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verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

als ich Dich dort mit der Cousine sah, und ich bin so traurig, daß –“

„Aber Nelly! Es ist doch ein großes Glück für uns Alle, daß es so gekommen und ich habe sie so lieb, die Blanka.“

„Hat sie Dich auch lieb?“ fragte das junge Mädchen ernst, und erfaßte seine Hände, „weißt Du das genau?“

„Aber Herzchen,“ sagte er lachend, „denkst Du, sie würde mich sonst heirathen mögen? Sie, die so schön ist und der so gehuldigt wird?“

Nelly schüttelte den Kopf und sah mit ihren verweinten Augen an dem Bruder vorüber. „Ich hab es mir so ganz anders vorgestellt,“ flüsterte sie.

„Närrisches kleines Ding!“ sagte er und strich zärtlich über ihre Locken. „Aber, nicht wahr Nelly, es ist doch auch schön, wenn Du mich so recht glücklich weißt?“

Sie nickte unter Thränen und verließ dann schnell das Zimmer. Draußen rollte der erste Donner des heraufsteigenden Gewitters durch die schwüle Nacht.

„Ich glaube, Nelly ist krank,“ sagte besorgt die Mutter, „sie hat so glühend heiße Hände.“

„Ach was, unartig ist sie; sie schmollt, weil nach ihrer Meinung ihrem Lieschen heut zu viel geschah,“ erklärte die alte Dame ärgerlich. „Ich wette, sie ist schon unten gewesen in der Mühle und hat das einfältige Ding um Verzeihung gebeten; es ist unerhört, wirklich.“

„Gewiß war sie unten, sie schien von dort zu kommen, als sie uns so unerwartet in der Lindenallee traf; übrigens, Großmama, ich muß es gestehen, und Blanka findet es auch: Du warst zu schroff gegen die Kleine.“

In diesem Moment zuckte ein greller Blitz auf, dem ein furchtbarer Donnerschlag folgte.

Misericordia, welch ein Gewitter!“ rief bebend die alte Baronin und vergaß ihre scharfe Antwort einen Augenblick über dem Schrecken, „ob sich Blanka fürchtet?“ Da flog auch schon die Thür auf, und im weiten weißen Caschemirkleide stand die junge Dame plötzlich mitten im Zimmer; sie hielt sich die kleinen Hände vor die Ohren und schaute mit angsterfüllten Blicken umher. „Ich fürchte mich,“ sagte sie sich schüttelnd und flüchtete in den großen Lehnstuhl, den Nelly eben verlassen.

Army eilte zu ihr; er sah in ihr blasses Gesicht und ergriff die kalte kleine Hand.

„Ich möcht hier nicht immer wohnen, um die Welt nicht!“ fuhr sie fort und stellte trotzig ihren zierlichen Fuß auf den Boden.

„Wo willst Du denn wohnen, mein Kind?“ fragte die alte Baronin, verwundert aufhorchend.

Denn wohnen?“ wiederholte erstaunt die junge Dame, und ihre Angst schien momentan völlig vergessen zu sein. „Ja, liebe Großmama, bildest Du Dir vielleicht ein, daß ich und Army uns hier vergraben sollen? Nein, bewahre! Nicht wahr, Army? Wir reisen zu allererst und sehen uns die Welt an; ich kenne noch keins der großen Bäder, Ems, Baden-Baden, dann die Schweiz, Italien – denke doch, Italien, wovon Du mir erst gestern so viel erzählt hast, und dann, wenn wir dies Alles gesehen, dann suchen wir uns einen Ort aus, wo es uns gefällt.“ Sie schwieg plötzlich, denn eben war wieder Blitz und Donner erfolgt und schien das alte Schloß in seinen Grundmauern zu erschüttern. Army hielt die Hand seiner Braut; er stand hoch aufgerichtet neben ihr und horchte auf den verhallenden Donner, die alte Dame aber trat mit einer Miene der höchsten Verwunderung zu dem Paare, während die Schwiegertochter sich in ihrem Sessel aufgerichtet hatte und fast ängstlich lauschte, was da so selbstverständlich der kleine rothe Mund ausplauderte.

„Wir werden da wohl leben müssen, Blanka,“ sagte jetzt der junge Mann ruhig, „wo es Tante Stontheim bestimmt.“

„Nein, nimmermehr!“ erwiderte sie lebhaft, „hier in diesem alten Schlosse möchte ich nicht einmal begraben sein; ich bin noch jung; ich lasse mich nicht fesseln und will das Leben genießen, Army, Du wirst mir Recht geben. Hier wohnen? Nun und nimmermehr! Tante ist zu vernünftig; sie wird das auch nicht verlangen, nein, sicher nicht,“ setzte sie überzeugt hinzu.

„Gewiß, Blanka, wir werden reisen,“ versicherte er, „aber unsern festen Wohnsitz hat Tante zu wählen.“

„Und wenn sie Derenberg wählt, so komme ich nicht mit. Nein, gewiß, ich komme nicht mit; es ist zu traurig hier; ich müßte sterben in dieser Einsamkeit.“

„Und Du wolltest mich dann hier allein lassen?“ fragte Army leise und beugte sich zu ihr hernieder, um ihr in die Augen zu sehen; er sagte es scherzend, aber es klang doch etwas wie Angst hindurch; „und Du hast mir doch noch da draußen unter den Bäumen gestanden, daß Du nur dort glücklich sein würdest, wo –“ seine Stimme sank zum Flüstern herab.

