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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

seine Veröffentlichung der „Fragmente“ von der Judenschaft in Amsterdam als Geschenk bekommen haben sollte.

Kehren wir zu der dichterischen Arbeit und zu ihrer Geschichte zurück. Jene schon erwähnte „Ankündigung“ schickte er auch an seine Freundin Elise Reimarus (die Tochter des Verfassers der „Fragmente“) und bemerkte dazu. „Wenn Sie im ‚Decameron’ des Boccaz die Geschichte vom Juden Melchisedech, welche in meinem Schauspiele zu Grunde liegen wird, aufschlagen wollen, so werden Sie den Schlüssel dazu leicht finden. Ich muß versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen.“

In der That war ihm, wie er im October 1779 an seinen Bruder schreibt, vom braunschweigischen Ministerium sogar verboten worden, „auch nicht einmal auswärts etwas drucken zu lassen“, was er nicht zuvor der Censur eingesandt. „Das wäre mir eben recht,“ ruft er aus, „ich thue das nicht, mag auch daraus entstehen, was da will!“ Dann fährt er fort: „Jetzt ist man hier auf meinen Nathan gespannt und besorgt sich davon, ich weiß nicht was. Aber, lieber Bruder, selbst Du hast Dir eine ganz unrechte Idee davon gemacht. Es ist nichts weniger, als ein satirisches Stück, um den Kampfplatz mit Hohngelächter zu verlassen. Es wird ein so rührendes Stück, als ich nur immer gemacht habe“ etc..

Kurz darauf, im November desselben Jahres, kommt er in einem Briefe an seinen Bruder wieder darauf zurück, daß der Plan des Stückes schon vor drei Jahren gemacht war. „Ich habe es jetzt nur wieder vorgesucht, weil mir auf einmal beifiel, daß ich, nach einigen kleinen Veränderungen des Plans, dem Feinde auf einer andern Seite damit in die Flanke fallen könne.“ Dennoch setzte er, mit Bezug auf gewisse von dem Buchhändler Voß geäußerte Bedenken, hinzu, daß derselbe sich über diesen Punkt völlig beruhigen könnte. „Mein Stück hat mit den jetzigen Schwarzröcken nichts zu thun, und ich will ihm den Weg nicht selbst verhauen, endlich doch einmal auf’s Theater zu kommen, wenn es auch erst nach hundert Jahren wäre. Die Theologen aller geoffenbarten Religionen werden freilich innerlich darauf schimpfen, doch dawider sich öffentlich zu erklären, werden sie wohl bleiben lassen.“

Zu dem Prosa-Entwurfe des Schauspiels, der uns glücklicher Weise erhalten geblieben ist, hatte Lessing mehrere Notizen über den Fortschritt der Arbeit gefügt. Danach hatte er die Ausführung oder Versificirung der Dichtung Mitte November 1778 angefangen und Mitte März 1779 vollendet. Aber schon bald nach Beginn der Arbeit hatte er auch mit dem Drucke anfangen lassen, sodaß er schon den 1. December 1778 an seinen Bruder den Anfang des Stückes schicken konnte.

Die von Lessing als Quelle bezeichnete Geschichte aus Boccaccio’s „Decameron“, diesem so viel benutzten italienischen Novellenschatz, bildet in dem Lessing’schen Stücke nur eine hervorragende Scene, während alles Uebrige erfunden wurde. Das Bewundernswürdige bei dieser Erfindung ist nun weniger die poetische Inspiration, als die Schärfe des kritischen organisirenden Geistes, welcher alle Theile der Handlung zu dem Einen Punkte führt, auf den es ankommt. Auch diejenigen Abweichungen, welche der Dichter für zweckmäßig hielt, und welche hauptsächlich zu einer festern Zeichnung seiner Charaktere dienten, sind in Lessing’s Vertiefung und Erweiterung des Gedankens begründet. Die Geschichte von dem Sultan Saladin und dem Juden Melchisedech war übrigens auch nicht Boccaccio’s Erfindung, sondern sie findet sich ihren Grundzügen nach schon in den „Hundert Novellen“ und in den „Gesta Romanorum“. J. Dunlop, in seiner „Geschichte der Prosadichtungen“, meint, daß die meisten Geschichten, welche „einen Spott gegen die christliche Religion“ zu enthalten scheinen, von den Juden und Arabern Spaniens gekommen wären, und auch diese Geschichte sei wahrscheinlich irgend einer rabbinischen Tradition entsprungen. Dagegen muß aber bemerkt werden, daß es eine alte persische Erzählung giebt, die einige Aehnlichkeit mit der Ring-Geschichte hat; daß es sich aber dort weder um die jüdische noch um die christliche Religion sondern nur um drei verschiedene mohammedanische Secten handelt.

