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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


ergriff er laut lachend ein Buch und warf es den agirenden Jungen mit den Worten hinab:

„Bengels, wenn Ihr denn durchaus Theater spielen wollt, dann spielt wenigstens daraus!“

Die beiden Künstler waren zwar zuerst etwas verblüfft über diese sonderbare Unterbrechung und daß so plötzlich „der Segen von oben“ kam, dann aber griffen sie neugierig zu – es war Shakespeare’s „Heinrich der Vierte“, und von nun an probten sie Shakespeare.

Bald nachdem Albert das Gefängniß verlassen hatte, hieß es, er wolle Schauspieler werden, und ein wenig später, er träte in Aschersleben zum ersten Male auf. Die weitere Laufbahn unseres anerkannt ersten Heldentenors kennt die Welt. Lange ist auch schon in das Haus der hochbetagten, biedern Mutter Niemann’s der Ruf ihres großen Sohnes gedrungen, und mit mütterlichem Stolze zeigt sie, wenn einmal alte Bekannte von ehemals aus Berlin sie besuchen, das Bild desselben und hört dann verwundert oft genug die abwehrende Antwort: „Lassen Sie nur, liebe Frau Niemann, den kennen wir schon; er steht in Berlin ja in jedem Bilderladen.“


Die künstliche Darstellung des Indigo. Zur Beruhigung aller Derjenigen, welche bereits zu fürchten begannen, daß die Erfinder sämmtlich nach Amerika ausgewandert seien, können wir mittheilen, daß vor Kurzem in Deutschland wieder eine jener Entdeckungen gemacht worden ist, die eine bedeutende Zukunft haben: die Darstellung des Indigoblaues auf synthetischem Wege, durch Professor Baeyer, den Nachfolger Justus Liebig’s in München. Das Indigoblau, welches trotz aller neuen und blendenden Errungenschaften der modernen Farbenchemie unverrückbar den vornehmsten Platz in der Reihe der blauen Farbstoffe behauptet, ist ein lange sehnsüchtig umworbenes Räthsel der zusammensetzenden Chemie geblieben, und mehr als einmal bereits sind wir durch voreilige Botschaften über das Gelingen des großen Wurfes seiner Herstellung im Laboratorium getäuscht worden, seit einigen Monaten aber ist der künstliche Indigo eine Thatsache.

Was eine solche Entdeckung für die Industrie und den Nationalwohlstand bedeutet, möge ein Blick auf einen Vorläufer des Indigo, auf das künstliche Alizarin, den Farbstoff der für die Türkisch-Roth-Färberei bis dahin benützten Färberröthe oder Krappwurzel darthun, dessen künstliche Darstellung im Jahre 1868 den Berliner Chemikern Gräbe und Liebermann zuerst gelang. Schon im Jahre 1874 erreichte die Menge des jährlich gewonnenen künstlichen Alizarins den Vierth von circa sieben Millionen Thalern, von denen Zweidrittel in Deutschland blieben, und heute ist diese Zahl gewiss noch bedeutend höher. Der Krappbau, welcher sonst dem Getreide- und Gemüseanbau eine Menge Land wegnahm, hat seitdem beinahe gänzlich aufgehört; fast alles in der Türkisch-Roth-Färberei Verwendung findende Alizarin wird nunmehr aus einem Abfallprodukt der Gas-Industrie, dem Anthracen gewonnen. Von Neuem richteten sich seitdem die sehnsüchtigen Blicke der Chemiker auf den Indigo, der ja noch viel geschätzter ist, als die Krappwurzel. Die chemische Synthese, das heißt die künstliche Zusammensetzung der chemischen Verbindungen und besonders der in der Natur fertig gebildet vorkommenden anorganischen und organischen Stoffe, hat, wie wir in dem Artikel über die künstlichen Edelsteine (S. 228 dieses Jahrgangs) erfuhren, in der Neuzeit namentlich durch die Berliner Chemiker-Schule einen hohen Grad von Leistungsfähigkeit erlangt, und selbst die in den lebenden Pflanzen und Thieren gebildeten Verbindungen verfallen eine nach der andern der Synthese, die in der Regel nicht mehr lange auf sich warten läßt, wenn man nur erst weiß, zu welcher chemischen „Familie“ der betreffende Körper gehört.

