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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

große und kleine Kirchencompositionen, Clavier- und Kammermusik und nicht weniger als sieben Opern und Singspiele aus. Die dramatische Erstlingsthat des jungen Meisters: „Des Teufels Luftschloß“, reicht noch ein Jahr weiter zurück. Einige andere Opern, mit ihnen die umfänglichsten: „Alfonso und Estrella“ und „Fierrabras“, entstanden einige Jahre später. Sie alle aber blieben, mit Ausnahme des vorletzt genannten Werkes, das Liszt auf der Weimarer Bühne für kurze Zeit in’s Leben rief, und der kleinen Operette: „Der häusliche Krieg“, die nach Schubert’s Tode hier und dort ohne sonderlichen Erfolg in Scene ging, sowie dreier bescheidenerer Arbeiten, deren Aufführung er selbst noch erlebte, zu ewigem Schweigen verurtheilt. Bühnengemäß geartet – das beweisen sie zur Genüge – war die Tonsprache des großen Lyrikers nicht, so dramatisch sie im engen Rahmen des Liedes erscheint. Aber wer sagt, ob er, hätte die Bühne sich nicht hartnäckig seinen Werken verschlossen, nicht vielleicht im Umgang mit ihr gelernt hätte, sich ihren Forderungen erfolgreich zu fügen?

Vier Jahre hatte Schubert selbstverleugnend das schwere Joch der Schulmeister getragen; da endlich kam ihm die Erlösung. Ein gastfreier Freund, Franz von Schober (er lebt gegenwärtig noch in Dresden), bot ihm Aufnahme in seinem Hause; bei ihm fand er hinfort, mit geringer Unterbrechungen nur, eine bleibende Zufluchtsstätte. In der heitern Tafelrunde der Genossen Schober’s – unter ihnen die Dichter Mayrhofer, Bauernfeld, Feuchtersleben, die Maler Schwind, Kupelwieser, Ludwig Schnorr von Carolsfeld, die Musiker Franz Lachner und Hüttenbrenner – feierte er allabendlich seine frohesten Stunden. Hier überließ er sich, so tief melancholisch er zu Zeiten sein konnte, seiner natürlichen harmlosen Lustigkeit. Von weittragendstem Einfluß auf seine künstlerische Entwickelung aber ward der intime Verkehr mit Vogl, dem ersten Bariton der Hofoper, der sich ihm um diese Zeit erschloß. Die Liederschätze, die in der stillen Arbeitsstube des jungen Tondichters vergraben lagen, trug der gefeierte Sänger hinaus in Salon und Concertsaal und sorgte besser als ihr um seinen Ruhm unbekümmerter Schöpfer für ihren Weg in die Welt und das Bekanntwerden seines Namens. Von Franz selbst als der erste und ausgezeichnetste Interpret seiner Lieder geschätzt, ihm an Kenntnissen und umfassender wissenschaftlicher Bildung weit überlegen, wirkte der um fast dreißig Jahre Aeltere vielfältig belehrend und rathend auf den genialen Freund ein, dessen schlichte Erziehung ihn nicht über das Maß einer gewöhnlichen Durchschnittsbildung seiner Zeit hinausgeführt hatte. Der Eine singend, der Andere begleitend, waren sie Beide allenthalben willkommene Gäste, zogen sie im Sommer auch als fahrende Sänger durch Oberösterreich und das Salzkammergut, überall offene Thüren und Herzen findend.

Eben diese wiederholten Künstlerfahrten mit Vogl und einige wenige nähere Ausflüge zu oder mit Freunden abgerechnet, kam Schubert sein Lebtag nicht über Wien hinaus. Nur in Zelecz, dem ungarischen Sommeraufenthalt der gräflichen Familie Esterhazy, ließ er sich mehrmals monatelang fesseln. So gern seine schüchterne, in geselligen Formen unbeholfene Natur sonst dem Verkehr mit vornehmen Häusern aus dem Wege ging, so widerwillig er, der allem Zwange Abholde, im Uebrigen jede Aufforderung zum Unterrichtertheilen ablehnte, in diesem Falle entschloß er sich zu einer Ausnahme von der Regel. Er verkaufte seine goldene Freiheit um der Liebe willen, die er für Caroline, die jüngste Tochter des Grafen, gefaßt hatte und die ihn bis zur letzten Stunde seines Lebens als die einzig unwandelbare begleitete. Das Glück der Erwiderung freilich blieb ihm versagt, und sie, die das Feuer in der erregbaren Künstlerseele entfacht, ahnte wohl kaum die ganze Gewalt desselben. Wenigstens störte kein Bekenntniß seiner Leidenschaft das ruhige Gleichmaß der freundschaftlichen und künstlerischen Hochachtung, die sie ihm zollte, und wer mag sagen, ob ihr nicht auch die volle Bedeutung des Wortes verborgen blieb, das ihm einst entschlüpfte, als sie ihm scherzend vorwarf, daß er ihr nicht ein einziges seiner Werke zugeeignet habe, jenes: „Wozu denn? Ihnen ist ja ohnehin Alles gewidmet.“ Für sie ist unter Anderem eines seiner schönster Clavierstücke: die vierhändige Phantasie in F-moll (Op. 103) geschrieben. Aber auch mit andern seiner Compositonen, wie beispielsweise mit seinem reizenden Divertissement à la hongroise, verknüpft sich die Erinnerung an sie und das musikreiche Haus, das ihm die sonnigsten Tage und Stunden seines Lebens spendete.