Wie dem auch sei: Lessing schöpfte direct aus dem „Decameron“ und ließ die Begebenheit in ihren äußeren Zügen ziemlich unverändert. Auch bei Boccaccio ist es Sultan Saladin, der – da er in großer Geldnoth ist – sich eines sehr reichen und sehr geizigen Juden (Melchisedech) erinnert, dem er, um von ihm durch eine List Geld zu erlangen, die Frage vorlegte, „welche von den drei Lehren, die jüdische, die saracenische oder die christliche, er für die wahrhafte halte.“

Von dieser Exposition der Geschichte ist Lessing nur darin abgewichen, daß er die List nicht vom heldenhaften Saladin selbst kommen läßt, sondern daß dieser erst durch seine Schwester dazu angetrieben wird, eine zwar für die Sache nicht wesentliche, für die Charaktere des Stückes aber vortreffliche Motivirung. Die Antwort, welche bei Boccaccio der Jude giebt, hat von Lessing zunächst das für seinen ethischen Zweck ungemein wichtige Motiv als Zuthat erhalten, daß der Ring, den der Vater stets nur Einem von seinen Söhnen hinterläßt, diesem nicht nur das größte Ansehen über seine Brüder verleiht, sondern daß der Ring zugleich die geheime Kraft besaß,

„Vor Gott und Menschen angenehm zu machen,“

ein Umstand, der gerade in der Anwendung auf die drei Religionen von größter Bedeutung ist. Bei Boccaccio schließt denn auch die Erzählung des Juden damit, daß die drei Söhne ihre Ringe nicht von einander unterscheiden können, und daß der Jude dieses Beispiel auch auf die drei Religionen bezieht. Alles was hiernach noch folgt, der Streit der Söhne unter einander, ihre Klage vor dem Richter und die herrliche Entscheidung des Richters, ist die Zuthat Lessing’s. Der Zug des feinen Spottes, der möglicherweise in der ursprünglichen Quelle gelegen, löst sich bei Lessing völlig in der Erhabenheit der Idee und in der ergreifenden Größe ihrer Durchführung auf.

Man hat dem Lessing’schen Stücke zum Vorwurf machen wollen, daß darin die Christen die unvortheilhafteste Rolle spielen. Man übersieht aber dabei, daß Lessing das Stück ausdrücklich gegen christlichen Hochmuth und christliche Intoleranz schrieb, weil diese in unseren europäischen Verhältnissen die eingreifendste Herrschaft übte, und weil ihm auch die Reinheit derjenigen Religion, welcher er selbst angehörte, mehr am Herzen lag, als die einer anderen.

Mit jener Sorte von „Toleranz“, welche nur das Negative dulden will, hat Lessing’s Anschauung nichts zu schaffen, und es ist unbegreiflich, daß auch heute noch Manche den Dichter in diesem Punkte mißverstehen. Gegen das Positive in der Religion wendet sich Lessing nur da, wo dasselbe eben die Unduldsamkeit in sich schließt. Läßt er es nicht z. B. in dem Klosterbruder, diesem entzückenden Musterbilde christlicher Demuth, Herzenseinfalt und Frömmigkeit, unangetastet? Die Fehler des jungen Tempelherrn sind Fehler seiner Jugend, Rauhheiten seines Standes; trotz derselben zeichnet ihn der Dichter doch vorwiegend als eine liebenswürdig männliche und offene Natur.

Unter den christlichen Personen des Stückes – die ausgezeichnete Charakteristik Daja’s betrifft doch mehr das Weib, als die Christin – ist mit unnachsichtiger Schärfe nur der Patriarch gezeichnet, als der unduldsame hochmüthige Pfaffe, dem nur die Macht der Priesterschaft, nicht aber die Reinheit und Größe des Christenthums am Herzen liegt. Uebrigens ist diese Figur auch eine historische, das Original war der Patriarch Heraklius in Jerusalem, ein notorisch nichtswürdiges Subject, und Lessing spricht in einer der Anmerkungen, die seinen Prosa-Entwurf zum Nathan begleiten, sein Bedauern aus, daß dieser Patriarch in seinem Stücke „noch bei weitem so schlecht nicht erscheint, als in der Geschichte.“ Allerdings hat Lessing in dem eigentlichen historischen Charakter des Stückes, dem Sultan Saladin, das geschichtliche Vorbild sehr verschönt und veredelt; aus dem einfachen Grunde, weil er ihn so für die Dichtung brauchte. Aber Saladin kann ebenso wenig als Repräsentant der mohammedanischen Religion betrachtet werden, wie der Patriarch als Vertreter der christlichen oder auch wie Nathan der jüdischen.

Nathan, als die Hauptperson des Stückes, mußte auch der Vertreter der sittlichen Idee desselben werden. Das war dem Dichter schon durch den Novellenstoff vorgeschrieben. Wer daraus folgert, daß in dieser Dichtung „der Jude“ auf Kosten der Christen erhoben ist, der vergißt zunächst, daß auch Nathan nicht als der strenge „Jude“ hingestellt wird, sondern als „der Weise“, nicht als der weise Jude, sondern als „der Weise“ überhaupt; nur als solcher war er im Stande, Recha weder als Christin, noch als Jüdin zu erziehen, sondern in der Religion der Sittlichkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_007.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)