Socialistengesetzes, das mit unbarmherziger Sichel die hochwogenden Saaten der Friedensstörer und Unruhstifter niederstreckte – wie nach allen dramatischen Regeln rollt sich das Trauerspiel in Spannung, Steigerung, Verwickelung, Entwickelung und Sühne ab. In einer Richtung aber läßt sich der künstlerische Vergleich nicht durchführen: das Satyrspiel folgte nicht der Tragödie, sondern lief schon mitten durch sie hindurch. Nur in der schönen Welt des Scheins bluten die großen Schmerzen und Wunden rein ans, waltet frei von jenem peinlichen Erdenreste das ernste Schicksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt. Im rauhen Leben der Wirklichkeit jedoch mischen sich unlöslich Großes und Niederes, Furchtbares und Groteskes, Erhabenes und Närrisches; in das feierliche Läuten der Glocken , welche zum Gerichte rufen, klingt schrillen Hohnes die Schellenkappe des Harlekins. So tönte in die bewegtesten Scenen des eben vollendeten Jahres der verworrene Lärm der christlich-socialen Agitation, eines Satyrspiels der Zeitgeschichte, das eine schmähliche Travestie biblischer Gedanken und Worte war und deshalb auch den biblischen Titel tragen sollte: Wölfe in Schafskleidern.

Nicht zwar, als ob sich christlichem Sinne und religiöser Sitte ein fruchtbares und weites Wirkungsfeld gerade auf dem Gebiete unserer socialen Wirren öffnete. Nur die böswillige Feindseligkeit des flachsten Materialismus könnte es leugnen. Die Armen- und Krankenpflege namentlich der katholischen Kirche weist Einrichtungen auf, die theilweise noch Muster darstellen auch für das freie, von confessionellen Fesseln nicht beengte Walten moderner Humanität. Die evangelische Kirche ist leider zu lange in unfruchtbaren Dogmenkriegen verstrickt gewesen, als daß sie nicht mehr wie billig ihres hohen Berufes hätte vergessen sollen, die treueste Freundin der Armen und Schwachen zu sein. Besännen sich ihre unfehlbaren Päpstlein auf diese schöne Pflicht, kehrten sie um von den falschen Pfaden der Verdächtigung jeder freieren Richtung, die auf dem Boden der evangelischen Kirche eine bleibende Versöhnung sucht mit dem nationalen Leben und der nationalen Wissenschaft – wahrlich, es wäre eine billige und traurige Weisheit, darüber zu spotten, wenn vielleicht die ersten Schritte auf dem neuen und schwierigen Wege nur ein ungeschicktes Stolpern wären. Aber nicht in diesem Zeichen wurde jene vielbesprochene christlich-sociale Agitation eingeleitet, nicht eine Verleugnung, sondern eine ungeheuerliche Ausdehnung des orthodoxen Treibens stellt sie dar; sie war der keckste Versuch, der je im heitern Lichte des neunzehnten Jahrhunderts unternommen wurde, die Fackel und das Schwert des Ketzerrichters über die schwierigsten Probleme der Politik und der Wissenschaft entscheiden zu lassen. Sie rief die Mächte der Tiefe als willkommene Bundesgenossen auf, selbst wider die besten Christen und ehrlichsten Patrioten, sobald sie nur um Haaresbreite von dem Götzendienste des starren Buchstabens wichen. Nach kurzem Taumel endete das Abenteuer so schmählich, wie dasselbe es verdiente, aber die es unternahmen, sind heute noch nicht von ihrem Wahne geheilt, sind heute noch tonangebende Wortführer im Banne der evangelischen Kirche; noch liegt ihre Herrschaft, eine bleierne Last, auf allen frei aufstrebenden Geistern, die ehrwürdige Formen mit frischem Leben füllen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_024.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)