Im Uebrigen ging sein Dasein nach wie vor in stiller Zurückgezogenheit und rastloser Arbeit dahin. Und doch, von dem, was man gemeinhin Arbeit nennt, von mühseligem Aufbauen, war bei ihm keine Rede. Fertig „wie ein holdes Wunder“ löste sich das Kunstwerk aus seiner Seele. Wo haben die Leichtigkeit und Massenhaftigkeit seiner Production in der Geschichte der Tonkunst ihres Gleichen? Von der „Schönen Müllerin“ wird uns erzählt, wie Schubert bei einem Bekannten die Gedichte Wilhelm Müller’s fand und eilig mit sich nach Hause nahm, um am andern Morgen schon dem erstaunten Freund die Composition der ersten fünf „Müllerlieder“ vorzulegen. Die übrigen Gesänge des ewig jungen frühlingsduftigen Cyclus wurden während einer Krankheit im Hospital vollendet. Den „Erlkönig“ schrieb der achtzehnjährige Jüngling nach mehrmaligem Durchlesen der Dichtung in einem Zuge nieder. Der „Zwerg“ entstand inmitten eines Gesprächs mit einem Freunde, das „Ständchen“ („Horch, horch“) wurde im Tumult eines Gasthauses auf’s Papier geworfen. Umfangreiche Kirchenstücke, Symphoniesätze, Opernacte waren das Resultat weniger Tage.

Die Früchte seines Schaffens zu ernten nur war ihm leider nicht beschieden. Seine Bewerbungen um eine öffentliche Anstellung in Laibach und Wien blieben erfolglos. Spät und spärlich nur gelangten bei seiner Lebzeiten einzelne seiner Werke zur Aufführung – er mußte bis zum Jahre 1819 warten, bis überhaupt eine seiner Compositionen, das Lied „Schäfers Klage“, zum ersten Mal in den Concertsaal eindrang. Ein einziges Mal nur in seinem Leben trat er auf Zureden seiner Freunde als Concertgeber vor das Publicum und führte einige seiner Compositionen den Wienern vor. Das glänzende Ergebniß forderte zu einer Wiederholung auf; aber sie kam erst nach seinem Hinscheiden zu Stande und lieferte die Mittel, ihm einen Grabstein zu setzen.

Auch die Verleger zeigten sich erst willig, seine Lieder in ihre Kataloge aufzunehmen, nachdem eine aus Subscription veranstaltete Herausgabe von zwölf Liederheften (der „Erlkönig“ als Op. 1) im Selbstverlag des Autors reißenden Absatz fand. Nichtsdestoweniger lohnten sie dem in jeder Art praktischer Geschäftsführung gänzlich unbegabten Künstler, der seinen Vortheil nicht wahrzunehmen verstand, äußerst kärglich für seine Gaben. Als er starb, hatten nur etwa hundert Lieder und einige Clavier- und Kammercompositionen den Weg in die Oeffentlichkeit gefunden. Seine sieben Symphonien, seine Quintette und Quartette, seine Messen, das Oratorium „Lazarus“, seine Opern und Chorgesänge, seine zahllosen zwei- und vierhändigen Sonaten, Phantasien, Märsche etc. – wer kannte sie? Ist doch noch heutigen Tages der Instrumental- und zumal der Clavier-Componist Schubert über dem Lieder-Componisten wenn nicht vergessen, so doch vernachlässigt und nicht nach seinem Verdienste gewürdigt. Und gleichwohl ging er auch hier seine eigenen Wege. Ob auch, wie alle Nachkommenden, auf Beethoven fußend, steht er ihm doch in freier Selbstständigkeit gegenüber und verhält sich zu ihm wie die Richtungen, die sie vertreten, sich zu einander verhalten, wie die Romantik zur Classicität.

Befremdend vor allem erscheint die Thatsache, daß keiner von Schubert’s großen Kunstgenossen je in ein rechtes Verhältniß zu ihm getreten. Karl Maria von Weber hatte, als ihm der Wiener Meister die Partitur zu „Alfonso und Estrella“ vorlegte, kein anderes Urtheil als: „Ich sage Ihnen, daß man die ersten Hunde und die ersten Opern ertränkt.“ Selbst Beethoven, der dreißig Jahre dieselbe Luft mit ihm athmete und zu dem er schon von früher Jugend auf als zu seinem höchsten Ideal emporschaute, ging theilnahmlos an ihm vorüber. Eine schüchterne Huldigung des jungen Künstlers, die Dedication der vierstündigen Variationen Op. 10 blieb unbeachtet, wie es früher eine Sendung von Compositionen Goethe’scher Lieder an den Dichterfürsten in Weimar geblieben war. Erst auf seinem letzten Krankenlager lernte Beethoven eine Anzahl Schubert’scher Lieder kennen und beschäftigte sich eingehend mit denselben. „Wahrlich, in dem Schubert wohnt ein göttlicher Funke!“ rief er wiederholt begeistert aus und prophezeite, „daß er noch viel Aufsehen in der Welt machen werde.“ Die sieben Rellstab’schen Lieder, die jetzt Schubert’s „Schwanengesang“ zieren, aber ursprünglich Beethoven vom Verfasser zur Composition übergeben worden waren, sandte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 796. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_796.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)