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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

erkennen, in welchen im Namen und unter dem Schein des Rechtes das edle Opfer gestürzt werden sollte.

Dieses Protokoll bekennt zunächst selbst, daß als „Grundlagen“ für das über Blum abgehaltene kriegsgerichtliche Verhör lediglich Folgendes diente:

„Erstens Auftrag des Herrn G.-M. Cordon mit: a. ein Zeitungsabdruck der ‚Presse‘ ddo. 25. October; b. ein Zeitungsabdruck der ‚Ostdeutschen Post‘ ddo. 24. October; c. Auszug aus dem Sitzungsprotoll des Gemeindeamtes der Stadt Wien ddo. 18. October 1848. – Zweitens Bericht über die Arretirung Robert Blum’s, ddo. 4. November mit: a. Schreiben des Robert Blum, Fröbel, Moritz Hartmann, Albert Trampusch (vom 3. November), b. Schlüssel zu dem Koffer“ – auch eine Grundlage!

Wir haben also an „Grundlagen“ für das Kriegsgericht oder, um es gerade heraus zu sagen, für die Tödtung Robert Blum’s: einen „Auftrag“ des G.-M. Cordon, zwei Zeitungsartikel, nicht von Blum, möglicher Weise über Blum – das Nähere verräth das Protokoll nicht – den Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Gemeinderathes, welches absolut nichts Belastendes für Blum enthalten haben kann, das völlig harmlose Protokoll über die Verhaftung, das ebenso harmlose Schreiben der Abgeordneten vom 3. November (das im Eingang mitgetheilt wurde) und – last not least – den Kofferschlüssel Blum’s! Das war der Apparat, mit welchem die Anklage auf Tod und Leben erhoben wurde!

Was sagte nun Robert Blum vor dem Kriegsgerichte aus? Unter Weglassung alles Dessen, was das Kriegsgericht selbst als gleichgültig ansah, nur das Folgende:

„Wir fanden die Verhältnisse (in Wien) anders, als wir geglaubt hatten, und ich habe, wahrscheinlich am 23. October, auf der Aula eine Rede gehalten, deren Sinn dahin ging, daß man an die Stelle des früheren Bandes der Gewalt, welches die verschiedenen Nationalitäten des österreichischen Kaiserstaates zusammengehalten, das Band der gemeinsame Freiheit und der Anerkennung der gleichen Berechtigung aller Nationalitäten setzen müsse, damit die gemeinsame Freiheit sie inniger binde, als es die Gewalt bisher vermochte.“ Weiter: „Am 26. ließ ich mit Fröbel, auf Zureden des Commandanten Hauk, in das Elite-Corps mich einreihen und wir wurden zu Hauptleuten gewählt und bezogen mit einer Compagnie einen Posten (also nicht einmal das Geständniß activer Theilnahme am Kampfe ist durch das Protokoll erwiesen!) an der Sophienbrücke beim Rasumossky’schen Palais, wo Kanonen im den Garten gegenüber dem Fluß gerichtet waren. Ich muß noch bemerken, das ich und Fröbel am 29. October früh die Waffen abgelegt haben, weil das Elite-Corps nicht zu dem Zwecke verwendet wurde, zu welchem es ursprünglich bestimmt war, nämlich die innere Stadt in Ruhe und Ordnung zu halten. – Ich muß hier auf jenes in Deutschland gültige Gesetz aufmerksam machen, wonach ein Deputirter nicht verhaftet und in Untersuchung gezogen werden kann, ohne vorher die Genehmigung der Nationalversammlung einzuholen. Praelecta confirmat. Robert Blum m. p.

Nach Schluß des Verhörs wurde Blum in seine Zelle zu Fröbel zurückgeführt. Er hatte kaum den wesentlichen Inhalt seines Verhörs dem Freunde erzählt und von diesem ernste Besorgnisse über die Offenheit seiner Bekenntnisse vernommen, als Blum wieder abgerufen wurde. Er drückte Fröbel die Hand zum Abschiede, ruhig und ahnungslos wie bisher. Fröbel konnte die Thränen kaum zurückhalten und umarmte den Freund bewegt. „Auf Wiedersehen!“ sprach Blum – und sie schieden für immer!

