Seite:Die Gartenlaube (1879) 003.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

halb in Wuth, halb in Verzweiflung. Er machte sich selbst Vorwürfe. Wer ist auch so unklug, im Angesicht eines Schrittes, wie er zu thun im Begriffe war, einen Brief zu öffnen! Muß ein Bräutigam auf derartige Zuschriften nicht gefaßt sein, und muß es nicht in der männlichen Selbstständigkeit eines Charakters liegen, derartige Dinge mit verachtendem Stolze von sich zu weisen? Waren ihm in seiner juristischen, richterlichen Praxis nicht schon unzählige Beispiele vorgekommen? Ja wohl, aber da er nun selbst – weg – weg! Er setzte sich, den Kopf in beide Hände gestützt, vor seinen Schreibtisch, von welchem ihm das Bild entgegenlächelte.

Wenn seine heißen Lippen auf diesen dunklen Augen geruht hatten, und wenn diese dann unter den langen Lidern mit fast kindlichem Staunen nach ihm aufbrachen, war es ihm in dem glückschauernden Herzen dann nicht zu Muthe, als brächen vor ihm neue Quellen des Lebens auf? Und Solches könnte von einem Wesen gekommen sein, das ihm gegenüber fremd – kalt – innerlich unbetheiligt wäre? Die Rosen, die Doris ihm entgegen hielt, es war ihm jetzt, als wehte ihr Duft zu ihm herüber. Wie Balsam legte er sich auf sein Herz.

Er wurde ruhiger; das innere Aufwirbeln von finsteren Gedanken hatte sich gelegt; der Schluß war wie eine stille Abbitte an Diejenige, welche ihn jetzt zum verheißungsvollen Gange an ihre Seite rief. Eben ertönte die Stimme Rüchel’s:

„Herr Assessor, der Wagen ist unten.“

Der Angerufene, als wollte er das Bild aus allen Schatten von Zweifeln in sein künftiges Leben hinüber retten, nahm dasselbe mit raschem Entschluß und Griff und ging hinunter zum Wagen.

Rüchel trat an’s Fenster. Wie viele von seinen Herren hatte er schon einsteigen sehen, wie diesen da unten, und wie vielen wäre es besser gewesen, die Hochzeitskutsche wäre für sie nie vorgefahren – meinte er in seinen Gedanken. Er hatte Jeden gewarnt – aber mit dem Heirathen geht’s, wie mit allen anderen Erfahrungen. Jeder glaubt, das Schicksal hätte in das Näpfchen, das es ihm vorsetzt, gerade etwas ganz Besonderes hineingethan. Niemand auch geht dem Prellstein aus dem Wege, an dem sich schon Hunderte wehe gethan haben, außer wenn er sich selbst daran den Fuß verwundet hat. Aber dann ist’s meistentheils auch schon zu spät. Nun, immer zu! Glückliche Fahrt! Wer weiß? Einmal kann’s Einem ja wohl glücken.

Dabei nahm er eine Prise – der alte Pessimist. Der Wagen mit dem Bräutigam rollte davon, durch die Straßen, über die Plätze, und überall blieben die Leute stehen und warfen einen Blick der Neugierde in das Innere des Gefährtes. Kutscher und Diener auf dem Bocke trugen Rosensträuße in den Knopflöchern der Livréeröcke, und das deutete auf eine Hochzeit. Aber vorläufig fehlte die Braut, und ein Bräutigam allein hat für das große Publicum lange nicht das Interesse, wie jene. Rechting aber bemerkte das Alles nicht. Seine Gedanken waren weit voraus, die Stufen des Hauses, die Treppen hinauf, im bräutlichen Gemach bei Derjenigen, welche er nun in die Arme schließen sollte als sein und seines Herzens Eigenstes – vor Gott und Menschen. In aller Herzenslauterkeit, die er sich bewahrt, prüfte er sich auf diesem kurzen Wege noch einmal selbst; er fragte sich, ob er sein „Ja“ aus seiner Herzenstiefe heraus geben könne, und kam zu dem Ergebniß mit sich selbst. Ja, ja, tausendmal für einmal!

Da hielt nun der Wagen vor dem Hause, das rechts und links von dichten Zuschauermassen besetzt war. Des Bergraths Lammers Tochter war eine beliebte Persönlichkeit in diesem Stadttheile. Alle Welt hatte ihren Vater gekannt, und alle Welt glaubte sich daher berechtigt, sich um das künftige Schicksal der Tochter zu bekümmern. Wäre Doris ein armes Mädchen gewesen, würde sie unbeachtet und unbehelligt durch die Welt gegangen sein, aber so reich wie sie – und so hübsch und von allen Seiten so viel umfreit! bis der da kam – drinnen im Wagen; der mußte es sein. Hübscher Mann! Aber so ernst! Und ein Bräutigam, der eine solche Braut gewonnen, sollte doch von einem Ohr bis zum andern lachen! Wie er herausspringt und die Stufen zu dem Hause hinaneilt! Er wird sich jetzt wohl ein eigenes kaufen. Jawohl hatte er nach der Meinung dieser Leute Ursache, flink zu sein. Wer so ein Glück heirathet!

