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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


15.


Die alte Baronin saß in ihrem Zimmer am Kamin und wartete in erregter Ungeduld auf das Erscheinen ihres Enkelsohnes. Schon dreimal hatte Sanna bei den Damen in den untern Räumen des Schlosses nach ihm gefragt, und jedesmal war sie mit dem Bescheid zu ihrer Herrin zurückgekehrt, der Herr Lieutenant sei noch immer nicht von seinem Spaziergang zurückgekommen.

„Gott steh’ mir bei!“ sagte die alte Dame und schritt zum Fenster, „was soll aus ihm, was aus uns werden? Da geht er in aller Seelenruhe spazieren, ohne daran zu denken, wie er den Zusammensturz des Hauses der Derenberg verhindern kann; von mir hat er wahrhaftig kein Tröpfchen Blut in seinen Adern – orribile!

Vor ihren Blicken lag der weite Park in kalter, stummer Winterpracht; die Mittagssonne glitzerte auf dem Anhang der Bäume und beleuchtete blendend die weißen Plätze. Todtenstille und Einsamkeit ringsum. Kein lebendes Wesen weit und breit! Höchstens ein paar hungrige Vögel auf den kahlen Aesten! Und so einsam und verlassen war es nun schon seit Jahren um dieses alte Schloß. Unwillkürlich schauerte sie zusammen. „Warum eigentlich?“ fragte sie sich selbst; sie war es ja gewohnt, so vergessen zu leben. Aber sie hatte in den letzten Tagen längst vergangener lustdurchwehter Zeiten so oft gedacht; und nun sollte sie weiter existiren in derselben trostlosen Weise, vielleicht noch jammervoller, wenn der Herzog von R. ihren Wunsch nicht erfüllte! Nein, nein, das wäre ja unmöglich. „Herr Gott, wenn er nicht –“ Sie ballte die feinen Hände. „O diese Schlange, diese Blanka!“ flüsterte sie, und die großen Augen blitzten düster. Ihre Züge hellten sich auch nicht auf, als sich in diesem Moment die rothen Vorhänge theilten und Army in das Zimmer trat.

„Bist Du wirklich schon zurück von Deinem Spaziergang?“ fragte sie ironisch.

„Ich war nicht spazieren,“ entgegnete er scheinbar ruhig, aber die alte Dame hatte doch den tief aufgeregten Klang seiner Stimme vernommen, sie richtete forschend ihre Blicke auf ihn.

„Nicht? Wo warst Du denn? Ich habe bereits drei- oder viermal nach Dir fragen lassen. Jedenfalls wäre eine Unterredung zwischen uns nöthiger gewesen als das, was Du gerade vorhattest. Aber es ist einmal nicht anders: Du besitzt den Charakter Deiner Mutter. Du bist indolent bis zum Aeußersten.“

„Im Gegentheil, Großmama – ich habe eben versucht, einen Deiner Rathschläge zu befolgen; leider mißglückte das Experiment total.“ Er fuhr sich mit dem Taschentuch über das erhitzte Gesicht und warf die Mütze auf den nächsten Tisch.

„Wie?“ fragte sie, „ich verstehe nicht – einen meiner Rathschläge?“

„Gewiß, ich wollte – – ich habe soeben versucht, eine reiche Heirath zu machen, aber wie gesagt –“

Die Baronin trat einen Schritt zurück und starrte ihn an.

„Du bist erstaunt, Großmama, das ist natürlich – ich wunderte mich noch heute früh, daß Du nicht selbst auf den Gedanken gekommen warst, jetzt freilich ahnt mir, daß Dir nichts ferner liegen konnte, als eine Heirath zwischen mir und Lieschen Erving.“

„Ich glaube, Du bist wahnsinnig, Army.“

„Wieso denn? Mein Gott, Du hast mir selbst gerathen, mich durch eine reiche Heirath zu retten, und sie ist reich genug, die Kleine, weiter bedarf es ja nichts nach Deiner Meinung.“

„Nimmermehr gebe ich das zu,“ rief die alte Dame außer sich, „ist es möglich, eine solche Idee zu fassen! Dieses unausstehliche Ding – Deine Frau? Es ist ja geradezu himmelschreiend.“

„Ich sagte Dir ja schon, daß das Experiment nicht geglückt ist,“ beruhigte er; er warf den Kopf zurück und fuhr mit der Hand spielend über den schwarzen Schnurrbart. „Ich habe einen Korb bekommen, Großmama, einen recht deutlichen Korb; ich möchte Dich jetzt aber bitten, nicht wieder von Indolenz zu reden.“ Es bebte ein tief verletztes Selbstgefühl in diesen Worten.

„Einen Korb?“ fragte sie verwundert und ungläubig, „einen Korb, sagst Du, Army?“

„Jawohl, Herr Erving erklärte mir erstens, daß er für sein Kind einen Mann beanspruche, der es liebe; er wolle sie nicht als lästige Zugabe ihres Geldes betrachtet wissen – das war deutlich, nicht wahr? Ich kann es dem Manne nicht übel nehmen, ich kam mir, als ich so vor ihm stand, doch verteufelt erbärmlich vor, wie nie in meinem Leben.“

Die Großmutter wendete ihm achselzuckend den Rücken. „Ideale Phrasen!“ sagte sie. „Unter tausend Heirathen wird kaum eine aus anderen Rücksichten geschlossen; ich kann mich nur wundern, daß Dir der Herr – Herr Erving einen solchen Bescheid gab; diese Art Leute bezahlt gern noch dreimal mehr Schulden, wie Du sie hast, wird das Fräulein Tochter dafür Frau Baronin – jedenfalls steckt noch etwas Anderes dahinter.“ Sie setzte sich in ihren Lehnstuhl am Kamin und versuchte gleichgültig in die Flammen zu sehen.

„Du hast ganz recht, Großmama; es steckt noch etwas

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 837. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_837.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2016)