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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Blätter und Blüthen.


Eine That der Mutterliebe. (Zu dem Bilde S. 773.) Es giebt in der Vogelwelt unserer deutschen Heimath keinen gefürchteteren und verhaßteren Räuber, als den Habicht (Falco palumbarius). Scheu und ungesellig, unruhigen, hastigen Fluges, durchstreift er mit nimmersatter Gefräßigkeit und Mordlust sein Revier, und diese letzteren Eigenschaften sind um so gefährlicher, als sie mit einer seltenen Schlauheit gepaart erscheinen. Graf Wodzicki (bei Brehm) erzählt einen Fall, wo ein Habicht den zu äußerster Vorsicht eingeschüchterten Taubenschlag dadurch düpirte, daß er sich mit gesträubten Federn auf einem Strohdache zum Schein versteckte, unverkennbar eine Eule nachahmend; die Tauben wagten sich denn auch bald ohne Furcht in die Nähe des ruhig Dasitzenden, bis derselbe mit rauschendem Stoß sein Opfer ergriff und schlauer Weise zwischen den Wohnungen verzehrte, wo erfahrungsgemäß der Feuergefährlichkeit halber kein Gewehr abgefeuert wurde. „Seine Jagd gilt sämmtlichem Geflügel von dem Trappen oder Auerhuhne an bis zu dem kleinen Finken herab, und allen Säugethieren, welche er bewältigen zu können glaubt. Er stößt auf den Hasen, um ihn umzubringen, erhebt das bissige Wiesel vom Boden, wie er das Eichhörnchen vom Neste wegnimmt, raubt im Fliegen wie im Sitzen, den schwimmenden Vogel wie das laufende Säugethier, zieht seine Beute selbst aus ihren Versteckplätzen hervor.“ (Brehm). Im Käfig frißt sogar der stärkere Habicht den schwächeren; es ist ein Fall verbürgt, daß ein Förster vierzehn Habichte in einem Käfige bewahrte, welche sich bis auf zwei auffraßen! – Nach alledem wird die Echtheit eines Erlebnisses, wie das von Künstlerhand in unserem Bilde dargestellte, nicht angezweifelt werden können. Die Geschichte trug sich folgendermaßen zu:

Schreiber dieses stand als Knabe um die Mittagszeit eines Herbsttages am Fenster des elterlichen Hauses und ergötzte sich an dem drolligen Spiel einer jungen Katze, der einzigen von einem Wurf, welche der Alten zur Aufzucht überlassen geblieben war. Plötzlich streifte eine schattenhaft dunkle flatternde Masse fast das Fenster, und gleich nachher stieß das Kätzchen ein durchdringendes Geschrei aus: ein mächtiger Habicht, mit den aufgeschlagenen Fittichen balancirend, hielt das Thierchen in der einen Klaue, während die andere in den Boden griff, um sich festzuklammern. Ein paar Augenblicke lähmte mich die Ueberraschung, dann war ich im Begriff zu Hülfe zu eilen, als mich ein Anblick wieder an das Fenster fesselte, der mir unvergeßlich bleiben wird. Die alte Katze, welche in der Nähe gewesen sein mußte, war mit ein paar Sätzen auf dem Schauplatze erschienen und hatte nach einem glückliche Biß die Halspartie des Raubjunkers unter den Zähnen. Nun eine Scene voll des wildesten dramatischen Lebens, die ich athemlos mit den Augen verfolgte. Die Katze hielt in unbeschreiblicher Wuth fest, von den heftigen Bewegungen des nicht minder wüthenden Vogels umhergeschleudert; Federn stoben; in verworrenem Knäuel wälzten sich die beiden Kämpfer auf dem Boden; dann und wann flatterten die ziemlich dunklen Flügel des Habichts auf. Dem Kätzchen war es endlich gelungen, freizukommen; es schleppte sich ein Stückchen bei Seite und blieb wie erstarrt liegen. Ich hegte keinen Zweifel, daß der Vogel dem Biß der Katze erliegen müsse, aber ich irrte mich, der dicke Federkragen mochte die Rolle des Schutzengels spielen – in einem Moment flogen Vogel und Katze auseinander, und der Habicht erhob sich mit rasch duckendem Aufschwung auf einen benachbarten Apfelbaum, während die Katze nach einem vergeblichen Satz auf dem Boden verblieb. Ich eilte jetzt aus dem Zimmer; als ich auf dem Schauplatz des Ereignisses anlangte, sah ich den Habicht über die Häuser hinstreichen, die Katze vom Stamm des Apfelbaums niederspringen und zu dem Jungen eilen, welches unter ihren zärtliche Bemühungen wieder Leben bekam. Die Fänge des Vogels mußten nicht tief eingedrungen sein, denn es gelang unserer sorgfältigen Pflege, welche die Alte übrigens eine Zeit lang abzuwehren Miene machte, das „Habicht-Anni“, wie wir das Thierchen nach dem bekannten schweizerischen „Lämmergeier-Anni“ unserer Schulbücher tauften, am Leben zu erhalten.

