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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

dann, „vorläufig hängt es von der Stimmung meiner Manichäer ab. Freilich, sobald die Kunde meiner zurückgegangenen Verlobung offenkundig geworden ist, werden sie sich wohl auf mich stürzen, wie eine Meute Jagdhunde; die Sache kommt an’s Regiment; der Oberst wird mich fragen: ‚Bezahlen oder nicht?‘ Dann wird das Ende kommen. Mein Geschick wird mich ereilen, wie vor mir schon so Manchen.“

Die alte Dame hörte ihn so ruhig an, als ob er von einer Luftpartie spräche.

„Hellwig muß Rath schaffen,“ sagte sie entschlossen.

„Hellwig? Ja, wenn er Geld machen könnte! Er hat erst neulich die Unmöglichkeit eingestanden, mir zweihundert Thaler zu schaffen, eine Summe, die ich dem Wagenbauer an einem bestimmten Termine zahlen müßte. Der Mann wollte sich gedulden, bis ich – nun, bis Ende October,“ schloß er kurz. „O, sie wollten sich Alle gedulden; es hatte gar keine Eile – bewahre! Ich war ja Tante Stontheim’s Neffe und im Begriffe, ihre Nichte zu heirathen –“

„Auf wie viel belaufen sich Deine sämmtlichen Schulden?“ fragte die Großmutter.

Er machte eine abwehrende Handbewegung. „Wozu das? Bezahlt können sie ja doch nicht werden –!“

Eine lange Pause entstand; Army betrachtete scheinbar mit Interesse eine der italienischen Landschaften in dem goldenen Rahmen. Draußen hatte sich der Wind mächtig erhoben; er fuhr heulend durch den Kamin und stäubte Funken auf den verblichenen Teppich und das schwarze Wollkleid der alten Dame.

„Army, es giebt nur ein Mittel, Dich und uns zu retten.“

Er wandte sich langsam um und sah sie fragend an.

„Du machst sobald wie möglich anderweit eine reiche Partie.“

„Wie, Großmama?“

„Es giebt Mädchen genug, reiche, hübsche Mädchen, die sich einen Mann kaufen, wie man so sagt –“

„Ah so, ich verstehe,“ erwiderte er leichthin.

„Ueberlege, Army! Es handelt sich nicht allein um Deine Existenz; es handelt sich um uns Alle.“

„Hast Du mir sonst noch etwas mitzutheilen?“ fragte er in einem Tone, der die alte Dame verstummen machte. „Nichts? Dann erlaubst Du wohl, daß ich mich verabschiede; ich möchte nachsehen, wie es unten steht.“ Er machte eine Verbeugung und ging.

Fast mechanisch lenkte er seine Schritte nach der Krankenstube; im Vorzimmer blieb er stehen; es war ihm, als ob er drinnen flüstern höre; dann schritt er zum Fenster und preßte die Stirn gegen die Scheiben.

Was seine Großmutter ihm da eben gesagt, das war wie ätzende Tropfen in die frische Wunde gefallen, die er trug; der heiße Schmerz trieb ihm das Blut in die Wangen; vor seinen Augen schwebte ja beständig ein lockendes verführerisches Bild, das ihn nicht lassen wollte, wenngleich er es tausendmal zu verbannen suchte; er sah sie immer wieder, wie sie ihm an jenem Tage nach der Testamentseröffnung erschienen, als es so ruhig, so einsam geworden in der prächtigen Villa; der Schwarm der Besucher hatte sich verlaufen, der Oberst war nach dem Essen im Nebenzimmer eingenickt, und er mit ihr allein – seit langer Zeit zum ersten Male. Wie wundervoll sah sie aus in der tiefschwarzen, mit Krepp garnirten Trauerrobe, die goldene Fluth der Haare von schwarzen Schleifen zurückgehalten! Sie lag wie träumend im Sessel, während er zu ihr sprach; von seiner Liebe sprach er, von seiner Sehnsucht, sie zu besitzen, von all’ der Seligkeit, die sein Herz erfüllte. Ob sie es nur gar nicht gehört hatte? Der Blick, den sie auf ihn richtete, als er ihre Hand ergriff, war ihm wie kaltes Eisen in’s Herz gefahren, hatte die erste schreckenvolle Ahnung in ihm heraufbeschworen; sie hatte sich im Laufe des Gespräches plötzlich erhoben, und er sah sie hinter der Portière verschwinden; die wundervollen goldenen Haare leuchteten noch einmal auf, als sich der Vorhang durch die Zugluft der geöffneten Thür hob; dann war er allein mit seinem übervollen, traurigen Herzen.

Sie habe ihn nie geliebt! ließ sie ihm sagen, sie habe sich ihm nur auf Wunsch der Tante verlobt! – Und da drüben jene falben wirbelnden Blätter im Lindengange, die hatten es gehört, wie sie ihm Treue schwur, wie sie so tausendmal versichert, daß sie ihn liebe, mehr liebe als Alles auf der Welt, und nun – nun war alles dahin. Verkaufen sollte er sich – verkaufen, wie Großmama gerathen. „Nein, lieber doch eine Kugel – eine Kugel!“

Er stöhnte auf und biß die Zähne auf einander; wo war doch das Glück geblieben, an das er so stolz geglaubt? Der alte Spruch fiel ihm ein: „Nur nit verzag’! Glück kumbt all Tag“. Lächerlich, wie hatte es ihn so schnell verlassen!

