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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

welchem zur Bildung eines Corps d’élite aufgefordert wurde, dessen Zweck sein sollte, den Ordnungsdienst in der Stadt aufrecht zu erhalten, nahmen Blum und Fröbel Volontairstellen an. Das Corps bestand aus Nationalgarden, Mitgliedern der akademischen Legion und Arbeitern. Die Mannschaften wählten Blum zum Hauptmann der ersten, Fröbel zum Hauptmann der zweiten Compagnie. Ein kleiner schmächtiger Student von achtzehn Jahren bot sich Blum als Freiwilliger an und wurde mit herzlichem Händedruck willkommen geheißen. Der junge Mann hatte soeben in Breslau seine Studien begonnen und war hierher geeilt: er hieß – Eduard Lasker. Bald machte nun der fühlbare Mangel an Kerntruppen die Verwendung dieses Corps, das lediglich zum Sicherheitsdienste in der innern Stadt bestimmt war, im Feuer, gegen den Feind nöthig, was um so leichter anging, da dasselbe unter Befehl Messenhauser’s stand. So wurde Blum in’s Gefecht commandirt und konnte selbstverständlich nicht Nein sagen. Am 26. October stand er mit seiner Compagnie an der Sophienbrücke, am 28. an der Nußdorfer Linie in heißem Gefecht. Alle Betheiligten geben ihm das Zeugniß eines trefflichen, muthigen, kaltblütigen Führers. Charakteristisch für seine Haltung ist sein Wort an seine Leute, während er und sie im Gefecht an der Nußdorfer Linie mit Kugeln überschüttet wurden: „Kinder, die Kugeln die Ihr pfeifen hört, thun Euch nichts.“ An seine Gattin schrieb er am 30.: „Ich habe am Samstag noch einen sehr heißen Tag erlebt; eine Streifkugel hat mich sogar unmittelbar am Herzen getroffen, aber nur den Rock verletzt.“

So sehr es nun menschlich erklärlich ist, daß Blum so handelte, wie er that, und so sehr seine Betheiligung am offenen Aufstande verziehen und straflos war durch die Capitulationsbedingungen vom 30. October, so war doch diese Betheiligung bei ihm, dem Fremden, dem Abgeordneten, ein schwerer politischer Fehler, welcher in dem Irrthum wurzelte, als ob „in Wien sich das Schicksal Deutschlands entscheide“. In Wien konnte sich dieses Schicksal nicht entscheiden. Auch die Rede, welche er am 23. October in der Aula hielt und die später neben seiner Betheiligung am Aufstand den übeln Vorwand für seine Verurtheilung zum Tode abgab, bewies, daß ihm jede Detailkenntniß der österreichischen Zustände abging.[1] Darin allein aber bestand die Betheiligung Robert Blum’s an der Wiener Revolution. Mehr haben ihm auch die Argusaugen seiner Richter nicht vorwerfen können, und es ist daher unbegreiflich, wie z. B. Anton Springer sich zum Colporteur des albernen Gerüchtes machen konnte: man habe bei Blum eine Proscriptionsliste von 6000 Namen gefunden, und in seiner Aula-Rede habe er den Arbeitern zugerufen: „Ihr müßt noch 200 Aristokraten latourisiren“ – Gerüchte, denen schon vor Ende November 1848 einer der obersten Officiere Messenhauser’s, Fenner von Fenneberg, in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ entgegentrat.

Zweifellos war es aber die Erkenntniß der schiefen Stellung, in welche sie sich begeben, welche Blum und Fröbel veranlaßte, bereits am 28. October Abends ihre Commandos niederzulegen. Ihre Demission wurde den 29. früh angenommen. Seit dieser Zeit sind die Abgeordneten ruhig in ihrem Hôtel zur Stadt London geblieben. Sicher ist, daß Blum in den kurzen Stunden, die er vom 29. October außerhalb seines Hôtels zubrachte, seinen Einfluß dazu benutzte, die Ueberzeugung von der Nutzlosigkeit ferneren Widerstandes zu verbreiten und namentlich von dem ruchlosen und wahnsinnigen Bruch der am 30. geschlossenen Capitulation über die Unterwerfung der Stadt abzumahnen. Als zu diesem Frevel die Verzweifelten unter den Vertheidigern durch das Herannahen der Ungarn und deren Gefecht an der Schwechat sich dennoch verleiten ließen, zieht er sich ganz in das Haus zurück und denkt sehnsüchtiger als je an die Heimkehr. Am 30. schreibt er der Gattin: „Mein Herz ist zerrissen von Zorn und Wuth und Schmerz. Ein Theil des städtischen Heeres will die Waffen nicht niederlegen, besonders die übergetretenen Soldaten sind in wahrer Raserei. – Sobald der Verkehr wieder beginnt, reise ich ab und komme nach Leipzig. Lebe wohl, auf baldiges Wiedersehen!“

„Auf baldiges Wiedersehen!“ – wie schmerzlich sollte diese Hoffnung getäuscht werden!

