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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Anderes dahinter. Ich sagte dem Vater zwar, daß ich mich bemühe, ehrlich bemühen würde, Lieschen hoch zu halten, sie zu schützen und zu behüten, wie nur ein Mann es könne, und das war keine Lüge, sondern meine redliche Absicht.“

„Wirklich?“ fragte sie ironisch.

Er wurde dunkelroth. „Wirklich!“ erwiderte er. „Oder meinst Du vielleicht, ich würde das Mädchen, das mir vertrauensvoll ihre Hand reicht, fühlen lassen, daß mich nicht die Liebe zu ihr führte? Vor allen Dingen, wenn mir ein so volles, kindlich-reines Herz entgegengebracht wird, wie das ihre?“

„Ei sieh, wo hat man solche Studien über ihr Herz gemacht?“

„Du vergißt, Großmama, daß wir zusammen aufgewachsen sind und daß ich in letzter Zeit oft genug Gelegenheit hatte, sie zu sehen – sie hat im Herbst wochenlang Mama gepflegt –“

„Hast Du Dich vielleicht in die barmherzige Schwester verliebt? Freilich, die Deutschen finden ja eine Frau nie reizender, als am Krankenbett oder in der Kinderstube; jedenfalls war das Mädchen für Dich ein ganz pikanter Gegensatz zu Blanka.“

Der junge Mann runzelte finster die Stirn. „Ich bitte Dich, Großmama, laß das!“ sagte er, „es ist vollständig unnütz, hier Vergleiche zu ziehen, aber – wir sind ganz von dem Gange unseres Gespräches abgekommen. Du sagtest, es stecke etwas Besonderes dahinter, daß ich Lieschen’s Hand nicht bekam; nun wohl, dieses Besondere – Du entschuldigst wohl, daß ich es so unumwunden ausspreche – dieses Besondere sind Erfahrungen, die man einst dort unten in der Mühle bei einer ähnlichen Angelegenheit machen mußte, bittere, harte Erfahrungen, die lange Zeit die Trauer an das alte Haus bannten; ich werde mich übrigens bemühen, Klarheit in diese Angelegeheit zu bringen.“

Der junge Officier hatte die letzten Worte laut und deutlich gesprochen und seine Augen ruhten unverwandt auf dem stolzen Gesichte ihm gegenüber. Es war ihm, als erbleichte es um eine leise Schattirung, aber kein Zug desselben veränderte sich.

„Gleichviel, welche Gründe den Müller veranlaßt haben, Dich zurückzuweisen,“ tönte es rauh zurück, „seine Familienchronik kenne ich nicht, und mir ist jeder Grund willkommen, denn meine Einwilligung zu diesem hirnverrückten Project wäre nun und nimmermehr erfolgt.“

„Dann wäre ich gezwungen gewesen, ohne diese zu heirathen,“ sagte er gelassen. „Du begreifst, daß man mit solchen Dingen nicht spielt, ich habe dem Mädchen mein Wort gegeben, sie gab mir ihre Zusage, und das ist genug. Es wäre nur dann etwas Anderes, wenn sie selbst refüsirt hätte. Ich bin aber überzeugt, daß ich dennoch ihre Hand erhalten hätte, wenn nicht jene traurigen Begebenheiten dazwischen ständen; die Eltern wollen ihr Kind nicht in das Haus geben, in welchem ihre alte Feindin wohnt – Du, Großmama!“

„Ich!“ Die Baronin sprang heftig auf. „Lächerlich!“ sagte sie dann und ließ sich in den Sessel zurückfallen, „mir sind die Leute stets in eminentem Grade gleichgültig gewesen, bis heute –“ Eine Weile blieb es still in dem Zimmer, die alte Dame athmete erleichtert auf; der ängstliche Zug, der sich während der letzten Reden ihres Enkelsohnes um ihren Mund gelegt hatte, verschwand, und fast freundlich bittend sah sie zu ihm hinüber.

„Ich wollte mit Dir sprechen, Army,“ sagte sie endlich, „wir müssen zusammen überlegen; ich habe an den Herzog geschrieben und bin überzeugt, daß das Geld kommt, ich bin jedoch genöthigt, einen Theil desselben für mich zu behalten; der andere bleibt für Dich; hoffentlich reicht er aus, um die schlimmsten Gläubiger zu befriedigen. Aber was dann? Und vor allen Dingen was – wenn die Hülfe wider alles Erwarten ausbleiben sollte?“

„An die Bereitwilligkeit des Herzogs glaube ich nicht.“ sagte er finster, „und wenn auch, es ist ein Tropfen auf einen heißen Stein. Mir bleibt nichts, als – Amerika.“

Er fühlte sich plötzlich an der Schulter erfaßt, und das Gesicht seiner Mutter beugte sich über ihn. „Army,“ fragte sie athemlos, „was sagst Du? Du wolltest fort – fort?“

Er schrak zusammen und faßte ihre Hand; er wollte sie beruhigen, aber die entsetzten, verweinten Augen hingen so forschend an seinem Gesicht – er ließ die Hand fallen und wandte sich ab.

„Cornelie, Du weißt, ich kann dieses unhörbare plötzliche Eintreten nicht leiden,“ schalt die alte Dame, aber jene hörte nicht; ihr Herz stand beinahe still vor dem einen schrecklichen Worte –: Amerika.

