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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Ein Gefühl von Eifersucht überschlich mich. Sie sind todt, Beide von deutschen Geschossen getroffen, und sind vereinigt.

Nun aber fort aus Paris! Die Luft darin wird drückend. Grabmäler stellen sich mir von allen Seiten entgegen; die Leute auf den Straßen und Boulevards sehen aus wie Gespenster der Unterwelt, und jeden Augenblick, wenn ein Herr mit einer Dame in meinen Weg tritt, glaube ich, es sei Antoine mit Paulinen vereinigt.

Nachmittags miethete ich einen Fiaker und fuhr hinaus nach Asnières über die Seine, an der Insel „des Ravageurs“ vorbei, wo wir unter dem Schatten der schönen Bäume manche selige Stunde mit einander verkost hatten, wo ich nicht müde wurde, ihr kindliches, oft thörichtes, aber immer bezauberndes Geplauder anzuhören, ihrem Schmollen zu widerstehen; sie schmollte gern, um das selige Gefühl der erlangten Verzeihung genießen zu können, um die Thränen hinweggeküßt zu haben, die reichlich den bittenden Augen entquollen, um sich in meinen sie umschlingenden Armen geliebt zu fühlen. Ich fuhr weiter, nach St. Cloud, ließ ausspannen und stieg den Hügel hinan. Oben auf dem Plateau fand ich nichts verändert; die Aussicht war dieselbe, nur verschönert durch die herrlichen Gebäude der Ausstellung, das alte Teleskop war noch da, die Kuchen- und Limonadenbuden ebenfalls. Gruppen von jungen Leuten beiderlei Geschlechts lagen auf dem Rasen umher, da, wo ich vor acht Jahren Pauline zum ersten Male erblickt, wo ihr zierliches Füßchen hüpfend den Boden berührt hatte.

Meine Augen schlossen sich unwillkürlich. Ich träumte noch einmal jenen lieblichen Traum aus vergangenen Zeiten, und als ich erwachte, da war es Abend; ich wußte nicht, ob es Wirklichkeit sei, oder Täuschung. Jedoch die alten, düsteren Ruinen des zerschossenen Schlosses von St. Cloud standen da, grauenhaft inmitten der Unbeweglichkeit und des Schweigens, getreue Zeugen der Schrecken des Krieges, und in den Wipfeln der Bäume, über welche die deutschen Geschosse hinweggesaust waren, flüsterte es vernehmlich: tempi passati, tempi passati!

Albert Melander.


Blätter und Blüthen.


Eine „Doublette“. (Mit Abbildung S. 733.) Egidi ist vorüber. Goldlichte Streifen, welche den grauen Herbstabendhimmel vor einbrechender Dunkelheit gegen den Horizont hin noch einmal glänzend aufhellen, verheißen eine kalte Nacht. Der Grünrock, welcher an seiner Reviergrenze auf fürsorglich angebrachter „Kanzel“ am Rande eines gern besuchten Brunftplatzes harrt, freut sich der fast sicheren Aussicht, vor Finsterwerden noch einen Schuß auf Hochwild anzubringen. Nicht nur, daß die eingetretene Abendfrische den seit mehreren Tagen über die Grenze getretenen Capitalhirsch mit seinem Trupp auch heute wieder auf dem Platze erwarten läßt: der aufgehellte Himmel verspricht auch noch für eine ziemliche Weile günstiges Büchsenlicht. Und richtig, beide Voraussetzungen treffen zu. Vernimmt das gespannte Ohr doch schon jetzt von nicht ferner Dickung her das Kommen der Erwarteten durch hin und wieder hörbares Knacken zertretener Aestchen, wie durch das klappernde Anschlagen mit dem Geweih und gewisse murksende Töne, welche den Brunfthirsch verrathen. Bald darauf zieht, voran ein altes Thier, der ganze Trupp auf’s offene Gehau heraus, und dicht hinter ihm erscheint der stolzgekrönte Gebieter. Kaum auf der Blöße angekommen, läßt derselbe alsbald seine gewaltige Stimme erdröhnen, welche jedem etwaigen Bewerber um seine erkorenen rothhäutigen Schönen von vorn herein schwere Fehde ankündigt. Dann aber, einmal angereizt zu Kampfeslust, schlägt der Stattliche mit der machtvollen Waffe, seinem vielendigen Geweihe, zornmuthig gegen Unterwuchs und Fichtenstangen, daß es davon laut klirrend über den stillen Plan hinschallt. Endlich dieses nutzlosen Straußes müde, umkreist er erregt und mißtrauisch seine Auserwählten, daß auch nicht eine derselben sich vom Trupp entfernen kann, wobei der Eifersüchtige immer und immer wieder von Neuem seinen gewaltigen Kampfesschrei in die Ferne sendet.

