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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Name nach 1871 vor jeder Untersuchung seitens französischer Chemiker geschützt haben würde. Es war das bisher allen Chemikern räthselhaft gebliebene Berliner Blau, oder preußische Blau, wie es die Franzosen nennen. In diesem Stoffe, sowie in der daraus herstellbaren sehr giftigen Blausäure, welche die Franzosen acide prussique, das heißt preußische Säure nennen, wies er als specifischen Bestandtheil eine Verbindung von Kohlenstoff und Stickstoff nach, die er Cyan nannte, und die sich, obwohl zusammengesetzt, ganz wie ein einfacher Stoff, ein sogenanntes Element verhält. Diese Entdeckung bezeichnet einen wichtigen Wendepunkt in der Entwickelung der Chemie; man kann sie den Geburtstag der „organischen Chemie“, das heißt der Chemie des Pflanzen- und Thierkörpers nennen. Die das Cyan betreffenden Untersuchungen sind später insbesondere durch Justus von Liebig weitergeführt worden, der 1822 nach Paris, damals der hohen Schule der Chemie, kam und durch Alexander von Humboldt mit Gay-Lussac bekannt gemacht wurde, mit dem er dann mehrere wichtige Arbeiten gemeinschaftlich unternahm und ausführte. Immer wieder diese innige Verbindung mit deutschen Forschern, deren Sprache Gay-Lussac, was bei einem Franzosen besonders bemerkt werden darf, ebenso vollkommen mächtig war, wie der italienischen und englischen.

Neben diesen Verdiensten um die reine Chemie und Physik, in welcher er besonders noch die Gährungstheorie und die Wärmelehre förderte, hat er auch der Industrie und gewerblichen Chemie erhebliche Dienste geleistet, namentlich durch seine musterhaften Bestimmungsmethoden des Werthgehaltes chemischer Producte und des Feingehaltes der Legirungen. Seine Vorschriften zur Prüfung des Alkohols, der Soda und Potasche (Alkalimetrie), des Schießpulvers, des Chlorkalks etc. waren von dem größten Einfluß auf die Entwickelung der chemischen Industrie, seine Methoden, den Feingehalt der Münzlegirungen auf nassem Wege genauer zu ermitteln, als es früher durch die sogenannte Kupellation möglich war, brachten eine Umwälzung im Münzwesen hervor. Die chemischen Fragen des öffentlichen Lebens, namentlich das unsterbliche Capitel von der Verfälschung der Weine und Nahrungsmittel, die Salzfrage etc., fanden an ihm in den Kammern einen unbestechlichen Kritiker, der seine Ueberzeugungen eifrig verfocht, aber auch seine Irrthümer, wenn er sie als solche erkannte, gern eingestand. Als Mitglied vieler wissenschaftlicher Commissionen und wiederholt zum Abgeordneten gewählt, hatte er Gelegenheit, oft seine freimüthige Ansicht herauszusagen, und er that es stets ohne Scheu und Rücksichten.

Als man seinen Freund Arago einst wegen der politischen Ansichten desselben von der Professur an der Polytechnischen Schule verdrängen wollte, erklärte er in der Berathung laut, daß man mit ihm anfangen möge, denn er habe dasselbe gethan wie jener und theile dessen politische Ansichten. Diese Gradheit und Lauterkeit seines Charakters zog ihm natürlich auch manche Feinde und Gegner zu, und als ihm Berthollet bei seinem Tode (1822) die in Frankreich verdienten Gelehrten als Anerkennung vorbehaltene Pairswürde gleichsam testamentarisch vermachte, wußten seine Gegner die Belehnung lange zu hintertreiben, wie man sagt unter dem lächerlichen Vorgeben, Gay-Lussac pflege im Laboratorium mit den Händen zu arbeiten, und ein Handwerker könne nicht Pair von Frankreich werden. In der That wurde ihm diese Würde erst 1839 verliehen.

Seine Einfachheit sprach sich besonders auch in seinem Gemüthsleben aus, und seine Herzensgeschichte hatte sogar einen Beigeschmack von Romantik. Ganz der französischen Sitte entgegen, hatte er sich bereits 1808, ehe er eine feste Anstellung erhielt, mit einer jungen Dame verheirathet, die er mehrere Jahre vorher in einem Weißzeuggeschäft kennen gelernt hatte. Er war dort zufällig hingekommen, um Wäsche zu kaufen, und hatte in den Händen der Verkäuferin sehr unerwarteter Weise ein Buch über – Chemie gesehen. Das mußte ihn natürlich mächtig anziehen; er verbrauchte deshalb mehr Leinenzeug als je, um öfter wieder kommen zu können, und bald war Josephine Rogeot, die Tochter eines talentvollen aber unbemittelten Musikers, seine Braut. Ihrem Wunsche gemäß, brachte er sie vorher in eine Pension, wo sie die Chemie nicht vernachlässigt haben wird, und erzog sich so eine Gattin, die bis zu seinem letzten Athemzuge – er unterlag am 9. Mai 1850 zu Paris einem Herzleiden – das Glück seines Lebens ausgemacht hat. Denn in ihr besaß er, was so selten einem Forscher beschieden ist, eine Frau, mit der er über seine Pläne und Arbeiten sprechen, die an seiner Entdeckerfreude Theil nehmen konnte.

