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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


höhnisch auf. Die alte Dame taumelte zurück, wie vom Blitz getroffen.

„Es ist nicht möglich!“ stammelte sie leichenblaß.

„Ich habe heute früh dasselbe gesagt, als mir der Herr Oberst diese Auseinandersetzung machte,“ fuhr Army fort, „und ich habe mich wohl hundert Mal an den Kopf gefaßt und mich gefragt, ob ich wahnsinnig geworden bin, oder so etwas Aehnliches – Aber nein, es ist Thatsache, Blanka von Derenberg ist meine Braut nicht mehr.“

„Army, war denn gar nichts vorangegangen?“ fragte die Mutter, die wie gebrochen in dem Sessel lag.

„Was vorangegangen war?“ antwortete er mit schneidender Stimme. „Ei nun, die Testamentseröffnung, Blanka von Derenberg ist alleinige Erbin des großen Vermögens – das ist Alles. Weshalb soll sie einen Mann heirathen, den sie nicht liebt? Aber beruhige Dich, Großmamachen –“ er trat einen Schritt näher zu der wankenden Frau, die sich mit beiden Händen an einen Sessel klammerte, „sie ist doch ein nobler Charakter, sie ahnt es, daß mir durch meine Brautschaft Unkosten erwachsen sind, und darum ließ sie mir durch ihren Vater ankündigen, daß sie bereit sei, meine sämmtlichen Schulden zu bezahlen. Das war doch ein Trost für den entlassenen Bräutigam, für den dummen Jungen, der mit thörichter Liebe an diesem falschen Geschöpfe gehangen!“

Er hatte während dieser Worte mit einem Krystallglase gespielt, es fortwährend umwendend, jetzt faßte er es und schleuderte es zu Boden, daß es klirrend zersprang und die Scherben weit über das alte Parquet tanzten.

„Army!“ klang es angstvoll von den Lippen der Mutter, und ihre zitternden Hände streckten sich nach dem Leidenschaftlichen aus. Die alte Baronin aber hatte sich hoch aufgerichtet. „Das werden wir uns nicht gefallen lassen,“ sagte sie heftig. „Blanka erbt jedenfalls nur unter der Bedingung, daß Du ihr Gatte wirst, ich habe noch einen Brief von der Stontheim –“

„Denkst Du denn,“ fragte Army und stand mit ein paar Schritten vor seiner Großmutter, „denkst Du denn, ich würde sie jemals wieder ansehen? Sie könnte auf den Knieen vor mir liegen und mich anflehen, ich stieße sie weg, und wäre ich am Verhungern und Du und Ihr Alle mit mir – nicht einen Pfennig nähme ich von ihrer Gnaden eher eine Kugel vor den Kopf. – Jawohl, eine Kugel, was ja auch schließlich das Vernünftigste ist, hat es doch meinem Vater auch geholfen, wie mir Blanka mittheilte, als ich sie noch einmal inständig bat, mit mir hier in Derenberg zu wohnen; sie fürchte sich – erklärte sie – in diesem unheimlichen Neste, wo der letzte Hausherr sich selbst das Leben genommen; ha, ha! Lauter Gründe, gegen die kein vernünftiger Mensch etwas einzuwenden vermag!“ Es klang heiser und halb wahnwitzig, und aus dem verstörten Antlitze Army’s leuchteten die dunklen Augen im wilden Schmerz.

„Mama! Mama!“ rief das junge Mädchen herzzerreißend. „Army ist krank, er weiß nicht mehr, was er spricht.“

Die blasse Frau erhob sich vom Sessel, schritt zu ihrem Sohne hinüber und faßte seine Hand, sie wollte sprechen, aber ihre Lippen bewegten sich, ohne einen Laut hervorzubringen; ihre Augen sahen ihn so schmerzlich flehend an, als wollten sie sagen: Schone mich, habe ich nicht genug gelitten im Leben? – Er sah sie nicht, die flehenden Blicke; ungeduldig versuchte er die Hand aus der ihren zu befreien: „Laß gut sein, Mama, laß gut sein! Ich denke nicht an’s Sterben; ich werde leben – für Euch. Hier ist übrigens ein Schreiben des Herrn Obersten an die Frau Baronin von Derenberg,“ setzte er hinzu, einen Brief aus seiner Brusttasche ziehend und auf den Tisch werfend, „wahrscheinlich eine Auseinandersetzung, weshalb es so das Beste sei und so weiter.“

Er fuhr sich mit beiden Händen durch die dunklen Haare und trat zum Fenster; dann schritt er rasch und fest durch das Zimmer und ging hinaus.

Ein paar Augenblicke blieb es still drinnen. In den Händen der älteren Baronin knisterte das feine Papier des geöffneten Briefes.

