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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Lieb? Er hat Dich lieb?“

„Aber, Muhme, wie Du fragst! Würde er mich sonst zu seiner Braut haben wollen?“

„Barmherziger Gott!“ schrie es auf in der Seele der alten Frau, „das arme thörichte Kind! Sie glaubt sich geliebt, und er er will nur ihr Geld, um sich zu retten.“ Und in stummer Angst tastete sie mit der kalten Hand nach der des Lieblings, die wie Feuer glühend in der ihren lag, und da flüsterte schon wieder die süße Stimme an ihrem Ohr; war’s nicht just so seliges, so thörichtes Zeug wie damals, als ihr die Lisett ihre junge Liebe vertraute?

„Denk doch, Muhme, ich kann ihm wieder das Leben froh machen; um meinetwillen wird er es wieder lieben lernen, wie schön das ist! Ich soll das können, Muhme, ist es denn wirklich wahr? Ach, Muhme, da draußen unter der alten verschneiten Linde, wo ich ihn vor drei Jahren noch einmal sah, da hat er mich gefragt. Und nun – nicht wahr, Du sagst es Vater und Mutter? Ich sterbe ja vor – vor Scham, wenn ich bekennen soll, daß ich einem fremden Manne gut bin; ich kann es nicht – thu’ Du es doch! Wenn es hier nicht dunkel wär’, ich hätte es Dir nimmer sagen können. – Muhme, so sprich doch, so gieb mir doch einen einzigen Kuß –“

Lisett – Lisett – war sie es denn nicht, die da eben flüsterte? „O Herr Gott!“ so sprach es aus tiefer Qual heraus in der alten Frau, „ist dies das Glück, um das ich Dich gebeten für das Kind, allabendlich und jeden Morgen? Hat sie nicht tausendmal was Besseres verdient, als dieses Loos?“ Und dann saß sie ein paar Augenblicke wie starr.

„Liesel,“ sagte sie endlich gepreßt, „Du weißt nicht, was Du gethan hast, Du weißt nicht, was Dir bevorsteht, wenn diese unselige – sei mir nicht böse, aber ich muß so sprechen – diese unselige Verlobung wirklich zu Stande kommt. Du kennst die alte Baronin nicht, wie ich sie kenne; sie ist schlimmer als ein Teufel. Sie wird Dich elend machen, wie meine arme Lisett, die sie auf dem Gewissen hat, und ich mein’, daß mein Gewissen auch nicht rein wäre, wenn das Unglück doch geschieht und ich hätte Dich nicht gewarnt jetzt, wo es noch Zeit ist und wonach Niemand von Eurer Lieb’ was weiß, als Ihr Zwei und ich. Sei still!“ – wehrte sie, als Lieschen sie zu unterbrechen versuchte – „thu’ der alten Muhme und Dir selber den Gefallen! Was ich Dir erzählen will, das schmeckt bitter, aber es ist eine Arzenei und Gott geb’s, daß sie Dir eingeht und hilft! Es ist die Geschichte der Lisett, die ich Dir erzählen muß – gelt, Du weißt noch, daß ich sie Dir erzählen wollt’ im Frühjahr, weil ich Deine Liebe kommen sah, aber ich brachte es damals nicht über die Lippen – hätte ich es nur gethan!“

Das junge Mädchen kauerte sich wortlos zu ihren Füßen; kein Laut von ihren Lippen verrieth, wie ihr junges kaum erblühtes Mädchenglück im Herzen schauerte, als sei plötzlich ein Strom von Eisluft in den lachenden Frühling gebrochen.

„Also der Baron Fritz,“ begann die alte Frau mit tiefer Stimme, der Bruder des Großvaters von Nelly und Army, war der Lisett ihr Bräutigam; sie hatten sich heimlich versprochen; Niemand wußte es außer mir. Der Baron Fritz wollte erst, wenn er mündig sei, mit seiner Werbung vor Lisett’s Eltern treten und mit seinem Bruder sprechen, und dann wollten sie sich ein Gut kaufen; es war ein glückliches Paar, Liesel, und ein schönes dazu, und sie hatten sich so sehr lieb, es war eine Lust sie zusammen zu sehen dort unten in der alten Laube am Wasser. Baron Fritz stand nicht weit von hier als schmucker Husarenofficier in einer kleinen Stadt; er kam oft herüber, und wenn es um die Zeit war, daß er eintreffen mußte, dann stand Lisett droben in ihrem Stübchen am Fenster und sah zu dem Thurm hinüber, und dann flammte wohl bald ein Licht dort oben auf; das war das Zeichen, daß er zu ihr kam. Dann jauchzte sie vor Freude und schlug die Hände zusammen und lief ihm ein Stückchen in den Wald entgegen.

Und dann – an einem Sommerabend – hielt des Bruders junges schönes Weib, Nelly’s Großmutter, ihren Einzug in das alte Schloß. Die Lisett und ich waren hingelaufen sie zu sehen; das ganze Schloß war erleuchtet und die Diener warteten mit Fackeln an der großen Freitreppe, auch Baron Fritz stand da mit seiner alten Mutter, und dann kam das junge Paar gefahren. Das mußte wahr sein: schön war die junge Frau, aber es lag Stolz in ihrer Haltung, Stolz auf dem blassen Gesicht, und Stolz blitzte aus ihren großen schwarzen Augen. Die Lisett war ganz bleich geworden als sie ihr nachschaute.