G.




Neue Prachtwerke des Buchhandels. (Mit Abbildung S. 781.) In der vorweihnachtlichen Zeit befindet sich der Buchhandel auf dem Höhepunkte seiner Regsamkeit; die meisten Bücher haben mit dem Täufer Johannes ungefähr den nämlichen Geburtstag, und die Prachtwerke wohl sämmtlich, selbst wenn dieselben, wie es bei einer Anzahl der werthvollsten der Fall ist, Lieferungswerke sind. Und wie drängt ein Prachtwerk jetzt das andere! Die Auferstehung des deutschen Kunstsinnes ist kaum besser zu erweisen, als durch die Thatsache, daß trotz der vielen Klagen über schlechte Zeiten und allgemeine Einschränktheit der Kauflust die Herausgeber solcher buchhändlerischer Kunstschöpfungen an denen Schriftsteller, Künstler, Drucker und Buchbinder in ihrer Weise vereint das Beste zu leisten streben, ihre Rechnung finden. Wir begrüßen diese vermehrte Freude am künstlerisch Schönen in unserem Volke mit voller Würdigung und dem Wunsche, daß dieselbe sich in vermehrter Weise nach allen Seiten hin geltend machen möge. Daß die Productivität auf Seiten des Kunstverlags vorläufig nicht so bald erlahmen wird, dafür ist durch das pilzartige Aufschießen neuer Vervielfältigungsarten für zeichnende und malende Kunst gesorgt; wir hoffen in Kürze einmal auf dieses interessante Erfindungsgebiet näher eingehen zu können, von dem der Weihnachtstisch des Buchhändlers so manche verlockende Frucht zu bieten hat.

