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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

vieler Dutzendwaare nicht an wirklich künstlerischen Leistungen auf dem Gebiete der Spielwaarenfabrikation.

Das Gefühl für das Schöne und Wahre will frühzeitig geweckt und geübt sein. Das gilt namentlich auch von den Bilderbüchern. Halt – da ist gleich eines. Bist du es, Unvermeidlicher? Wahrhaftig, es ist der alte Tröster, der Struwwelpeter. Die alten Fratzen, die alten Carricaturen! Aber sie machen den Kindern Vergnügen, versichert die Mama, die nicht wenig stolz darauf ist, ihren Lieblingen gerade diesen Schatz bescheert zu haben. Schlimm genug, wenn Nicolas mit dem großen Tintenfaß und Conrad mit dem Daumen im Munde den Kleinen Freude machen, und zugleich Beweis, daß sie nichts Besseres gewohnt sind. Wann wird man begreifen, daß für die Kinder das Beste eben gut genug sei? Nicht Zerrbilder, nicht Scheusale soll man den Augen derselben vorführen, sondern richtig gezeichnete, schön geformte, correct gefärbte, dichterisch verklärte Gestalten. Wie gern betrachten die Mädchen Blumen, die Knaben Thiere, und wie tief prägen sie die im Bilde geschauten Formen und Farben dem Gedächtniß ein, um in der Natur die Originale wiederzusuchen! Wie unermüdlich sind sie, sich selbst zu belauschen in den Darstellungen des Kindeslebens, denen Gott sei Dank auch Meister ihren Stift zu leihen beginnen! Aber wer kann die theuern Bücher kaufen? fragt der sparsame Vater. Sie sind nicht theuerer als der buntbeklexte Schund; für ein paar Mark erwirbt man heutzutage eine der köstlichsten Gaben von Ludwig Richter, Oscar Pletsch und Eugen Klimsch. Daß der Humor nicht ausgeschlossen werden dürfe, bestätigt ein Blick in die Werke der genannten Künstler. Wie bequem machen wir Eltern uns in der Regel dasjenige, dem wir aus Liebe zu unsern Kindern die peinlichste Sorgfalt schuldig wären! Wenn Weihnachten naht, bestellt die Frau Mama – denn der Papa hat keine Zeit, sich mit dergleichen Allotria zu kümmern – beim Buchhändler die obligaten Bilderbücher. Gretchen ist zehn Jahre alt, Ernstchen sieben, Laura drei; das Stück darf nicht über zwei Mark kosten – für das Uebrige wird der Buchhändler sorgen, dafür ist er ja Buchhändler. Und doch kommt für die geistige Entwickelung der Kinder unendlich viel darauf an, welche Speise man ihnen reicht.

Aber nicht blos empfangen wollen die Kleinen, sie wollen auch produciren. Welcher Dreijährige wollte nicht malen? Aus dem Papierkorbe sucht er die Fetzen, von des Vaters Schreibtisch stibitzt er die Stifte, um Tapeten zu bekritzeln. Habt ihr schon mehr dazu gethan, ihm das abzugewöhnen, als daß ihr ihn auf die Finger geschlagen habt? Lohnt es wirklich nicht der Mühe, fünf oder zehn Minuten des Tages euch abzumüßigen, um eurem Söhnchen einen Schimmel, eurem Töchterchen eine Rose zu zeichnen oder zu tuschen? Aber gesteht es nur, ihr könnt es nicht, denn ihr habt es nicht gelernt, so wenig eure Kinder es lernen werden. In der That, es ist erstaunlich, wie achtlos wir die Anlagen unserer Kinder vernachlässigen, deren Ausbildung ihnen zum Vergnügen und Nutzen gereichen würde. Dagegen wird ein Talent bei fast allen Kindern stillschweigend vorausgesetzt und rücksichtslos gefordert, das Talent zur Musik. An das Pianino müssen sie, sie mögen wollen oder nicht, die zarten Finger quälen sich, das vorgeschriebene Pensum herunterzuklappern; Thränen fallen auf die gemarterten Tasten – keine Gnade! Es wäre ja eine Schande, wenn Otto keine Mozart’sche Sonate und Laura keinen Chopin’schen Walzer spielen könnte. Die elende Clavierklimperei! Man zeige den Kindern gute Bilder; man lehre sie dieselben mit Verständniß betrachten und, soweit es angeht, nachbilden; man gebe ihnen Anleitung, Brücken und Thürme mit dem Baukasten zu construiren, und sie werden wenigstens nicht ganz unvorbereitet an öffentliche Bauten herantreten.

Von der Kinderstube pflegt es nicht weit zur Küche zu sein. Die Kunst in der Küche? höre ich verwundert fragen. Damit soll doch wohl nur die Kochkunst gemeint sein? Ich will nicht in Abrede stellen, daß sie nicht selten auch von ernsthaften Männern für eine edle Kunst gehalten wird. Allein nicht mit der eigentlichen Zubereitung der Speisen haben wir es hier zu thun, sondern mit der Herrichtung derselben für den Tisch und mit der Ausrüstung des Küchengeräthes und Eßgeschirres. Wie kommt es, daß ein sauber arrangirter Braten, ein zierlich geschmückter Salat uns besser munden, als ein in plumper Schüssel schmucklos dargebotenes Gericht? Der Magen ist ein Tyrann, aber er will gern von gefälligen Händen bedient sein. Und wie weit sind die Formen unserer Küchengeräthe hinter denen der Alten zurück! Welche schön gehöhlten Schüsseln, welche schlanken Kannen, welche geschweiften Krüge dort – und welche nichtssagenden, nüchternen Näpfe und Töpfe hier! Warum kaufen wir den Klempnern und Töpfern bereitwillig ab, was ihre ungeschickten Lehrlinge als Fabrikwaare dutzendweise herstellen? Warum zwingen wir nicht durch erhöhte Ansprüche die Meister, nach alten, guten Mustern zu arbeiten?

