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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Lieschen hing in athemloser Spannung an den Lippen der Erzählenden.

„Einen Augenblick blieb Alles still,“ fuhr die Muhme nach kurzer Pause fort; „dann hättest Du hören sollen, mit welcher Seelenangst die Lisett wiederholte:

‚Woher hast Du das goldene Herz, Fränzel?‘ Sie schien der Fränzel die Worte von den Lippen lesen zu wollen, und diese hatte den Kopf weit zurückgebogen und sah mit funkelnden Augen zu ihr hinüber; sie stand mit übereinander geschlagenen Armen, und nach und nach legte sich ein höhnisches Lächeln um ihren Mund.

‚Was geht’s Dich an?‘ fragte sie und wollte sich los machen.

‚Was es mich angeht? Gütiger Jesus, sie fragt, was es mich angeht! Marie, so hilf mir doch!‘ rief die Lisett, ‚ich muß es wieder haben; es ist ja mein – nein, sein – Herr Gott, ich hab’ es ihm ja geschenkt.‘

Ich trat näher, ganz starr vor Schrecken. ‚Gieb das Ding her, Fränzel!‘ sagte ich. ‚Gelt, Du hast es gefunden?‘

‚Was meint Ihr denn?‘ rief diese und schüttelte die Hand Lisett’s ab, die schwer auf ihrer Schulter lag, mich wundert, daß Ihr nicht sagt, ich hätt’s gestohlen. Es ist mein Eigenthum, ich laß’ mir’s nur von dem nehmen, der mir’s geschenkt, und nun rührt mich nicht an! Ich sollte meinen, Ihr wißt noch von früher, daß ich kratzen kann.’ Sie trat zurück; ihre Hände hatten sich geballt; dann wandte sie sich rasch zum Gehen.

‚Halt!‘ rief Lisett und faßte sie wieder am Arm, ‚ich frage Dich im Namen Jesu: Wer gab Dir das Herz?‘ Sie stand hochaufgerichtet vor dem Mädchen und hielt wie beschwörend die Hand empor – ein Zittern ging durch ihre Gestalt. Den Augenblick werd’ ich nimmer vergessen, Lieschen. Ich wollt’ zu ihr hin, um sie zu stützen, aber ich mußte stehen bleiben und sie ansehen; so schön sah sie aus, durch die entlaubten Zweige der Linden fiel ein Strahl der Herbstsonne und spielte auf ihrem braunen Haar, daß es wirklich aussah wie ein Heiligenschein, und wie ein Heiligenbild stand sie auch da, wie ein Engel vor einer Verlorenen.

Fränzel war ganz blaß geworden, als sie den Augen der Lisett begegnete, dann aber riß sie sich los und sagte: ‚Warum willst Du das wissen? Hab’ ich Dich schon einmal danach gefragt, wer Dir das goldne Ringel gab, das Du neulich so heiß geküßt hast in der Laube? Ja, ja, das hab’ ich wohl gesehen,‘ lachte sie, und kann ich nicht auch heimlich ’nen Liebsten haben? Denkst Du, weil Du des reichen Lumpenmüllers schöne Lisett bist, die tolle Fränzel gefällt Keinem? Leb’ wohl Lisett, und thu’ nicht so verwundert! Weiter sag’ ich Nichts –‘ sie lachte spöttisch auf und rannte über den Mühlensteg, daß ihr rother Rock im Sonnenschein uns in die Augen leuchtete.

Die Lisett aber stand bleich und starr und sah ihr nach, und als ich hinging zu ihr und sie trösten wollte, da stieß sie mich hastig zurück, und dann ging sie hinauf in ihre Stube. – Ich wußte nicht, was ich machen sollte, Kind, ob ich ihr folgen sollte oder nicht; das Herz klopfte mir zum Zerspringen, und wie ich noch so dastand, kam der Lisett ihre Mutter und gab mir einen Auftrag und schalt, daß die Federn da alle so zerstreut lagen auf dem Platze. Ich besorgte, was sie mir befohlen, aber die Thränen drängten sich mir aus den Augen um der armen Lisett ihren schweren Kummer – Herr Gott, wer hätte das gedacht? Sollte es denn wirklich wahr sein, daß er das Andenken von seinem Schatz an die leichtfertige Dirne vertändelt? Aber freilich, woher sollte sie es haben? Und dann das Licht drei Abende hinter einander im Thurmstübchen! O du einziger Heiland, dachte ich, was soll nun werden? Und sobald ich konnte, lief ich hinauf zu der Lisett, und da stand sie am Fenster und sah hinüber zum Schloß, und als ich an sie heranging und wollt’ meinen Arm um sie legen, da sagte sie ganz leise:

‚Laß gut sein, Mariechen! Womit wolltest Du mich auch trösten? Geh’ nur hinunter, geh’ nur! Ich werde schon allein fertig.‘

Ich schüttelte den Kopf und ging; ich konnt’ ja vor Weinen kaum sprechen, aber als ich eben die Stubenthür wieder schließen wollt’, da schrie sie auf, so furchtbar, so gellend, und als ich erschreckt zurücklief, da schüttelte es sie wie im Krampf und dann sank sie zu Boden. – Ich wollte sie aufheben aber sie lag schwer in meinen Armen wie eine Todte, und da kam auch schon die Mutter die Treppe herauf, und –

Du lieber Gott, Kind, was soll ich Dir das ausmalen? Es ist mir selbst nur wie ein dumpfer unheimlicher Traum. Die Lisett war schwer krank geworden; der Doctor gab keine Hoffnung, ich saß Tag und Nacht dort an dem Bette und horchte auf die bangen Phantasien, und das plauderte so süß und erzählte sich Etwas mit dem Liebsten, daß mir das Herz beinah stillstand vor Schmerz und Wehmuth; die Mutter erfuhr erst durch die wilden Fieberreden von ihres Kindes Lust und Schmerz – ich mußt’ ihr Alles erzählen. Sie warf einen langen kummervollen Blick auf das liebliche Geschöpf, das so jäh aus seinem Himmel geschleudert war, der Vater aber tobte und fluchte über den Treulosen; nur Lisett’s Bruder sagte:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_821.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2016)