Und horch! Von der Grenze herüber tönt eine trotzige Erwiderung. Ein leidenschaftliches Wettrufen der beiden fehdesüchtigen Waldfreiherren beginnt; der von drüben – wie man dem Klange nach beurtheilen kann – eilt dem diesseitigen Gegner rasch entgegen. Nach kurzer Pause, während welcher Beide geschwiegen, erscheint jener richtig am jenseitigen Waldessaume, und im Nu fliegt der Platzhirsch dem kecken Eindringlinge entgegen, ihn mit Gewalt aus dem Bereiche seines Harems zu vertreiben. Indessen dieser, obwohl nicht minder stark als sein Angreifer, weicht dem ersten Anpralle geschickt aus, um alsbald kühnlich mitten hinein in das ihm mißgönnte Gebiet seines erbosten Gegners zu trollen. Wuthschnaubend folgt der Beleidigte unmittelbar auf der Fährte des frechen Nebenbuhlers und zwingt den rasch Eingeholten zum unabweislichen Kampfe.

Prasselnd treffen, in heftigstem Zusammenstoß der wuchtigen Geweihe, die Erbitterten auf einander und zertreten und zerwühlen im gegenseitigen hartnäckigsten Widerstand mit ihren stahlsehnigen Läufen den haidebewachsenen Boden. In wüthendster Hast und Anstrengung schieben und drängen sich die an Kraft und Ausdauer einander Ebenbürtigen hin und her und kommen hierbei endlich, ohne inzwischen eine Entscheidung herbeigeführt zu haben, bis auf achtzig Schritt an die grüne „Kanzel“ heran. In dieser aber macht sich bereits unser lauernder Waidmann fertig, die Nahenden zu empfangen, zumal er ja doch nur Wechselhirsche in ihnen sieht, die sofort nach der Brunftzeit wieder ihre alten Stände, jenseit der Grenze, aufsuchen und so für ihn und sein Revier auf Nimmerwiedersehen verloren sein würden. Ein Schuß donnert durch den Abend, und hinter das Blatt getroffen fliegt der Höchstgeweihte der ritterlichen Recken im Feuer zusammen, und einen Augenblick später hat auch schon sein Kampfgenosse, der, nach dem ersten Schuß den Kopf emporreißend, in jäher Umkehr die Flucht ergriffen, das zweite tödtliche Blei der sicheren Doppelbüchse auf dem rechten Flecke sitzen, so daß auch er, brillant zeichnend, in hohem Bogensprung nicht zehn Schritt von seinem noch um sich schlagenden Schicksalsgenossen zusammenbricht.

So liegen die beiden Edlen, Prächtigen, die noch eben in vollstem, stürmischem Lebensübermuth sich so mannhaft gezeigt, todesröchelnd neben einander, während der führerlos gewordene Trupp, erschreckt durch die beiden Schüsse, flüchtig das Weite sucht und bald den Blicken des Nachschauenden entschwunden ist. Der so resolute Nimrod aber erfreut sich mitleidslos seiner gelungenen „Doublette“, wie die Jägersprache solch einen Doppeltreffer nennt.

G. Hammer.


Instinct oder Ueberlegung? Wenngleich die Discussion über dieses Thema als geschlossen angesehen werden kann, so scheint die nachstehende Thatsache mir doch als ein so besonders hervorragendes Beweisstück für den Verstand der Thiere zu gelten, daß ich der Versuchung nicht widerstehen kann, den interessanten Vorfall dem großen Leserkreis der „Gartenlaube“ mitzutheilen.