Die Nacht brachte Blum in einer Zelle zu mit Terzky, Camillo Hell und einem Polen. Er hatte keine Ahnung, daß sein Schicksal bereits entschieden war. Aus gesundem tiefem Schlaf wurde er früh gegen fünf Uhr geweckt und allein in eine dritte Zelle geführt. Hier trat alsbald Pater Raimund von den Schotten zu ihm ein, der in tiefer Nacht auf das Klingeln einer Ordonnanz geweckt und hierher beschieden war, und erklärte Blum, daß er den Auftrag habe, ihn – zum Tode vorzubereiten. Blum erwiderte, das müsse ein Mißverständniß sein. Da trat ein Auditor herein, welcher ihm das nachstehende Urtheil vorlas:

Urtheil, welches in dem auf Befehl des k. k. hohen Militär-Stadtcommandos in Wien zusammengesetzten permanenten Standrechte mit Einheit der Stimmen geschöpft wurde: Herr Robert Blum, welcher bei erhobenem Thatbestande durch sein Geständniß und durch Zeugen[1] überwiesen ist, am 23. October l. J. in der Aula zu Wien durch Reden in einer Versammlung zum Aufruhre aufgeregt, um am 26. October l. J. an dem bewaffneten Aufruhre in Wien als Commandant einer Compagnie des Elite-Corps thätig Antheil genommen zu haben – soll nach Bestimmung der Proclamation Sr. Durchl. des F.-M. Fürsten zu Windischgrätz vom 20. und 23. October,[2] dann nach § 4 im 62 Art. der Th. Gerichtsordnung mit dem Tode durch den Strang bestraft werden. So gesprochen in dem Standrechte, angefangen um halb sechs Uhr Abends, am 8. November 1848. Cordier, Major, Präses. Wolferom, Hauptmann, Auditor.“ – Ist kundzumachen und in augenblicklicher Ermangelung eines Freimanns mit Pulver und Blei durch’s Erschießen zu vollziehen. Wien, den 8. November 1848. Im Namen Sr. Durchlaucht des Herrn Feldmarschalls. Hippsich, G.M.[3]

Blum hörte tiefbewegt, doch standhaft und gefaßt den blutigen Spruch. Der Auditor verließ die Zelle. Blum war mit dem Pater allein. Es ist bekannt, daß Blum unter Berufung auf sein deutsch-katholisches Bekenntniß den Geistlichen bat, ihn mit der Ohrenbeichte zu verschonen, und ihm beim Abschiede sagte: „Es hat mich sehr gefreut, in Ihnen zum Unterschiede von leider so vielen Pfaffen einen ehrenwerthen, wahrhaft geistlichen Mann kennen gelernt zu haben. Ich möchte Ihnen gern ein Andenken hinterlassen, allein ich habe jetzt nichts mehr als meine Haarbürste. Wollen Sie diese von mir annehmen, so machen Sie mir noch eine Freude.“ Nicht bekannt aber ist, daß in jener ernsten Stunde zwischen den beiden Männern nicht blos von geistlichen Dingen die Rede war. Der Pater war der Träger der letzten Möglichkeit einer Rettung Blum’s.