Da tönte ein leichter Schritt hinter ihm; er wandte sich – ein über und über erglühendes Gesicht schaute zu ihm auf. „Ihre Frau Mutter verlangt nach Ihnen, Herr Lieutenant,“ sagte halblaut eine klare Stimme. Er schritt an Lieschen vorüber in das Krankenzimmer, und sie trat an das Fenster, wo er bis jetzt gestanden. Draußen sprühte ein feiner Regen hernieder und hüllte die Gegend in feuchte Schleier; sie spähte hinab zu dem Hause der Eltern, aber sie konnte es in der dunstigen Atmosphäre nicht erkennen. „Was mögen sie jetzt thun dort unten, mein Mütterchen, der Vater und die Muhme? Der Vater ist wohl auf der Jagd? Ach nein, er mußte so viel im Comptoir arbeiten, seit Herr Selldorf so plötzlich abreiste.“ Wieder stieg ein dunkles Roth in ihre Wangen.

Nebenan war es anfänglich still geblieben; die Thür stand halb geöffnet; Army kniete wohl am Bette der kranken Mutter, und jetzt klang seine Stimme: „Mein gutes Mamachen, Du dachtest, ich wollte es machen wie der Junker von Streitwitz? O nein, nein, ich habe Dich ja noch und Nelly.“ So weich klang es, so tröstend, und doch als ob zurückgedrängte Thränen die Worte undeutlich machten. Und dann der Mutter schwache Stimme; Lieschen konnte die Worte nicht verstehen, aber aus dem Tonfall der abgebrochenen Laute wehte ein süßes Trösten, ein freudiges Danke, daß sie den Sohn in ihren Armen hielt, die ganze überschwengliche Fülle der Mutterliebe, die helfen, stützen, rathen wollte; so beruhigend, so versöhnend klang es, als gelte es ein krankes Kind in süße Schlummer zu wiegen.

Und da auf einmal – war es wirklich möglich? Das klang wie Weinen, gewaltsam unterdrücktes Schluchzen. Sollte Army –? Lieschen kehrte sich plötzlich um und lauschte mit erbleichendem Gesicht – weinen denn Männer auch? Sie eilte zur Thür; sie wollte fliehen; er durfte nicht wissen, daß sie gehört, wie er – Da trat er aus dem Zimmer der Mutter, das Gesicht ernst und die Lippen auf einander gepreßt, aber die Augen – ja, die waren noch feucht von den Thränen, die er geweint – um seine verlorene Braut.

Sie stand dicht vor ihm, die Hände auf die Brust gefaltet, als wolle sie ihn um Verzeihung bitten, daß sie ihn so gesehen. Auch er hemmte den Schritt; er schaute zu ihr hinüber und las das innige Mitleid in ihren Augen. Kam ihm die Erinnerung an die Zeiten wieder, als das kleine Mädchen den wilden Knaben oft so getröstet, wenn er im kindischen Spiele die Geduld verloren und im trotzigen Knabenzorne heiße Thräne geweint? „Lieschen,“ sagte er weich und dankbar und reichte ihr die Hand. „Army, lieber Army,“ klang es zurück, von Schluchzen halb erstickt; er fühlte einen Augenblick eine kleine Hand in der seinen; dann war sie verschwunden.



12.

Das einförmige Leben war wieder eingekehrt in Schloß Derenberg. Army war abgereist. Nun war es ganz still in dem alten Schlosse geworden. Der Kummer schritt durch die öden Räume und mit ihm – die Sorge.

„Sie müssen rathen, Hellwig,“ hatte die alte Baronin dem bewährten Helfer in der Noth halb herrisch, halb bittend gesagt, „Sie müssen! Nur auf kurze Zeit schaffen Sie Geld, nur damit das Verhängniß jetzt nicht über meinen Enkelsohn zusammenbricht! Das Weitere findet sich nachher; kommt Zeit, kommt Rath.“ Und der alte Mann hatte schweren Herzens das Versprechen gegeben, zu versuchen, „dem Teufelsbengel, dem Army, aus der Patsche zu helfen,“ und sich zu gleicher Zeit erkundigt, wie denn die Frau Baronin das „Weitere“ zu arrangiren beabsichtige? Und als sie dann in ihrer nervösen Art dem treuen Berather ihrer Familie einige Andeutungen gemacht, worin sie die Rettung zu finden hoffe, da hatte er beinahe wehmüthig gelächelt, und ein fragendes „Zum zweiten Male das gefährliche Experiment?“ war über seine Lippen gekommen. „Gott gebe,“ hatte er hinzugefügt, „daß es diesmal besser ausschlägt! Uebrigens, Frau Baronin, es ist heutzutage nicht so leicht mehr, wie Sie denken; die Welt ist

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