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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

nicht mild blicken, wie diesen das Bild war nicht ähnlich, gar nicht, nur die Haare. Ein bitterer hohnvoller Zug legte sich um seinen Mund! „Sind sie aber ohne Tück,“ murmelte er, „ohne Tück? – Keine Einzige, keine!“

Er hörte nicht, wie sich leise und zögernd die Thür seines Zimmers öffnete, wie ein blasses Mädchengesicht mit unsicheren Blicken hereinsah, wie eine schlanke Gestalt sich ihm leise und zögernd näherte. In der Mitte des Zimmers blieb sie stehen; ihre Augen hafteten starr auf dem goldhaarigen Frauenkopfe dort im Bilde, den der junge Mann noch immer unverwandt ansah; unwillkürlich machte sie eine Bewegung, als wollte sie fliehen – da wandte er sich.

„Lieschen!“ stammelte er, „Lieschen, Du –?“

Sie antwortete nicht; sie sah ihn nur schmerzlich an.

„Was willst Du, Lieschen?“ sagte er, „suchst Du Nelly? Sie – ich weiß nicht, ob – –“

„Nein,“ antwortete sie, „ich komme zu Dir.“

„Zu mir?“ fragte er leise.

„Ja, ich – mich trieb die Angst, Army. Deine Mutter war bei uns und sagte, Du wolltest – O, geh’ nicht fort, Army, geh’ nicht fort! Ich überleb’ es nicht.“ Das Letzte klang wie ein Aufschrei; sie schlug die Hände vor das erglühende Gesicht.

„Du bittest mich, Lieschen, und Du hast mich doch heute früh gehen lassen?“ fragte er bitter.

„O, es that mir so weh, als Du fortgingst, Army, so weh, aber noch viel mehr, noch tausend Mal mehr schmerzt es, daß Du mich nicht lieb hast, daß Du mich nur willst um – –“

„Das hat Dir Dein Vater gesagt, Lieschen!“

„Ja! Und ist es nicht wahr, Army? Und wenn ich noch gezweifelt hätte – als Deine Mutter vorhin in unser Haus trat, um Hülfe zu suchen bei dem Vater, damit Du nicht fort brauchtest in die weite Welt, da mußte es mir klar werden, mußte ich glauben, wogegen sich mein Herz sträubt mit aller Gewalt.“

„Sie hat bei Deinem Vater gebettelt für mich?“ fragte er laut und heftig und trat näher zu ihr. „Das ist stark.“

„Sie hat Dich so lieb, Army, und sie wußte ja nicht, daß Du mich – daß der Vater –“ sie sah angstvoll flehend zu ihm auf. „Geh’ nicht fort, Army, geh’ nicht fort – –“

Da stand sie vor ihm, so reizend und einfach in dem kornblumenblauen Wollkleide, die Wimper tief gesenkt in mädchenhafter Verwirrung, die Brust stürmisch wogend vor Angst um ihn, vor Aufregung über den Schritt, den sie gethan; die eine der langen Flechten hatte sich von dem eiligen Laufe gelöst und hing ihr über die Schulter; sie merkte es nicht; sie streckte die zitternden Hände, eng in einander gefaltet, ihm bittend entgegen, und er wagte nicht, diese zu ergreifen.

Das war sie ja, in holdester Gestalt verkörpert: die große, Alles überwindende Liebe eines Frauenherzens, an der er noch eben gezweifelt!

„Sei nicht stolz, Army,“ rang es sich endlich von ihren Lippen, „um Deiner Mutter und – – um meinetwillen. Ich wäre ja elend ein ganzes Leben lang mit dem Bewußtsein, Dich nicht gerettet zu haben. Wir wollen Cameraden sein, gute Cameraden, wie einst, Army – –“

Eine lange Pause trat ein; er hatte das Gesicht abgewandt und sah zu Boden, die Arme fest über einander geschlagen. Sie blickte fragend zu ihm hinüber, nach und nach aber überzog ein dunkles glühendes Roth ihr Gesicht, die verschlungenen Hände lösten sich, und ein paar große Tropfen quollen unter den Wimpern hervor. Ein brennendes Schamgefühl stieg siedend heiß, erstickend in ihrer Brust auf; sie wandte sich und ging zur Thür. Da hörte sie Schritte draußen, eilige, wohlbekannte Schritte. Angstvoll irrten ihre großen Augen im Zimmer umher und hafteten an den seinen; fassungslos blieb sie stehen. „Die Muhme,“ flüsterte sie, „sie kommt, mich zu suchen.“

Aber in demselben Moment stand Army neben ihr und zog sie schützend an sich; verwirrt und angstvoll senkte sich ihr Kopf auf seine Schulter; sie meinte, man müsse den lauten vollen Schlag ihres Herzens hören können; jetzt wurde die Thür geöffnet; unwillkürlich schmiegte sie sich fester an ihn, jeden Augenblick erwartend, eine wohlbekannte Stimme zürnend und vorwurfsvoll reden zu hören. Aber es blieb still; die alte Frauengestalt dort auf der Schwelle stand regungslos, und die Augen ruhten schmerzlich staunend auf dem Bilde vor ihr; dort in dem hohen halbdunklen Gemach gerade unter dem großen Kronleuchter aus Hirschgeweihen, dort stand ein junges Paar; er hatte den Arm um die schlanke Gestalt gelegt; er hielt sie an sich gepreßt und sah finster zu der alten Frau hinüber, als sei er böse auf die Störerin; so standen die Beiden, ein Bild des süßesten Glückes.