Die organischen Verbindungen bilden namlich große Gruppen, deren Zugehörige sich von gewissen einfachen Grundverbindungen, die der Gruppe den Namen geben, herleiten lassen, und gleichsam als deren Abkömmlinge betrachtet werden können. So ist beispielsweise das Coniin, der giftige Stoff des fleckigen Schierlings, ein künstlich herstellbarer Abkömmling der im Butterfett vertretenen und darnach benannten Buthy-Gruppe. Zu welcher Familie nun der Indigo gehört, wußte man trotz aller darüber aufgestellten Vermuthungen keineswegs sicher, und Professor Baeyer kam erst zur Gewißheit, indem er ein von ihm erfundenes Verfahren anwendete, welches man, dem obigen Gedankengang entsprechend, die chemische Ahnenprobe nennen konnte. Sie besteht in einer Erhitzung des fraglichen Körpers mit einem Ueberschusse von Zinkstaub, der die vergänglicheren Bestandtheile an sich zu reißen und die zusammengehöre Verbindung auf die meist beständigere Grundform zu reduciren pflegt.

Als Gräbe und Liebermann das seit Jahrzehnten allen Bemühungen der Chemiker trotzende Alizarin mit Zinkstaub erhitzten, destillirte daraus eine Art Steinkohlenkampher, das Anthracen, aus dem es jetzt in großen Massen gewonnen wird, und indem Baeyer den Indigo ebenso auf seine Abstammung prüfte, gelangte er zu einer wohlbekannten und leicht darstellbaren Verbindung, der sogenannten Phenylessigsäure. Damit war Etwas, aber nicht Alles erreicht, denn von diesem Endproduct der rückschreitenden Analyse galt es nun wieder vorwärts aufzubauen, und in der That gelang es ihm, wenn auch auf einem ziemlich umständlichen Wege, aus der Phenylessigsäure erst die näheren Zersetzungsproducte des Indigos, das sogenannte Oxindol und Isatin und aus diesen, auf einem von ihm früher erkannten Wege, das Indigoblau selbst zu gewinnen. Vorläufig dürfte der Process allerdings noch zu umständlich sein, um sogleich industriell ausgebeutet zu werden, aber es ist kaum zu bezweifeln, daß man nun sehr bald jenen altehrwürdigen Farbstoff, den die Römer nach seinem indischen Heimathslande Indicum nannten, auch im Großen künstlich herstellen wird, und daß das Land Indien alsdann für die Krone Englands verschiedene Millionen weniger werth sein wird.



Nothzustand in der Ferne. Aus Amerika, dessen deutsche Bevölkerungen sich stets hülfsbereit jeder Noth ihrer alten Heimath erinnert und namentlich in unseren letzten Erhebungskriege so treu und opferwillig zu uns gestanden haben, dringt seit längerer Zeit ein recht herber Schmerzensschrei zu uns herüber: die Kunde von den Verheerungen, welche das gelbe Fieber in den südlichen Theilen der Vereinigten Staaten angerichtet hat. Zwar ist die Wuth der entsetzlichen Seuche jetzt durch den Eintritt der kühleren Jahreszeit gebändigt, aber die Folgen zeigen sich in einem namenlosen Unglück. Unzähligen Familien sind ihre Ernährer dahingerafft, Tausende von Wittwen und Waisen, denen nicht weniger als Alles fehlt, verkommen in stillem Darben oder strecken jammernd ihre Hände um Beistand und Rettung aus. Außerordentlich stark ist besonders die ohnedies seit dem letzten Bürgerkriege schwer in ihrem Wohlstande geschädigte Stadt New-Orleans von dem Verhängniß heimgesucht worden. Hier ist in der That als Nachwirkung der Epidemie unter der meist aus deutschen Arbeitern und Handelsleuten bestehenden ärmeren Classe ein Massenelend ausgebrochen, das jeder Beschreibung spottet und gegen welches alle locale Hülfe sich ohnmächtig erweist.

Schon ist Kaiser Wilhelm seiner Nation mit dem Beispiele seiner Theilnahme vorangegangen, indem er aus eigener Schatulle dreitausend Mark zur Unterstützung jener Hülfsbedürftigen gespendet hat. Die deutsche Nation aber war seit dem Frühling dieses Jahres durch eine Aufeinanderfolge verschiedenster Schreck- und Wirrnisse so unablässig in Anspruch genommen, daß es fast erklärlich ist, wenn sie in dieser schlimmen Zeit nach außen hin einer schweren Versäumniß sich schuldig gemacht hat. Während von England und Frankreich bereits imposante Unterstützungssummen nach jenen Stätten des Hungers und Kummers gewandert sind, ist von dem großen deutschen Volke aus, das so viele Landsleute unter den Nothleidenden weiß, in dieser Hinsicht noch gar nichts gethan worden. Darf man sich wundern, daß diese Unterlassung drüben nicht unbemerkt geblieben ist? Deutsche Zeitungen in New-Orleans ergeben sich bereits in den allerbittersten Ausfällen wider unser Vaterland, und wenn man auch über die vorschnelle Grobheit, den plumpen und hämischen Ton dieser Angriffe den Kopf schüttelt, so muß man doch leider zugeben, daß der Vorwurf an sich selber ein begründeter und durchaus für uns beschämender ist.