Dem Laien wird es nicht leicht, sich das Glück und die Freude vorzustellen, welche das schrittweise Vordringen in die Geheimnisse der Natur dem Forscher gewährt. Bei Gay-Lussac war diese Entdeckerfreude in dem Augenblicke, der ihm ein neues Räthsel entschleierte, so mächtig, daß der ernste und ruhige Mann, wie Pelonze, einer seiner Lieblingsschüler, verrathen hat, dann wohl zu tanzen und springen begann, trotz der Holzschuhe, die er wegen der Feuchtigkeit des in der Erde belegenen Laboratoriums überzuziehen pflegte. Und selbst die Gefahren, denen er auf seinem Wege begnete, konnten ihn nicht zurückschrecken. Im Juni 1808 brachten ihn Humboldt und Thénard eines Tages aus dem Laboratorium zu seiner jungen Frau mit aller Besorgniß, daß er das Augenlicht verlieren könnte. Eine Explosion bei der Handhabung des von Davy neu entdeckten Kaliummetalles, dessen explosive Neigungen man damals noch nicht kannte, hatte ihn schlimm zugerichtet, und trotz der sorgfältigsten Behandlung und eines Jahresaufenthaltes im finsteren Zimmer blieben die Augen stets entzündet und schwach. In späteren Jahren wurde er nochmals durch eine von fremder Unvorsichtigkeit verschuldete Explosion gefährlich verwundet, und es hat somit wenig daran gefehlt, daß er, wie ein Soldat auf dem Schlachtfelde, im unablässigen Kriege gegen die ungebändigten Naturgewalten unterlegen wäre.

Seinen Charaktervorzügen hat Humboldt das schönste Zeugniß gegeben, das sich denken läßt, durch die rührenden Zeilen, die der achtzigjährige Greis einige Tage nach dem Hinscheiden des Freundes an dessen Wittwe richtete. „Die Freundschaft, durch welche dieser große und schöne Charakter mich ausgezeichnet hat,“ sagt er darin, „hat einen schönen Theil meines Lebens erfüllt. Niemand hat stärker, ich sage nicht allein auf meine Studien, welche der Unterstützung bedurften, sondern auch auf die Vervollkommnung meiner Empfindungsweise, meines Inneren gewirkt. Welche Erinnerungen! jenes erste Zusammentreffen bei Berthollet in Arcueil; – meine tägliche Arbeit in der alten Polytechnischen Schule – meine immer zunehmende Bewunderung – meine Vorhersagungen seiner künftigen Berühmtheit, von denen meine damaligen Werke den Stempel tragen, – meine Hoffnungen, daß mein Name lange mit dem seinigen genannt werden, daß von seinem Ruhme einiger Abglanz auf mich fallen würde … alle diese Momente meines Lebens stellen sich meiner Erinnerung mit unbeschreiblichem Reize dar. Ich habe nicht nöthig, von meiner Bewunderung und meiner ewigen Dankbarkeit zu sprechen. Es giebt keinen Menschen, dem ich mehr verpflichtet wäre für die Lauterkeit meiner Studien, meines Verstandes und meines moralischen Charakters, als derjenige, dessen Glück Sie durch Ihre edlen Herzens- und Geisteseigenschaften begründet haben …“ Diesen Zeilen, die für den Schreiber nicht minder ehrenvoll sind wie für Gay-Lussac, ist nichts weiter hinzuzusetzen als der Wunsch, daß die Naturforscher der beiden Nationen, die vor andern bestimmt sind, das Banner der Wissenschaft gemeinschaftlich vorwärts zu tragen, sich an Gay-Lussac und Humboldt ein Beispiel nehmen möchten.

Carus Sterne.



Ein Tag auf dem Schellfischfang.

Sämmtliche bei uns in Deutschland consumirten Schellfische kommen aus der Nordsee; sie erscheinen dort im October in großen Zügen und verweilen ebenda bis zum Eintritt der wärmeren Jahreszeit. Während dieser Zeit wird der Fang mit größeren oder geringeren Unterbrechungen betrieben, je nach der Beschaffenheit des Wetters. Man bedient sich dazu fast ausschließlich der Angel; seltener des Netzes, weil der Fang mit letzterem in noch höherem Grade als der Fang überhaupt Glückssache ist. Wohl kommt es vor, jedoch selten, daß der Fischer mit dem Netz einen überreichen Zug thut, aber nur dann, wenn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_809.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)