‚Die wird meine Freundin nicht, Marie,‘ sagte sie zu mir.

Und sie hat Recht gehabt. Gott weiß, wo die stolze junge Frau erfahren hat, daß der Baron Fritz der Lisett gut sei, und wer ihr dem teuflischen Plan eingab, die Beiden zu trennen. Ich weiß nur das Eine, daß es ihr gelang. Und wie – ja wie ist es ihr gelungen!

Es war im Herbst, und das Schloß voller Jagdgäste; man konnte deutlich das Halali aus den Wäldern hören, und allabendlich flammten die Fenster des Schlosses in hellem Lichte auf; das tolle Leben begann da oben, das die Schloßherrin so liebte und mit dem sie ihre Familie beinahe an den Bettelstab gebracht hat. Baron Fritz aber nahm Abschied von der Lisett; er konnte längere Zeit nicht wieder kommen, und sie schenkte ihm ein kleines goldenes Herzchen, das sie immer auf der Brust trug; ich hörte noch, wie sie sagte: ‚Da Schatz, thue die Locke von mir hinein und denk an mich!‘ Sieh, Lieschen, dies goldene Herz, das war der Lisett ihr Tod. Doch höre weiter! Der Baron Fritz reiste ab, und es vergingen so vierzehn Tage; schreiben konnten sich die Liebesleute nicht, denn sonst wär’ Alles offenbar geworden; damals war man auch noch nicht so gar arg auf’s Schreiben, wie heut zu Tage, aber denken thaten sie desto mehr an einander, und das mag jetzt manchmal umgekehrt sein. Nun also, der Fritz war abgereist, und die Lisett stand allabendlich aus alter Gewohnheit am Fenster und guckte nach dem Thurmstübchen hinüber, denn dort wohnte Baron Fritz stets, wenn er hier war. Aber es blieb jeden Abend dunkel, und es war ja auch nicht anders möglich, denn vor vier Wochen konnte er nicht wieder hier sein, und jetzt waren erst vierzehn Tage verflossen. Da, eines Abends, schreit die Lisett hell auf und rennt auf mich zu, die ich eben mit dem Strickstrumpf ein wenig zu ihr schwatzen komme.

‚Jesus!‘ ruft sie, ‚er ist da; es ist Licht im Thurm,‘ und richtig, da schimmert das erleuchtete Bogenfenster herüber. Sie nahm nicht einmal ein Tuch um, als sie aus dem Hause flog. Nach einer Weile kehrte sie zurück. ‚Er kam nicht,‘ sagte sie, ‚was soll das nur bedeuten?‘ Ich schüttelte den Kopf. Na, wart Lisettchen! Ich frag’ den Christian morgen. Aber wer nicht kam, war der Christian, und um Mittag bringt mir ein Junge den Bescheid, ich sollte nicht auf ihn warten, er sei für die Herrschaft verreist, um ein neues Pferd für die Frau Baronin zu holen.

Die Lisett war in einer Unruhe, die sich gar nicht beschreiben läßt. Sobald es dämmerte, stand sie am Fenster, und wieder sah man das Licht drüben. Abermals lief sie in’s Freie, und kam blaß zurück und warf sich weinend in’s Sopha. Gott weiß, sie mußte schon eine Ahnung haben von dem, was ihr bevorstand, denn sie wollte von keinem Trost etwas wissen. ‚Er ist da und kommt nicht, er liebt mich nicht mehr,‘ schluchzte sie, ‚ach ich sterbe, wenn es so ist.‘

Am dritten Abend dieselbe Geschichte; die Lisett sah aus wie der Kalk an der Wand. Dann blieb es dunkel im Thurmstübchen. – Ohngefähr vier Tage darauf sitzen wir, die Lisett und ich, im Mittagssonnenschein vor der Hausthür und rupfen Krammetsvögel, und sie schaut so den Federn nach, die in der Luft umherfliegen, während ein banger Seufzer nach dem andern über ihre Lippen geht; da kommt über den Mühlsteg ein Mädchen gegangen. Zuerst kannten wir sie nicht, denn ihr neuer rother Rock mit den schwarzen Streifen blendete ordentlich in die Augen, dann aber sagte die Lisett: ‚Das ist ja die tolle Fränzel, was will die hier?‘ Richtig, sie war’s, und kam gerade auf uns zu getänzelt mit ihren zierlichen Füßen, die in kleinen Spannbänderschuhen und schneeweißen Strümpfchen steckten. Sie hatte ein schwarzes Kamisol an, und ein Paar lange ebenso schwarze Zöpfe hingen ihr auf den Rücken herunter; das Gesicht mit den funkelnden Augen und der kleinen Nase sah die Lisett an, als wär’ sie eitel Freundlichkeit. Nun mußt Du wissen, Liesel, die tolle Fränzel war mit uns zur Confirmation gegangen, und ein wilder Kind hat’s wohl nimmer gegeben; Zigeuner hatten sie einst hinter dem Kirchhofszaun liegen lassen, als sie kaum erst acht Tage alt war, und sie ist im Armenhause groß geworden. Ein leichtsinniges, arbeitsscheues Blut war sie von jeher, das Aergerniß der ganzen Gemeinde, der Frau Baronin aber gefiel sie, als sie einst mit einem

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