Wir würden unsere deutschen Leser zu beleidigen glauben, wenn wir ihnen im Angesichte der betreffenden Angelegenheit erst vorstellen wollten, daß es sich dabei ebensowohl um eine Mahnung des Volksgewissens und eine dringende Pflicht der nationalen Ehre handelt, wie um ein unabweisliches Gebot der internationalen Humanität und Nächstenliebe. Wir sollen, können und dürfen, wenn wir unser unmenschliches Gefühl nicht in Frage stellen und unseren guten Namen nicht mit einem unverwischlichen Flecken behaften wollen, diesem Acte der Mildthätigkeit nicht fern bleiben. Und was geschehen soll, das muß in entsprechendem Maße, es muß vor Allem schleunig und ohne Säumen geschehen. Jede Entschuldigung, daß man von dem Umfange und der haarsträubenden Art des Leidens nicht unterrichtet sei und daß die Sache noch nirgends in die Hand genommen sei, ist hinfällig geworden. Bereits im Laufe des November hat sich in Berlin ein Central-Ausschuß gebildet, der sofort einen von hochangesehenen Namen, auch von den Abgeordneten Kapp und Loewe (Calbe) unterzeichneten Aufruf zur Anregung einer deutschen Beisteuer für die bezeichneten Nothleidenden in Amerika erlassen und versandt hat. Den Zweck dieses Aufrufs nachdrücklich zu fordern, ist die Absicht unserer Zeilen. Man darf erwarten, daß einer solchen Ansprache die Erfolge nicht fehlen und aus allen Kreisen die größeren und kleineren Gaben reichlich fließen werden. Gilt es doch, Thränen zu trocknen und ein grausames Geschick zu lindern, unter dessen Schlägen schon viele unserer deutschen Brüder und Schwestern auf fremder Erde hülflos zusammengebrochen sind. Für Diejenigen, denen der bezeichnete Aufruf nicht zu Gesicht kommen sollte, sei nur noch erwähnt, daß der Schatzmeister des Ausschusses, Herr Generaldirektor Hermann Rose in Berlin (Leipziger Platz 12), zur Annahme der Unterstützungsbeiträge sich bereit erklärt hat. Bericht über Ergebniß und Verwendung der Sammlung wird demnächst von Berlin aus erstattet werden.


Große Eier kleiner Vögel. Wir fühlen uns verpflichtet, vor dem Abscheiden des alten Jahres unseren Lesern Aufschluß über einen gegen die „Gartenlaube“ gerichteten öffentlichen Angriff zu geben. In einem unter der Ueberschrift „Die Insel Niuafou“ auf Seite 718 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ erschienenen Artikel wurde unter Anderem von einer merkwürdigen Art Vogel, die zur Familie der Hühner gehören, erzählt: daß sie so groß wie Rebhühner seien und in Gesellschaft von zwanzig bis dreißig Genossen ihre Eier, deren jeder Vogel in der Brutzeit nur eines von Enteneier-Größe lege, in eine Grube von Lava-Asche zusammentragen, um dieselben dort von der Sonnen- und Erdwärme ausbrüten zu lassen. Diese Angabe ist von einem anonymen, uns aber keineswegs verborgenen Mitarbeiter der Wiener „Neuen Freien Presse“ herausgegriffen worden, nicht etwa um sein Pubicum eines Bessern über die angeführte Naturerscheinung zu belehren, sondern in der unverkennbaren Absicht, im Tone spöttischer Ueberlegenheit über die gegenwärtige Redaction der „Gartenlaube“ herzufallen und ihren Ruf in den Augen der Oeffentlichkeit zu schädigen. Die Mittheilung von den großen Eiern der kleinen Hühner auf der Insel Niuafou ist ihm eine besonders starke „Räubergeschichte“, und er bemerkt, daß es „schlimm mit den Elementarkenntnissen in den Realien bei der unkundigen Redaction der ‚Gartenlaube‘ stehe“, die „neuerdings stärker an die Langmuth ihrer Leser, als an jede andere Empfindung appellire“.

Eine der wesentlichsten Traditionen unseres Blattes fordert, daß der Raum desselben nur seinen Lesern gehöre und daß keine Zeile zu Auseinandersetzungen in rein persönlichem Interesse verwendet werde. Es würde deshalb auch von dem in jener Journalnotiz gegen uns gerichteten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 869. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_869.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)