Als nämlich die politischen Freunde Blum’s in Frankfurt von seiner Verhaftung hörten, was etwa den 6. der Fall war, erklärte Karl Vogt mit seinem richtigen realistischen Instincte den vertrautesten Parteigenossen rund heraus, daß er Blum für verloren halte, wenn derselbe nicht in den Besitz einer Summe Geldes gesetzt werde, die den muthmaßlichen Durchschnittspreis der Ehrlichkeit seiner Wächter erreiche. Wenige Stunden darauf stand Karl Vogt an der Spitze einer kleinen Deputation vor Rothschild und bat ihn, gegen gute Procente die Summe von etwa 3000 Gulden in Robert Blum’s Hände nach Wien gelangen zu lassen. Der alte Rothschild schüttelte den Kopf und fand das Geschäft bedenklich. War er doch österreichischer Freiherr! Der jüngere aber fand die Procente des Wagnisses werth und sagte zu. Während die Quittung ausgeschrieben wurde, blieb Vogt allein zurück und bat nun Auskunft, auf welchem Wege denn das Geld an den gefangenen Blum besorgt werden solle. Der Börsenkönig wollte lange nicht heraus mit der Sprache. Endlich sagte er, wie Karl Vogt mir persönlich mittheilte, flüsternd: „Durch den Prior des Schottenklosters in Wien.“ Allein auch diese Hülfe kam nun zu spät. Wer hätte es gewagt, für den zehnfachen Preis dem Fürsten Windischgrätz eine Beute zu entreißen, die man sich in Hetzendorf nun keinenfalls mehr hätte entgehen lassen! Blum begriff dies rasch. Das Geld ist bald nach seinem Tode zurück nach Frankfurt gelangt und zu den Sammlungen für die Wittwe und Waisen Blum’s gezogen worden.

Das Scheiden von Weib und Kind, ohne die Lieben noch einmal gesehen zu haben, ohne ihre Zukunft auf sicherer Grundlage zu wissen, machte Robert Blum die letzte Stunde am schwersten, zumal er die Gattin schwindsüchtig glaubte. Dem Pater Raimond soll er auf dem Wege zur Richtstätte oftmals zugerufen haben: „Nicht der Abgeordnete Blum weint, nur der Gatte und Vater.“ Die ganze Gefühlstiefe und Seelengröße des Mannes ist aber gezeichnet in dem letzten Briefe an seine Gattin. Oft ist dieser gedruckt, lithographirt, facsimilirt worden, aber niemals, meinen wir, kann er zu oft gelesen werden. Er lautet:

„Mein theures, gutes, liebes Weib, lebe wohl! wohl für die Zeit, die man ewig nennt, die es aber nicht sein wird. Erziehe unsere – jetzt nur Deine Kinder zu edeln Menschen, dann werden sie ihrem Vater nimmer Schande machen. Unser kleines Vermögen verkaufe mit Hülfe unserer Freunde. Gott und gute Menschen werden Euch ja helfen. Alles, was ich empfinde, rinnt in Thränen dahin, daher nur nochmals: leb’ wohl, theures Weib! Betrachte unsere Kinder als theures Vermächtniß, mit dem Du wuchern mußt, und ehre so Deinen treuen Gatten! Leb’ wohl, leb’ wohl! Tausend, tausend, die letzten Küsse von Deinem Robert! – Wien, den 9. November 1848, Morgens fünf Uhr; um sechs Uhr habe ich vollendet. – Die Ringe hatte ich vergessen; ich drücke Dir den letzten Kuß auf den Trauring. Mein Siegelring ist für Hans, die Uhr für Richard, der Diamantknopf für Ida, die Kette für Alfred als Andenken. Alle sonstigen Andenken vertheile Du nach Deinem Ermessen! Man kommt! Lebe wohl, wohl!“

  1. Im Protokoll steht nichts von Zeugen. Keinesfalls ist die Aussage solcher Blum vorgehalten, keinesfalls ist ihm ein Zeuge nur genannt worden.
  2. Dies das einzige Gesetz, welches das Urtheil anführt, – die Willkürverordnung eines nicht einmal mit legalem Auftrag versehenen Heerführers; die Th. Gerichtsordnung ist ein Proceß, kein Strafgesetz.
  3. Hieraus geht deutlich hervor, daß das „Urtheil“ dem Fürsten zur Bestätigung vorgelegt wurde. – Ein späterer Zusatz lautete: Kundgemacht und mit Pulver und Blei durch Erschießen vollzogen am 9. November 1848, halb acht Uhr Morgens. Wolferom. Hptm. Aud.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_746.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2016)