Bevor wir die Leser mit einigen empfehlenswerthen Novitäten im strengen Sinne des Wortes bekannt machen – wozu unsere zweitnächste Nummer die Gelegenheit bieten soll, haben wir eine alte Schuld abzutragen, es gilt des prächtigen Lieferungswerkes „Aegypten“ (Stuttgart und Leipzig, Ed. Hellberger) zu gedenken, welches seit voriger Weihnacht im Erscheinen begriffen ist und aus dessen jüngsten Illustrationsschmuck wir unsern Lesern heute ein Blatt vor Augen führen. Wer die Sammlung der bisherigen Lieferungen durchblättert, der wird nicht in Zweifel sein, daß es sich hier um eine Publication von hohem künstlerischem wie literarischem Werte handelt. Die Schilderung des alten Pharaonenlandes, dessen Vergangenheit sich in der Darstellung geschickt mit einer Wanderung durch das heutige Aegypten verknüpft, nimmt ihren Ausgang von Alexandria und ist bereits bis Mittelägypten vorgeschritten; der Führer, an dessen Hand der Leser die Wanderung macht, ist kein Geringerer als Georg Ebers; der, als gelehrter Kenner Aegyptens gleich hochstehend wie als Darsteller auf belletristischem Gebiete, mehr denn jeder Andere berufen ist, ein Land zu schildern, welches von je einen so eigenthümlichen Reiz für alle Culturvölker der Geschichte gehabt hat, ja, das wohl als die Wiege aller Cultur überhaupt anzusehen ist. Durchgehends von Meisterhand gezeichnet und geschnitten sind die Illustrationen, welche verschwenderisch reich durch die Lieferungen verstreut sind und ebenso lebendig die Gegenwart, wie die Vergangenheit zur Anschauung bringen; besonders lobenswert ist das maßvolle Geschick, mit welchem der aus der altägyptischen Kunst sich bietende Ballast an instructiven Abbildungen auf das Wesentliche beschränkt ist. Mag die treffliche Publication bestens empfohlen sein! – Das heute von uns wiedergesehene Bild stellt das Innere eines Harems aus der Khalifenzeit dar, einer Zeit, welche das unter christlich-byzantinischer Herrschaft ziemlich gesunkene Aegypten merkwürdig rasch zu eigenartiger Blüthe belebte. Es bedarf kaum eines erklärenden Wortes; die Ausstattung des Raumes zeigt unverkennbar den Reichthum und das Behagen jener in Cultur und Geschmack hochstehenden Zeit, in welcher „der Kunstfleiß der Araber unter den Fatimiden, die in kostbaren Palästen zu wohnen liebten und deren vornehmste Beamten und Untertanen sich glänzend ausgestattete Wohnhäuser bauten, reiche Gelegenheit fand sich zu bethätigen.“




Kleiner Briefkasten.

Einsender in Stuttgart. Herzlichen Dank für die warmen Verse, welche Sie zum Allerseelentage dem Gedächtnisse unseres vielverehrten Ernst Keil widmen!

Abonnent in Hamburg. Chronische Bindehautentzündung ist heilbar. Die Behandlung kann aber nur ein Augenarzt leiten.

M. v. W. in Bückeburg. Sie wünschen unsern Rath in Betreff neuer Lyrik für den Weihnachtstisch? Unter den uns vorliegenden Novitäten dieses Genres verdienen „Balladen und Lieder“ von Felix Dahn ( Leipzig, Breitkopf und Härtel), „Liederfrühling im Herbste des Lebens“, nachgelassene Gedichte von Heribert Rau (Leipzig, Louis Senf) und „Schein“, ein Skizzenbuch in Versen von Karl Hoff (Stuttgart, W. Spemann), besonders hervorgehoben zu werden.

Gertrud B. in H. Nicht ohne Talent, aber noch nicht ganz reif.

C. R. in Halle. Ihrem Zwecke dürften die „Blätter für Gefängnißkunde“ (Weiß. Heidelberg) am besten entsprechen.

Karl Haas in Altona. Nein! In „Ueber Land und Meer“.

Ein holländischer Leser. Wir bedauern! Das Portrait halten wir zu Ihrer Verfügung bereit.




Zur Beachtung!

Mehrfach mir ausgesprochenen Wünschen entgegenkommend, habe ich mich entschlossen,

die Jahrgänge 1868 bis 1871

zu dem herabgesetzten Preise von 11 Mark (excl. Porto) abzulassen, mache jedoch ausdrücklich darauf aufmerksam, daß diese Ermäßigung nur bis Ende Januar des nächsten Jahres und nur bei Zusammenkauf aller vier Jahrgänge Geltung hat.

Diese vier Bände enthalten, außer interessanten unterhaltend-belehrenden Artikeln, u. A. die Erzählungen:
Die Gasselbuben von Herman Schmidt - Reichsgräfin Gisela von E. Marlitt - Aus eigener Kraft von W. v. Hillern - Der Bergwirth von Herman Schmidt - Hermann von E. Werner - Das Haideprinzeßchen von E. Marlitt - Ein Held der Feder von E. Werner - Die Zuwider-Wurzen von Herman Schmid,

sowie die seiner Zeit mit so großem Beifall aufgenommenen

Berichte aus dem deutsch-französischen Kriege mit vielen Illustationen, Portraits etc.
Die Verlagshandlung von Ernst Keil in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_784.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)