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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

reisen Beide in Ihre Garnison, um dort die Angelegenheiten zu arrangiren; alsdann reichen Sie das Abschiedsgesuch ein – Sie dürfen es mir nicht verdenken, daß ich dies so bestimmt verlange! Sie ist mein einziges Kind“ – seine Stimme bebte bei diesen Worten – „und ich will sie wenigstens in meiner Nähe, unter meinem Schutz behalten.“

Army verbeugte sich zustimmend, aber das Blut stieg ihm siedend heiß in die Wangen.

„Ich verlange nichts Unbilliges,“ fuhr Jener fort. „Sie wissen, daß meine Familie in früheren Zeiten von der Ihrigen einen ansehnlichen Theil der umliegenden Ländereien käuflich erworben hat. Nun ist Lieschen unser einziges Kind, und ich habe mit meiner Frau überlegt, daß es das Beste scheint, Sie werden wieder, was Ihre Väter waren, nämlich Herr auf Derenberg. Ich habe bereits heute früh an Hellwig geschrieben wie die Dinge stehen, und ihn zu einer Conferenz mit mir nach S. bestellt, hauptsächlich zu dem Zwecke, um zu versuchen wie viel wir von den Ländereien Ihres Stammgutes, die ohnehin in keineswegs guten Händen sind, wieder erwerben können, um sie dem Ganzen hinzuzufügen; hoffentlich wird es zum größten Theile gelingen. Von Ihnen erwarte ich dafür, daß Sie sich – –“ er brach plötzlich ab; dann trat er zum Schreibtische und suchte zwischen Papieren umher.

„Ich habe nicht leichten Herzens mein Jawort gegeben,“ wandte er sich wieder zu dem jungen Manne und seine Stimme klang weich und leise, „denn ich fürchte, daß meine Tochter vielen Demüthigungen entgegen geht, aber sie wollte es nicht anders. – Ich kenne Sie eigentlich nur aus Ihrer Kindheit, denn als junger Mann haben Sie mein Haus nicht mehr betreten, aber das Wenige, was ich von Ihnen weiß, ist nicht gerade der Art, Ihnen mein Vertrauen rückhaltlos zu schenken. Sie sind bis jetzt getreulich in die Fußstapfen Ihrer Frau Großmutter getreten, die in Leuten meines Standes tief untergeordnete Geschöpfe sieht; Ihre Vorfahren – das weiß ich – dachten anders. Ich habe Ihnen jetzt das Liebste gegeben, was wir, meine kränkliche Frau und ich, auf der ganzen Welt besitzen, und dafür fordere ich, daß Sie mein Kind beschützen und hoch halten; ich will nicht, daß es von Ihrer Frau Großmutter so behandelt wird, wie Ihre unglückliche Mutter; dieses Versprechen kann ich von Ihnen verlangen, und Sie sollen es mir jetzt geben; sobald ich Thränen in den Augen meines Kindes sehe, mache ich Sie verantwortlich dafür. Werden Sie es versprechen können, Alles thun zu wollen, um mein Kind vor dem Hochmuthe jener Frau zu schützen?“

Er hielt ihm die Hand hin. Am liebsten wäre Army dem Manne um den Hals gefallen; Derenberg sollte wieder ihm gehören, sein schönster Traum wahr werden! Und doch lag ein drückender Alp auf seiner Freude.

„Lieschen soll es nie bereuen, daß sie mich vor einer dunklen Zukunft rettete,“ erwiderte er, als seine Hand in der Erving’s lag, „ich werde sie zu schützen wissen in jeder Weise – auch vor meiner Großmutter; ich muß sofort zu ihr.“

Ein rascher, forschender Blick Erving’s glitt über das Gesicht des jungen Mannes vor ihm; dieser schien ruhig, nur seine Augen blitzten erregt.

„Lassen Sie sich nicht fortreißen!“ ermahnte ihn der ältere Mann und legte die Hand auf die Schulter Army’s, „sie ist und bleibt die Mutter Ihres Vaters und das Alter soll man ehren. Ich verlange weiter nichts, als daß sie meinem Kinde nicht weh thut, im Uebrigen mag sie handeln, wie sie will. Also Ruhe, Army, hören Sie wohl? Sie ist eine alte Frau.“

Es war das erste Mal, daß er den jungen Officier beim Vornamen anredete. Fast gerührt sah dieser zu ihm auf; das war der Mann, von dem er einst in thörichtem Stolze gesagt hatte, er könne nicht unter seinem Dache verkehren, und jetzt sorgte er für ihn wie ein Vater; ihm verdankte er jetzt Alles, Alles, seine ganze Zukunft.

„Gehen Sie jetzt, Army!“ mahnte er, als dieser seine Hand ergriff und sie wortlos drückte, „und heute Nachmittag reisen wir. Gehen Sie – und noch einmal – Mäßigung!“

Er ging wie im Traume; dort oben am Ende der Allee tauchte das Schloß auf und das mächtige wappengeschmückte Portal. Er heftete einen Moment seine Blicke darauf, er kam sich heute so klein vor, so erbärmlich.