„Also doch! also doch! Gegen die Liebe und den Tod, da ist kein Kraut gewachsen.“ Sie hatte es geahnt, als Lieschen so eilig das Haus verließ; sie war ihr nachgeeilt, aber wer kann noch mit fünfundsechszig Jahren laufen wie ein junges leichtfüßiges Ding, und sie kam zu spät! zu spät! Das arme Kind war mit offenen Armen in sein Unglück gerannt.

„Lieschen!“ rief sie vorwurfsvoll.

Und da blickte sie auf und machte sich los aus seinen Armen.

„Ach, schilt nicht,“ bat sie leise, „ich konnte nicht anders, Muhme,“ und streckte ihr die Hände entgegen. Sie versuchte dabei zu lächeln, aber es ging nicht – die Thränen drängten sich ihr mit aller Gewalt in die Augen; fast leidenschaftlich schlang sie die Arme um den Hals der alten Frau, und unter Schluchzen rangen sich wieder die Worte von ihren Lippen: „Ich konnte ja nicht anders, Muhme – ich konnte ja nicht anders.“



16.

Der folgende Tag brachte schlechtes Wetter; es thaute, und die leuchtende Schneedecke war plötzlich verschwunden; die nassen braunen Aeste streckten sich kahl gegen den grauen Himmel, und dazu stürmte und toste es an der Luft; die Ellern am Mühlbach schwankten und bogen sich im Winde.

Auf der Mühle herrschte eine gedrückte Stimmung; die Mädchen in der Küche sprachen leise mit einander, und der Kutscher, der sich hinzu geschlichen, kratzte sich ein paar Mal mit vielsagender Miene hinter den Ohren. Aus der Wohnstube drang des Hausherrn Stimme bis hier herüber. Der junge Baron war da. Gestern war er schon einmal da gewesen, und Lieschen sah seit gestern so blaß aus wie der Kalk an der Wand. Da mußte Etwas nicht richtig sein; das war ja sonnenklar, und die Muhme machte auch ein Gesicht wie der pure Essig – und nun gar der Herr!

Jetzt klappte die Thür der Wohnstube, und die Muhme schritt über den Flur die Treppe hinauf, wie Dörte bemerkte, die an dem Thürspalt lugte.

„Paß auf, Mine, unser Fräulein hat’s durchgesetzt,“ flüsterte sie, „die Muhme holt sie herunter; na – im Grunde, warum denn nicht? Er ist ein hübscher Mann und ein Vornehmer, und gut waren sie sich ja schon, als er noch als Cadettentsoldat auf Urlaub kam.“

Peter fuhr wieder mit der Hand hinter die Ohren.

„Na, denn man zu!“ meinte er, „wenn ich der Herr wäre, ich sagte Nee! von wegen der Alten auf dem Schlosse.“

Pst!“ wisperte Dörte, „wahrhaftig, sie kommt die Treppe herunter; jetzt gehen sie in’s Wohnzimmer, Juchhe! ein Verlobungsschmaus – das wird eine Lust.“

Im nächsten Moment stand sie aber schon wieder am Küchentisch bei ihren Tellern und Tassen, denn die Muhme näherte sich der Küche, und gleich darauf trat sie ein. Das alte Gesicht hatte einen sorgenvollen Zug, und die Augen sahen aus, als hätten sie recht inbrünstig geweint; so dachten wenigstens die Mädchen. Sie stand wie in Gedanken verloren, dann hakte sie das Schlüsselbund von der Schürze und schritt zur Speisekammer.

„Gläser, Dörte!“ befahl sie, als sie mit einigen Flaschen Wein wieder heraustrat, „und binde Dir eine weiße Schürze vor, wenn Du sie hineinbringst!“

Sie stellte die Flaschen auf den Küchentisch und ging, sich über die Augen wischend, wieder hinaus.

„Mein Gott!“ rief das Mädchen, als sie aus der Wohnstube zurückkehrte und das leere Präsentirbrett heftig auf den Tisch setzte, „das soll eine Verlobung sein? Die ganze Gesellschaft macht ein Gesicht wie bei einem Leichenschmaus; der Herr beißt sich auf die Lippen, als wollt’ er sich das Weinen verjagen, die Frau weint, wie wenn das Liesel gestorben wär’, und die Muhme dazu; der Herr Baron steht neben unserm Fräulein wie ein Stock, richtig wie ein Stock; ich sah gerade, wie er ihr die Hand küßte, als ob nicht zu einer Verlobung ein richtiger ordentlicher

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