Wie schon oft, so auch diesmal wieder ein Canarienvogel! Der meinige, ein sehr zahmes, munteres und niedliches Thierchen, bekam eines Tages von mir eine abgegessene Weintraube. Dieselbe war ziemlich groß, und absichtlich steckte ich sie ganz durch die Stäbe. Sofort machte sich der Vogel darüber her und pickte daran herum, jedoch immer von der unteren Stange des Bauers aus, da er eine ausgesprochene Antipathie gegen das Betreten des Bodens zu haben scheint. Er betritt den Boden meines Wissens nie; selbst Zucker – seine Lieblingsspeise – läßt er, wenn dieser heruntergefallen, unberührt liegen. Da ihm das Fressen der Traubenreste auf diese Weise zu langweilig und mühsam zu sein schien, so versuchte er die Traube zu sich heraufzuziehen, doch wenn er nach vieler Mühe das eine Ende heraufgebracht hatte, fiel es immer wieder bei der geringsten Berührung herunter. Hier muß ich einfügen, daß ich schon stets dem Thierchen zu seinem Vergnügen einen Wollenfaden in den Käfig gegeben habe, mit dem es sich köstlich zu amüsiren scheint.

Heute nun holte der Vogel sich den auf der obersten Sprosse liegenden Faden herunter, zog dann nach oftmaligem vergeblichem Versuch das schwächere Ende der Traube glücklich wieder auf die Stange und begann nun, den Faden in den Schnabel nehmend, im Käfig hin und her zu hüpfen, von der Sprosse an die Seitenwände und zurück, und so fort ungefähr fünf- bis sechsmal, bis er es glücklich dahingebracht hatte, daß der Faden sich dreimal um Stange und Traube zu gleicher Zeit gelegt und somit beide mit einander verbunden hatte. Es war ihm zwar nur sehr unvollkommen gelungen, doch immerhin so, daß der Zweig nicht ganz herunterfallen, er ihn vielmehr bequem zur Hälfte abpicken konnte. Wenn man bei diesem ganzen Thun sein listiges, kluges Auge und sein außergewöhnlich lebhaftes Treiben sah, mußte man sich unwillkürlich die Frage vorlegen: „Konnte das Thierchen anders als durch folgerichtiges Denken und Ueberlegen zu dem Festbinden des Zweiges gelangen?“

     Tempelhof bei Berlin, den 1. October 1878.

F.


Erfreulicher Erfolg einer „Gartenlauben“-Bitte. Im Anschluß an den Aufruf „Vom Fuße der Zugspitz und des Wettersteins“ in unserer Nr. 22 erhalten wir folgende Zuschrift, die wir unseren Lesern mit Vergnügen mittheilen: „Allen Förderern meines Unternehmens zur Gründung einer Volksbibliothek für den Zugspitzkreis hiermit herzlichsten Dank für ihre reichen Spenden. Die Bücherei zählt, nach Ausscheidung des Unbrauchbaren über 1000 Bände gediegenen Inhaltes. Von Seiten des Magistrates ist zur Aufstellung derselben ein hübsches Local zur Verfügung gestellt worden, welches, zugleich als Lesezimmer eingerichtet, geheizt und beleuchtet wird. Zu Weihnachten wird die Bücherei, welche einen antiquarischen Werth von mindestens 2500 Mark repräsentirt, dem Districte kostenfrei übergeben werden.

Michael Sachs,
Maler und Vorstand der Kunstschnitzschule in Partenkirchen
(baierisches Hochgebirge).“


Kleiner Briefkasten.

Herrn B. B. in Gera. Daß die Schilderung des in der Nähe der Stadt Joachimsthal gelegenen Werbellin-Sees von Fr. Brunold (in Nr. 39) auch in Ihnen eine schöne Erinnerung geweckt, ist uns erfreulich zu hören. Die am Grimnitz und Werbellin erbauten askanischen Schlösser lagen anderthalb bis zwei Stunden von einander entfernt. Die beiden Seen können von mehreren Punkten aus gleichzeitig gesehen werden. Unsere Aufnahme des Werbellin ist nicht fern der Stelle geschehen, wo ehedem das Schloß gleichen Namens gestanden.

A. von R. Wir bedauern, von Ihrer Offerte keinen Gebrauch machen zu können.

R. v. S. Nicht geeignet und deshalb bereits vernichtet.


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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