Ein heftiges Schütteln des kleinen goldflimmernden Kopfes war die Antwort. „Nein, nein!“ rief sie dann, „so ist es nicht gemeint, Army; ein Bischen Freiheit laß ich mir nicht nehmen; es wäre mein Tod, müßte ich tagtäglich durch diese kalten hohen Corridore gehen und in den düsteren Park blicken.“

„Wenn aber Dein zukünftiger Gatte es wünscht, daß Du hier bleibst?“ fragte fast athemlos die alte Dame, ihre feinen Hände faßten krampfhaft die Falten ihres Kleides.

„Er wird es nicht wünschen,“ rief sie leidenschaftlich und sprang auf; das liebliche Gesichtchen hatte einen beinahe drohenden Ausdruck angenommen und der kleine Fuß trat energisch das alte Parquet; keine Spur mehr in ihrer Haltung von jenem süßen Hingeben, womit sie heute unter den dunkeln Bäumen an seinem Arme gehangen; der Eigensinn in seiner häßlichsten Gestalt trat hier plötzlich zu Tage, und ihre Stimme klang scharf und rauh. „Es ist lächerlich, geradezu lächerlich,“ fuhr sie fort, „die Frau als Sclavin hinzustellen und ihr zu sagen: da, wo Dein Mann sich wohl fühlt, muß Du es nothgedrungen auch, und wenn Du es nicht thust, so ist es Deine Sache; sieh’, wie Du fertig wirst! Army kann und wird sich nicht so zu mir stellen; ich gab ihm mein Wort, ihn anzugehören, in seiner Hand liegt es nun, aber auch zu machen, daß ich gern bei ihm bin, und hier kann und will ich nicht sein.“

„Blanka!“ rief er, und seine großen Augen ruhten fast erschrocken auf dem jungen Wesen, das eben mit tausend süßen Liebesworten seine Braut geworden. „Blanka! Ich bitte Dich, höre auf! Du bist aufgeregt heute. Du hast Dich gefürchtet.“ Er hatte geklingelt und führte sie zum Sessel zurück. „Ein Glas Wasser!“ befahl er dem eintretenden Heinrich.

Die Großmutter aber sah beinahe erstarrt auf die Braut ihres Enkels. Wie? Dieses kindische Köpfchen warf mit einem Athemzuge all ihre köstlichen Pläne über den Haufen? Sie sollte nach wie vor hier in dieser Einsamkeit leben? Der glänzende Reichthum sollte nicht auch ihr zu Gute kommen? Sie sollte sich nicht sonnen dürfen in den Strahlen, die ein frisches, fröhliches Leben hier verbreiten könnte? Beinahe fassungslos ließ sie sich in einen Sessel fallen und betrachtete finster die hohe Gestalt des jungen Officiers, der eben das Glas Wasser aus den Händen des Dieners nahm, um es seiner Braut zu reichen. Draußen rauschte jetzt mächtig der Regen hernieder; noch immer zuckten schwache Blitzesstrahlen, das Rollen des Donners aber verhallte bereits in der Ferne.

Plötzlich ertönte ein schwacher Schrei aus dem angrenzenden Zimmer; „Nelly!“ rief die jüngere Baronin erschreckt, und verschwand in der Stubenthür. „Kind, was fehlt Dir nur?“ rief sie drüben angsterfüllt, indem sie sich zu der auf dem Sopha liegenden Nelly niederbeugte und die Hand auf ihre heiße Stirn legte.

„Ach, sie ist schrecklich, Mama; sie ist schrecklich,“ schluchzte die Kleine, „mein Army, mein lieber, guter Army! Sie hat ihn nicht lieb, Mama – Du kannst es mir glauben.“

„Aengstige Dich nicht, liebes Herz!“ tröstete leise die Mutter, „sie ist nur ein wenig launisch; es wird noch Alles gut werden.“

„Nein nein, Mama! Ach, wie ich sie sah, da fiel mir die alte Chronik und der Vers von den rothen Haaren ein; er geht mir nicht aus dem Sinn. Ach, wenn sie doch fortginge, noch heute Abend, und gar nicht wieder käme!“

Mit tausend Schmeichelworten suchte die Mutter das erregte Mädchen zu beruhigen; ihr Herz schlug ja selbst so bang! Die blasse Frau senkte den Kopf und ein Paar große Thränen drängten sich ihr in die Augen.

Nelly schlief unter den Liebkosungen der Mutter ein. Es war ein unruhiger, fieberhafter Schlaf, aber die sorgenvolle blasse Frau ließ ihr Töchterchen doch allein; sie hatte ja noch ein Kind, ihren Army. Vorsichtig spähend bog sie den Kopf um die Thür; die alte Dame und die schöne Braut waren verschwunden, aber dort in der tiefen Fensternische, da stand er noch, ihr Liebling,

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