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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 1.   1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.     
Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.


1.

„Sobald ich weg bin, lieber Rüchel, nehmen Sie alle die Sachen, die ich Ihnen bezeichnet habe, und schaffen sie in meine – in unsere neue Wohnung, wollte ich sagen.“

„Jawohl – in unsere neue Wohnung.“

Es war ein junger Mann von etwa dreißig Jahren, der dieses zu einem älteren Manne sagte. Jener trug die dunkle, goldgestickte Uniform eines Civilbeamten, die auf irgend eine hohe feierliche Gelegenheit hindeutete, und warf im Spiegel noch einen letzten Blick auf seinen Anzug. Mit dem Menschenbilde, das ihm daraus entgegenschaute, konnte er gerade zufrieden sein. Nicht sehr Viele hatte Mutter Natur so wohl ausstaffirt in’s Leben gestellt. Eine ansehnliche Figur – schlank, in den Schultern breit, dabei in mannesbewußter Haltung, ferner ein Kopf mit ein paar großen, grauen und hellen Augen, aschblondes volles Haar und ein gerade nicht vernachlässigter Schnurrbart gruppirten sich zu einer männlichen Erscheinung, welche die Augen gar mancher Evatochter auf sich zu ziehen vermögend war.

„Jawohl, wenn ich so ausgesehen hätte, wie ich heirathsfähig war, dann hätte ich auch eine Andere bekommen, als die meinige. Sie können lachen, Herr Assessor.“

Der Andere, der sich außer dem Assessor in der einfach eingerichteten Stube befand und diese Bemerkung machte, war etwa um zwanzig Jahre älter. In seinem gebeugten Rücken und in den charakteristischen Bewegungen der Gestalt und Arme verrieth er das Metier, das er durch sein ganzes Leben getrieben hatte – die Stiefel so blank zu machen, daß sie seinem Herrn bei jedem Schritte dessen Spiegelbild vorhielten, und die Kleider so emsig und kräftig zu bürsten, daß er sie in möglichst kurzer Zeit selber tragen konnte. Rüchel suchte noch einige Sachen zusammen.

„Die Kaffeemaschine auch mit in’s neue Logis?“

„Die können Sie behalten, Rüchel.“

„Na freilich – der Kaffee wird Ihnen jetzt besser schmecken, als der, den ich Ihnen gemacht habe.“

Damit zog er ein rothes Tuch heraus und brachte es an sein Gesicht. „Die Mamsell von Gyps mit dem halben Beine – die soll auch mit in das neue Paradies wandern?“

„Die können Sie auch behalten – das heißt, wenn Ihre Frau nicht eifersüchtig darauf wird.“

„Auch noch Witze machen!“ murmelte der Diener und trocknete sein Gesicht wieder mit dem Taschentuche. „Freilich, Sie kriegen eine Schönere – die ist nicht von Gyps, und der alte Rüchel kann mit der da abziehen. Nichts hat auf der elenden Welt doch Dauer als das, was wechselt.“

Dabei stieß er plötzlich Laute aus, daß der jüngere Mann sich nach ihm umwandte.

„Was ist Ihnen, Rüchel?“ fragte er antheilvoll.

Keine Antwort. Rüchel hantirte nur um so eifriger. – Dann wurden ihm die Arme plötzlich gehalten, und der junge Mann schaute ihm fragend in’s Gesicht. Durch diese Bewegung brach letzterer die Zurückhaltung, welche der Diener noch mühsam sich erkämpft hatte. Dieser schluchzte laut auf.

„Aber Rüchel –“

„Nun ja – da soll man am Ende gar noch lustig sein, wenn man von einander geht! Sechs Jahre, Herr Assessor, seit Sie hier sind, sind wir beisammen, und ich war mit Ihnen zufrieden und Sie haben nicht einmal ein Stück Zeug oder einen Stiefel nach Einem geworfen, wie das unter gebildeten Menschen doch so vorkommt, und wenn zu Hause bei mir was passirte, so eine Erkrankung oder Feuersbrunst, immer waren Sie bei der Hand. – Es ist ein gottverfluchtes Schicksal, daß zwei so anständige, so liebe Menschen, wie wir sind, aus einander gehen müssen.“

„Und an mein Glück, Rüchel, denken Sie gar nicht? Nicht daran, daß in zwei Stunden mir das zu Theil wird, wonach Tausende ihr Lebtag vergebens gekämpft haben, was ich in meinem Herzen – ersehnt – o ja – aber nicht zu erhoffen wagte – meine Herzliebe als mein trautes Weib?“ Damit nahm der Sprecher vom Schreibtische ein Bild und drückte es an seine Lippen; dann stellte er es wieder hin und sagte seinem Diener: „Um das Bild brauchen Sie sich nicht zu bekümmern. Das soll kein Anderer berühren – das nehme ich gleich mit mir.“

Es war die mit Oelfarben gemalte Photographie eines jungen und schönen Mädchens. Rüchel betrachtete das Bild und sagte halblaut, gleichsam so für sich:

„Hm, hübsch ist sie – die hätte mir auch gefallen können“.

„Wer?“ fragte der Assessor.

„Na, die da – “

„Wer – die da?“

Rüchel verstand sehr wohl den erhobenen verweisenden Ton in der Stimme des Assessors und antwortete etwas kleinlaut und dabei pikirt:

„Ihr hochgeehrtes Fräulein Braut. Ich hatte es gleich weg, daß mit Ihnen was los war. Früher, da war Alles recht, was ich machte und wie’s war. Als Sie aber anfingen sich nach den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_001.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)