„Allmächtiger Gott! giebt es den Niemanden, der uns helfen kann? Army, ich sterbe ja, wenn Du fortgehst!“ flehte sie und hielt ihm die gefalteten Hände entgegen. „Das ist das Letzte, das Schwerste.“

„Weine doch nicht, ängstige Dich nicht, Mama!“ sagte er, ohne sie anzusehen, „ich, ich bleibe ja –“

„Nein, nein, ich weiß, was Du thun willst.“ rief sie, „Du wirst fortgehen, heimlich, ohne Abschied; ich werde eines Morgens aufwachen und keinen Sohn mehr haben; Army, kannst Du das? Kannst Du fortgehen, wo Du weißt, daß Du mich nimmermehr wiedersiehst?“ Schneidend und herzzerreißend klang der Jammer aus diesen Worten.

„Es wäre ja nicht für immer,“ sagte er stockend, „ich käme ja einst wieder; wir schreiben uns; es –“

Der junge Mann fuhr sich plötzlich mit heftiger Geberde durch das Haar. „Mein Gott!“ rief er, „ich bitte Dich, Mama, mache mir durch Deine Klagen die Sache nicht noch schwerer, überlege doch: ich habe massenhafte Schulden – das ist ein Factum; bezahlen kann ich sie nicht – das ist das andere Factum. Ich habe das Mögliche versucht, um einen Ausweg zu finden – es war umsonst. Zum neuen Jahre kommt die Angelegenheit zum Klappen; es sind Wechselschulden dabei; die Festung ist mir gewiß – ich kann nicht weiter dienen – was bleibt mir da Anderes –? Denkst Du, mir ist wohl dabei zu Muthe?“ Er schritt hastig aus dem Zimmer und warf die Thür dröhnend hinter sich zu.

Einen Augenblick hielt er zögernd den Fuß an; es war ihm, als habe er einen Schrei seiner Mutter gehört, dann zog er weitergehend einen Brief aus seiner Uniform und erbrach ihn. „Es ist richtig; der Tanz geht los,“ flüsterte er, die Zeilen überfliegend; er trat düster in sein Zimmer und warf sich in den Sessel, der vor dem alten Kamine stand.

Heute früh hatte ihm noch einmal ein Hoffnungstrahl geleuchtet – Lieschen; die Worte, die gestern Abend so leise flüsternd sein Ohr trafen unter der alten verschneiten Linde, sie hatten wie eine Friedensbotschaft nach den letzten stürmischen Wochen geklungen; es waren so kinderreine einfache Worte gewesen, die aus einem seligen, jubelvollen Mädchenherzen kamen; wie Veilchenhauch hatte ihn das süße verschämte Wesen der alten Spielgefährtin angemuthet; das war echte, wahrhaftige Liebe, die ihm da entgegeblühte! Echte Liebe? Nein – die gab es wohl kaum noch. Sie fügte sich heute so willig dem Vater, als er ihr sagte: Du wirst unglücklich – laß von ihm! Aber er konnte ihr kaum einen Vorwurf machen; der Vater wird ihr gesagt haben: er liebt Dich nicht; er liebt nur Dein Geld. Das war schon genug, und dann? Was mochte das Andere sein mit der Großmama? Baron Fritz und Lisett! Herr Erving hatte sie genannt heute früh, als er von den hauptsächlichsten Gründen seiner Weigerung sprach; Gott weiß, was Alles da passirt sein mochte; er war so vorsichtig in seine Aeußerungen gewesen, aber bah – es ändert ja doch nichts mehr. Wie bald wird es in seiner Garnison heißen: „der Lieutenant von Derenberg ist alle geworden, um die Ecke gegangen – natürlich Schulden, tolle Schulden; es liegt so in der Familie; der Vater hat sich ebenfalls erschossen; das passirt ja alle Tage – kaum noch der Mühe werth, darüber zu sprechen.“

Lange saß er so und brütete. Seine Mutter! Er hätte ihr eine Stütze sein sollen; ja sie würde sterben, wenn er ginge – und Nelly, das arme kleine Ding – wenn sie dann gar allein bliebe? – Er sprang hastig empor und riß die Uniform auf; in der Mitte des Zimmers blieb er stehen und starrte nach der Wand; dort hatte das Bild der schöne Agnese Mechthilde gehangen, das er sich vom Ahnensaal geholt, weil es ihr so ähnlich sah; er hatte es herabgenommen damals, als sie ihm ihr Wort brach; es lehnte noch immer verkehrt dort an der Wand.

Er schritt hinüber, hob es empor und hing es an seinen Platz; das wundervolle Gesicht mit den tief traurigen Augen schaute ihn wieder so vertraut, so unwiderstehlich bezaubernd an – er stellte sich mit verschränkten Armen davor und betrachtete es lange. Sie waren schuld, diese röthlich goldenen üppigen Haare, daß er geworden, was er jetzt war, durch eine thörichte, unselige Leidenschaft. Einen Augenblick überkam es ihn wie heiße Sehnsucht; würde sie wohl einen Blick des Bedauerns haben, wenn sie erführe, wie weit es mit ihm gekommen? Er lachte fast laut. Nein, die kalten funkelnden Augen, sie konnten

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