Er richtete den Kopf hoch, und ein Zug von Entschlossenheit lag auf seinem Gesicht, als er jetzt die Stufen der Treppe emporschritt, die zu dem Zimmer seiner Großmutter führte. Da kam ihm Nelly entgegengelaufen; ihre Augen leuchteten wie Sonnenschein.

„Wie geht es Lieschen, Army?“ fragte sie und schlang, auf einer Stufe stehend, beide Arme um seinen Hals. Er schaute ihr in das lachende Gesicht.

„Willst Du mir einen Gefallen thun, Kleine?“ fragte er, und strich ihr die Locken aus der Stirn. Sie nickte eifrig.

„Dann geh’ zu ihr – ja? Aber bald, gleich, und sage ihr, ich lasse sie grüßen und sie soll nicht mehr weinen, ich ließe sie sehr bitten darum – hörst Du?“ Er machte eilig ihre Händchen los und wandte sich ab; als er einen erstaunten, fragenden Ausdruck in ihren Zügen las, rief er zurück: „Geh’ nur bald! und bleib ein wenig bei ihr! Ich habe jetzt mit der Großmama zu sprechen.“ –

Aus dem Corridor huschte Sanna an ihm vorbei; ihr Gruß war etwas schnippisch.

„Kann ich die Großmama jetzt sprechen?“ fragte er.

„Ich war schon zweimal in Ihrem Zimmer, Herr Baron,“ erwiderte sie, „die Frau Großmama wartet mit Ungeduld.“

Er ging rasch an ihr vorüber und trat ein. Die alte Dame saß auf ihrem gewöhnlichen Platze am Kamin; sie grüßte flüchtig mit dem Kopfe und wies auf einen Sessel. „Du hast mich lange warten lassen,“ sagte sie.

„Ich hatte eine nothwendige Unterredung mit meinem zukünftigen Schwiegervater,“ erwiderte er, Platz nehmend, „er war so gütig, mir die Pläne für unsere Zukunft mitzutheilen.“

„Das Experiment ist also doch geglückt?“ fragte sie, seine eigenen Worte gebrauchend. „Nun, jedenfalls habt Ihr die Ringe noch nicht gewechselt; es läßt sich also über die Sache noch reden.“ Er machte eine ungeduldige Bewegung. „Du erlaubst doch, daß ich Dir noch ein paar Worte sagen darf?“ fragte sie.

Army verbeugte sich leicht und heftete seine Blicke plötzlich auf ein Briefblatt, das die schlanken Finger seiner Großmutter hielten; er kannte dieses starke cremefarbige Papier, und auf einmal schoß ihm das Blut siedend heiß zum Herzen.

„Zuerst,“ begann die alte Dame und nahm von dem neben ihr stehenden Tischchen ein zweites Blatt, „ist hier ein sehr liebenswürdiges Schreiben des Herzogs; er wünscht Deine Verhältnisse kennen zu lernen und verspricht mir, in jeder Weise sich für Dich zu interessiren; es ist das ein Versprechen, dessen Tragweite Du hoffentlich zu würdigen verstehst; Deine Stellung als Officier ist gesichert, Deine Carriere zweifellos.“ Sie sah ihn forschend an. „Mein Rath ist der, Du endigst diese lächerliche Farce da unten in der Mühle und reisest sofort nach S. ab.“

„Großmama,“ erwiderte er ruhig, „das kann unmöglich Dein Ernst sein.“

„Er ist es – gewiß!“ versicherte sie; „Du bist mit vollen Segeln in die obscursten Verhältnisse hinein gerannt, und ich möchte Dich daraus in standesgemäßere retten.“

„Standesgemäßere?“ fragte er, „schwerlich; die Verhältnisse, in die ich trete, sind die besten, die es giebt.“

„Vielleicht als Compagnon des Herrn Schwiegervaters – Lumpenmüller Numero Zwei! Nicht wahr?“

„Bitte Großmama, brechen wir das Capitel ab! Ich werde nie mein Wort zurücknehmen, selbst wenn mich Dein Vorschlag verlocken könnte – um so weniger aber, da ich ganz und gar keine Lust verspüre, zurückzutreten.“

„Dann gehe ich aus dem Hause!“ rief sie gereizt, „noch ehe Deine Frau den Fuß hineinsetzt.“

„Es sollte mir leid thun, Großmama, Du könntest mit ein wenig Güte so vieles gut machen; freilich wenn Du –“

„Es ist doch besser, daß ich gehe, meinst Du?“ fragte sie. „Gut, Army, ich will es auch; sieh hier, da ist ein Ausweg.“

Sie hielt ihm den crêmefarbenen Brief vor die Augen; er erkannte die zierlichen Schriftzüge seiner treulosen Braut, unwillkürlich trat er zurück. „Blanka?“ fragte er tonlos, „sie schreibt an Dich?“

„Weißt Du, was sie mir schreibt? Sie bittet mich, sie auf einer Reise nach Italien zu begleiten, weil der Oberst dienstlich verhindert ist, mitzugehen. Am liebsten würde ich ihr diesen Wisch mit den süßschmeichelnden Worte in’s Gesicht schleudern[WS 1]

  1. Diese und ff. nicht lesbaren Textstellen nach –Lumpenmüllers Lieschen. Roman. Ernst Keil, Leipzig 1879 Internet Archive- ergänzt und korrigiert
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