Der alte Diener des Hauses kam Rechting entgegen und zeigte ein recht frohes Gesicht. Ein paar Minuten vorher hatte er anders nach ihm ausgesehen – von Sorge bewegt. Und das sagte der Alte dem Bräutigam auch, daß man eben nach ihm hätte schicken wollen, aus Furcht, es möchte ihm etwas zugestoßen sein. – Der Brief kam dem Bräutigam wieder in die Gedanken, aber er sagte nichts.

„Soll ich Ihnen das da tragen, was Sie in der Hand haben, Herr von Rechting?“

„Nein, mein Freund. An das, was ich hier an meinem Herzen halte, soll keine fremde Hand rühren.“

Je weniger der mit einem neuen rothen Läufer bedeckten Treppenstufen wurden, desto rascher flogen seine Schritte hinauf in die erste Etage, wo die Hochzeitsgäste versammelt waren.

„Der Herr Assessor ist da, Fräulein Regina,“ rief der Alte einer Dame zu, die am Eingange zu den Gemächern stand und mit Spannung ihre Blicke nach der Treppe gerichtet hatte, um deren Biegung eben Rechting zum Vorschein kam.

Bei seinem Erscheinen schloß sie die Augen, wie Jemand zu thun pflegt, der innerlich tief aufringt, aber nur eine Secunde lang. Dann kam die in ein dunkelgraues Seidenkleid gehüllte hohe Gestalt ihm mit lebhaften, freundlichen Worten entgegen. Ein Ausdruck voller Güte beleuchtete ihr Gesicht.

„Wahrhaftig, wir waren schon in Sorge um Sie, Herr Assessor – vor Allen Doris. Die liebende Ungeduld einer Braut müssen Sie bedenken an einem Tage, wo Minuten zu Stunden werden und Stunden zu Minuten, wo man Allem eine Bedeutung beilegt. Aber kommen Sie! Ich will Sie zu Ihrer Braut führen.“

Sie führte ihn durch eine Flucht von Zimmern, wo die vollgedeckten Tafeln standen, und öffnete dann leise eine Thür, die in ein Damenboudoir sehen ließ. Da hinein schob sie ihn sanft, dann blieb sie vor der Thür stehen, machte eine Bewegung, als ob sie Mühe hätte, sich aufrecht zu erhalten und ging dann in die vorderen Zimmer, wo die Gäste versammelt waren. Die Diener präsentirten hier auf silbernen Platten Wein, Chocolade, Kuchen und Sandwiches. Wie die Tassen und Gläser von Hand zu Hand, so gingen die Reden von Mund zu Mund. Zwei Damen führten das Wort; die erste war eine Commerzienräthin von etwas ängstlichem Embonpoint, die andere die Frau Stadtsyndikus, dünn wie ein Zwirnsfaden.

„Ach ja, wenn sie nur glücklich werden!“ begann die Frau Commerzienräthin, „das ist das Einzige, was zu wünschen übrig bleibt. Das Uebrige haben sie ja Alles – in Hülle und Fülle. Der Vater hat für seine einzige Tochter mit aller Liebe gesorgt – und Alles in guten Papieren und festen Anlagen.“

„Das sagt mein Mann nicht, Frau Commerzienräthin,“ nahm die Frau Syndikus das Wort. „Erst jüngst war die Rede davon – mein Mann hatte Gelegenheit, einen Einblick in die Hypothekenbücher zu thun – überhaupt in Doris’ Vermögensverhältnisse.“

„Dem ältesten Sohne des Syndikus sollte Doris zum Opfer fallen, darum das rege Interesse,“ flüsterte die Commerzienräthin einer nebenstehenden Dame zu.

„Mein Mann wundert sich noch,“ fuhr die Dünne fort, „wie unvorsichtig der selige Bergrath gewisse Fonds und zwar den größten Theil derselben placirt hatte; mein Mann weiß das wohl zu beurtheilen –“

„Ihr Theodor sollte ja wohl um Doris freien?“ bemerkte spitz die Commerzienräthin.

„Albernes Gerede! Mein Theodor dachte nicht daran, und wir hätten es auch nicht gewünscht, ich und mein Mann nicht. Ja wohl, Doris ist ja ein vortreffliches Mädchen. Bei Leibe möchte ich nichts gegen sie sagen, aber die Erziehung durch die Mutter, die immer einen hohen Federbusch sich aufgesetzt hatte, und dann die splendide Gewöhnung des Mädchens, ist das der selige Bergrath wie in einen Spiegel hineinsah – wenn man erst zu Vermögen so allmählich parvenirt, ist das immer so, sagt mein Mann, der Syndikus. Hören Sie – Diener, Garçon – gehen Sie doch nicht so schnell mit den Austernbrödchen vorüber! Es ist noch lange hin bis zum Déjeuner dinatoire. Warum giebt man kein ordentliches Diner? fragte mich gestern schon mein Mann.“

„Da müssen Sie Fräulein Regina fragen,“ antwortete die Commerzienräthin, „Fräulein Regina dirigirt ja Alles bei Doris. Das ist ja eine Freundschaft, von der man nicht wußte, woher sie kam. Eines Tages war sie dann mit Sack und Pack hier angelangt. Bei Doris wollte sie nicht wohnen, um den Schein zu meiden, als würde sie von ihr ernährt. Stolze Unabhängigkeit!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_003.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)