Das Mittagsmahl ist fertig; die Hausfrau ladet uns in das Wohnzimmer ein. Wie viel kann sie, wie viel können die heranwachsenden Töchter durch sinnige Anordnung des Tisches dazu beitragen, die Stillung des Hungers und Durstes zu einem doppelten Genusse zu machen! Eine Vase mit Blumen, eine geschmackvolle Schale mit Obst sollten nirgends fehlen, anstatt daß wir an schmucklosem Tische hastig verschlingen, was die Kelle bietet. Kaum haben wir Zeit, uns in dem Eßzimmer ein wenig genauer umzusehen. Und was wir sehen, ist in der Regel nicht geeignet, uns zu erfreuen. Denn unsere Tischler sind, dank den Fortschritten der Industrie, Möbelfabrikanten geworden; was sie liefern, ist meistens nichts als Fabrikwaare. Selten nur sieht man noch alten, würdigen, wohl erhaltenen Hausrath, solide eichene Tische, geschnitzte Stühle, aus edeln Holzarten kunstreich gebaute Schränke. Alles sieht bei Schulze’s aus wie bei Müller’s, bei Lehmann’s wie bei Schmidt’s. Die Originalität in der Ausstattung der täglich benutzten Wohnräume ist fast ganz abhanden gekommen. Ueberall nur leichte, zerbrechliche Waare, fade Linien, nüchterne Farben! An den Wänden eine Fünfzigpfennigtapete, grau in grau gedruckt, am Fußboden ein abscheuliches, monotones Deckenzeug, der Verdruß der Kinder, die darüber stolpern, der Aerger der Dienstboten, die den mißbräuchlich Teppich genannten Fetzen jeden Morgen vom Staube zu säubern haben.

Doch Geduld! Eine Flügelthür thut sich auf: treten Sie ein in die „gute Stube“! Ja, die gute Stube! Hier also ist das eigentliche Heiligthum des Hauses, der Raum, in welchem wir uns an Sonn- und Feiertagen mit der Familie zusammenfinden, um nach harter Arbeit der Muße und Erholung zu pflegen, die Stätte, wo wir aus festlicher Veranlassung unsere Gäste begrüßen. Sollte man nicht annehmen dürfen, daß alle Sorgfalt und aller Geschmack aufgeboten sei, um wenigstens diesen Raum würdig und elegant herzurichten? Und wie sieht er zumeist in Wirklichkeit aus! Zunächst die Möbel! Es ist nicht leicht, die vorhandenen Stücke so zu vertheilen, daß jedes einzelne an einer passenden Stelle seinen Platz finde und der Gesammteindruck dadurch ein angenehmer werde. Freilich ist dazu auch unbedingt nothwendig, daß Einheit in Form und Farbe vorhanden sei. Es ist schlechterdings unmöglich, daß ein hellpolirter Schreibtisch neben einen dunkelgefärbten Schrank zu stehen komme. Es giebt „gute Stuben“, wo die Sophas, Kommoden und Servanten in Paradestellung aufgepflanzt sind, wie die preußischen Grenadiere. Ein massives Musikinstrument macht sich dicht am Fenster breit, ein winziges Spieltischchen verschwindet in der dunkeln Ecke dahinter. Vor einem blauen Sopha steht ein schwarzer Tisch, auf dem eine gelbe Decke liegt; darunter ein in allen Regenbogenfarben schillernder Teppich. Der Divan ist nach französischer Art gepolstert, sodaß kein Holz sichtbar wird, die Fauteuils zeigen schwerfällige Holzlehnen.

Nicht besser steht es um den sonstigen Schmuck. Tapeten in schreienden Mustern, faustdicke Rosenbouquets in metergroßen Zwischenräumen beleidigen das Auge; ein centnerschwerer Kronleuchter droht ein ovales Tischchen mit zierlich geschweiften Beinchen zu erdrücken. Der Stolz jeder braven Hausfrau sind weiße Gardinen. Weiße Gardinen – unverzeihlich geschmacklose Erfindung einer alten Jungfer, deren Seele so rein war, wie die Vorhänge ihrer Fenster! Das einfallende Licht zu dämpfen, nicht es aufzufangen, es zurückzuweisen, es in hundert Falten und Spitzen widerzuspiegeln, ist die Aufgabe der Fensterverhüllungen.[1]

Wie traulich ist ein Gemach mit dunkeln, zweifarbigen oder bunten Gardinen! Und wie bequem für die Hausfrauen! Sie haben nicht nöthig, mit ängstlichen Blicken dem Brande jeder Cigarre

  1. Wie sehr übrigens die Ansichten über diesen Punkt aus einander gehen, dürfte beispielsweise unsere „vernünftige Hausmutter“ (siehe die Plauderei auf Seite 8 ff. unserer heutigen Nummer!) bezeugen.
    Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_018.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2020)