Am 1. November zog das siegreiche kaiserliche Heer in die bezwungene Stadt ein. Noch am nämlichen Tage erfolgten zahlreiche Verhaftungen, die in den nächsten Tagen schon nach Hunderten zählten. Unbekümmert und unbelästigt saß Blum in seinem Hôtel und bat den sächsischen Gesandten Herrn von Könneritz um einen Paß. Der Vertreter der heimathlichen Macht bot Blum seinen – Sophakasten zum Asyl an, da er Pässe durch die Soldaten nicht geben könne. Robert Blum begab sich nicht in dieses würdevolle Asyl, sondern blieb ruhig in Stadt London wohnen. Was sollte er auch befürchten? Sein Name war unter den Personen, deren Auslieferung Fürst Windischgrätz vor Abschluß der Unterwerfungsconvention vom 30. October verlangt hatte, nicht genannt. Ja, Fürst Windischgrätz hatte damals den Unterhändlern, die um Pardon selbst auch zu Gunsten militärischer Deserteure baten, auf diese Bitte selbst die trostreiche Antwort gegeben: „Ich werde mich an Großmuth nicht überbieten lassen.“ Nein, Blum hatte in der That nichts zu fürchten, so lange er nicht selbst mit Fröbel den unglückseligen Einfall hatte, sich daran zu erinnern, daß er Abgeordneter des deutschen Parlaments und als solcher vielleicht eher als Andere zur Erlangung eines Passes empfohlen, vor Allem unverletzlich sei. Bis dahin kümmerte sich die siegreiche Reaction nicht um Blum und hatte nicht einmal eine Ahnung von seiner Existenz in Wien. Sowie er aber in den Anachronismus verfiel, dem siegreichen Feldherrn gegenüber auf seine Vorrechte als Abgeordneter zu pochen, rief er den tragischen Conflict hervor. Daß Robert Blum so handelte, war das wahre tragische Verhängniß seiner demokratischen Natur, seines unbeugsamen Glaubens an die Macht und Majestät der deutschen Nationalvertretung.

Hans Blum.





Die türkische Vendée.
I.
Der Krieg und die „Albanische Liga“. – Landung in Antivari. – Volkszustände in Skutari. – Volkstrachten. – Die albanische Frau.

Wer sich dem Glauben hingegeben, daß die zum Theil sehr guten Absichten des Berliner Friedenscongresses den Orient wirklich beruhigen werden, der hat in den letzten Monaten manche bittere Enttäuschung zu erfahren gehabt. Die einerseits von schlimmster Barbarenwirthschaft, anderseits von einem bunten Gemisch feindlich sich gegenüberstehender Racen und Religionen erzeugten Wirren und Krankheitszustände des dortigen Völkerchaos liegen zu tief, als daß sie durch äußerliche Mittel und diplomatische Schachzüge beseitigt oder auch nur beschwichtigt werden könnten. Kaum waren die Friedensverträge zwischen den Mächten ausgewechselt, so loderte bereits hier und dort mit oder ohne Aufstachelung von Constantinopel aus die Flammen bewaffneter Empörungen auf, und der Widerwille gegen die decretirte Neuordnung der Dinge gab sich in furchtbaren Ausbrüchen der Leidenschaft und des entschlossensten, vor Blut, Brand und grimmigem Mord nicht zurückschreckenden Widerstandes kund. Der bei der schleunigen Ausführung der Berliner Bestimmungen in Bosnien sich erhebende Widerstand hat in mörderischen Kämpfen von der österreichischen Waffengewalt niedergeworfen werden müssen, und es scheint dies in der Hauptsache vorläufig gelungen zu sein. In demselben Augenblicke aber wird auch schon unsere Aufmerksamkeit auf einen anderen Feuerpunkt gerichtet, auf Albanien, wo wir, dem Friedenswerke gegenüber, einen ganzen Volksstamm bis an die Zähne gerüstet sehen, einen Volksstamm, der unter den Elementen des bisherigen türkischen Reiches bei uns nur wenig bekannt ist, aber jedenfalls im weiteren Verlaufe noch von sich reden machen wird.

  1. Die völlige Harmlosigkeit des Satzes, der ihn des Todes würdig erscheinen lassen sollte, springt in die Augen. Er lautet: „Man möge an die Stelle des früheren Bandes der Gewalt, welches die verschiedenen Nationalitäten des österreichischen Kaiserstaates zusammengehalten, das Band gemeinsamer Freiheit setzen“. Das Kriegsgericht verstand darunter die Republik – während die ganze Wiener Bewegung durchaus monarchisch – aber allerdings constitutionell-monarchisch war!
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_730.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2019)