„Sieh hier, Cornelie! Da steht’s,“ rief sie, „was habe ich Dir heute gesagt? ‚Ein anderer Grund für die Bitte meiner Tochter an Ihren Herrn Enkelsohn,‘ las sie, ‚ihr die Freiheit wieder zu geben, ist der, daß sie sich durchaus nicht in den Derenberger Verhältnissen gefallen hat; das Warum? ersparen Sie mir; wozu sollen wir uns Bitterkeiten sagen, da wir im Begriff stehen unsere Beziehungen für das fernere Leben vollständig abzubrechen –‘ Siehst Du,“ unterbrach sie sich heftig, „das ist die Folge Deiner, die Folge von Nelly’s Ungeschicklichkeit im Umgange mit dem verwöhnten Mädchen. Nun habt Ihr das Resultat. Army mag sich bei Euch bedanken, bei Euch allein, für den Untergang seiner sämmtlichen Hoffnungen! O, es ist haarsträubend, an so viel einfältige stupide Anschauungen, so viel bornirtes Denken und Empfinden gekettet zu sein – das Unglück meines Lebens!“

Die alte Dame hatte die feinen Hände geballt und sah mit dem Ausdruck geringschätziger Verachtung zu der Gruppe von Mutter und Tochter hinüber.

„Auf mich, Großmama, hast Du ein Recht zu schelten,“ Nelly trat wie schützend vor die Mutter; „aber Mama laß’ aus dem Spiele! Verzeih, daß ich es wage, so mit Dir zu sprechen! Aber ich kann nicht anders, Mama war stets freundlich gegen Blanka, liebenswürdiger als Du es gewesen. Ich habe Blanka allerdings nicht geliebt, weil ich fühlte, daß sie sich Army nur auf Wunsch der Tante verlobte. Und jetzt sage ich: Army soll Gott auf den Knieen danken, daß Alles so gekommen ist. Und deshalb, Großmama, bitte ich Dich, kränke Mama nicht durch ungerechte Vorwürfe um dieses falschen herzlosen Geschöpfes willen, das sogar noch unseren Vater im Grabe beschimpfte und ihn zum Selbstmörder – Allmächtiger Gott!“ unterbrach sie sich, und schon war sie neben der bewußtlosen Mutter zu Boden gesunken und bemühte sich die Ohnmächtige aufzurichten.

O cielo, cielo!“ murmelte die alte Dame, „welch ein Leben, welch ein fürchterliches Leben!“ –

(Fortsetzung folgt.)




Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
Eine culturhistorische Studie von Fr. Helbig.

7. Wohnung und Hausrath.

Vier hölzerne Wände und darüber ein aus Balken gezimmertes Dach – das war die erste Wohnstatt des seßhaften Germanen. Nur durch die Oeffnung der auf beiden Schmalseiten befindlichen Thüren drang das Licht des Tages frei hinein; sonst blickte es nur verstohlen durch die Ritzen und Spalten des Holzgefüges. Dafür warf das ewig brennende Herdfeuer, dessen Rauch durch die Glunzen des Dachgebälkes hindurchdrang, seinen grellrothen Reflex in die blaugraue Dämmerung des fensterlosen Innenraumes. Entlang der Wände standen Bänke und Lagerstätten. Die in der Mitte hindurch gehenden Dachstützen gestatteten die Theilung des Raumes nach der schon früh abgehaltenen Trennung der Männer von den Frauen. Dann wies eine weitere Entwickelung der Frau einen erhöhteren Sitz auf einer der beiden Eingangsseiten an, wohin Herd und Webstuhl verlegt wurden. Auch entstanden einzelne Verschläge an den Wänden, Räume zum Aufbewahren der Waffen und Gewänder, von dem großen Hauptraume sich abtrennend, der noch immer zum gemeinsamen Wohnen, Essen und Schlafen diente. Weiter zweigten sich vom Hauptgebäude, als dem Haupthofe, nach und nach besondere Nebengebäude ab, Wirthschaftsgebäude, Speise- und Kornkammern, Ställe und Scheunen. Auch die Frau wurde aus dem Haupthause in ein besonderes Frauenhaus verwiesen, das für weibliche Arbeiten jeglicher Art bestimmt war (genitia). Dasselbe bildete oft einen Hof im Hofe, besonders umfriedet und geschirmt. Auch war an die Stelle des Holzbaues der römische Steinbau getreten.

Diese große Halle bildete auch in der ferneren baulichen Entwickelung das ganze Mittelalter hindurch den Centralpunkt des deutschen Hauses innerhalb der höhern Gesellschaftskreise. Sie verlieh dem Hause eine gewisse Oeffentlichkeit und bot besonders der herrschenden Gastlichkeit einen geeigneten Spielraum freier Entfaltung dar. Erst als die Familie sich mehr und mehr isolirte, sank die gemeinsame Halle herab zur Vorhalle, als Aufenthalt der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_774.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2019)