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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Die Burg umziehe mit Zelten und Schilden,
Erles’nem Geleit im Leichengewand,
Und brennt mir zur Seite den Hunnengebieter.
Dem Hunnengebieter brennet zur Seite
Meine Knechte mit kostbaren Spangen geschmückt:
Zwei zu Häupten und zwei zu Füßen,
Dazu zwei Hunde und der Habichte zwei.
Also ist Alles eben vertheilt.“

Zahlreiche altdeutsche Helden ruhen am Meere beim Rauschen der Wogen. So wurde dem Beowulf – einem alten angelsächsischen Könige, dessen Thaten in dem Beowulfs-Liede besungen werden – auf seine Bitte ein Hügel am Meere errichtet, Allen, die vorüberfuhren, von fern sichtbar; so bestimmten ferner König Bele und Thorsten Vikingson, der Vater des Frithjos, den Platz für ihre Gräber am Meere. Die Beschreibung solcher Leichenbrände rühmt die Pracht der Leichengeschenke an Kleidern, Waffen und Goldschmuck oft so hoch, daß man Bedenken trägt, an so übertriebenen Luxus zu glauben, allein es sind in den nordischen Ländern Grabhügel geöffnet worden, deren Inhalt uns in Staunen setzt. Prächtig sollten die Edeln zu Odin eingehen. Oftmals gab man ihnen ihr Schiff und ihr gesatteltes Streitroß, wohl auch den Streitwagen mit in’s Grab, damit sie nach Belieben nach Walhall fahren oder reiten könnten.

Hatte die Flamme ihr Vernichtungswerk gethan, so nahten die Verwandten und löschten die Gluth. Die Knochenüberreste wurden in einer Urne gesammelt und im Grabe beigesetzt; gewöhnlich legten die Trauernden noch Liebesgaben in und neben die Urne. War nun das Grab geschlossen, so wurde an dem selben das Todtenmahl gehalten, und nach Beendigung desselben zerbrach man die Geschirre, aus denen man soeben gegessen, und streute die Scherben sowie die Ueberreste des Mahles auf das Grab. Daß man heute noch beim Begräbniß vornehmer Herren das Reitpferd im Trauerzuge mitführt, daß man heute noch prunkvolle Leichenessen giebt, das dürfte wohl seinen Grund in jenen alten Gebräuchen haben.

Während bei den deutschen Völkerstämmen das Verbrennen von Leichen in der geschichtlichen Zeit wieder mehr und mehr dem Begraben Platz macht, hält sich jener Brauch bei den slavischen Völkern viel länger, ebenso bei den Bewohnern der Ostseeküste. In Polen wurde noch im zehnten Jahrhundert die Frau mit dem Manne verbrannt. Die Litthauer ließen erst 1250, durch den deutschen Orden gezwungen, von ihrem alten Brauche. An der kurländischen Grenze soll sogar noch im siebenzehnten Jahrhundert ein Vornehmer mit vielen Kostbarkeiten, seinem Pferde, seinen Jagdhunden und – seinem Dienern verbrannt worden sein.

Bei den deutschen Völkerstämmen wurde durch das Christenthum das Begraben geradezu Pflicht. Als die Westgothen auf ihrem Zuge nach Afrika in Unteritalien plötzlich ihren großen König Alarich verloren, da leiteten sie den Busentofluß ab und ließen jenem im trockenen Flußbette ein Grab graben. Da hinein senkten sie den Todten, der in voller Rüstung auf seinem Streitrosse saß, schlossen dann die Gruft und ließen den Fluß wieder in sein altes Bett zurückströmen. Die Sclaven aber, die das Grab gegraben, wurden sofort getödtet, damit Niemand den Ort entweihe, wo der Heldenkönig ruht. Dagegen fanden sich in dem 1635 zu Tournay entdeckten Grabe, welches man für das des vorchristlich-fränkischen Königs Childerich erklärt, neben Waffen, Goldschmuck, Amuletten, Geld, sowie einem Siegelringe, ein Hufeisen seines Pferdes und ein Menschenkopf an seiner Seite, woraus geschlossen wird, daß der Marschall freiwillig mit seinem Herrn starb und dessen Rumpf nebst dem Schlachtrosse verbrannt wurde. Die Franken nannten das Grab Chreoburg oder Leichenburg und bauten darüber kleine Säulengänge und Gerüste, die sie mit kostbaren Tüchern umhingen. In der christlichen Zeit baute man Capellen und jene schönen gothischen Grabmäler, die als Kunstwerke große Bedeutung haben. Auf dem Grabe wurde gegessen und getrunken, und diese Todtenmahle wurden alljährlich wiederholt. Es kam sogar vor, daß Priester die Sacramente über den Gräbern austheilten.

Unsere Vorfahren trauerten nicht schwarz, sondern weiß, und heute noch gilt in manchen Gebirgsthälern der Schweiz weiß als die Trauerfarbe, heute noch meint das Volk, daß dem der Tod bevorstehe, der von weißen Mäusen, weißglühenden Pflanzen, weißen Haaren, weißer Wäsche etc. träumt. Auch andere Anzeichen des Todes, an die man namentlich auf dem Lande noch vielfach glaubt, sind aus grauer Vergangenheit der Gegenwart überliefert worden.

Im leise klopfenden Bohrwurm glaubte man schon in der Heidenzeit den Tod zu hören, wie er an die Thür klopft, und der Schrei der Eule war dem Kranken todbringend. Stirbt ein Tugendhafter, so geht die Seele als ein weißes Wölkchen aus seinem Munde. Wird dann aber die Leiche aus dem Hause zu Grabe getragen, so werden Fenster und Thüren sofort hinter ihr verschlossen, damit der Verstorbene nicht wieder zurückkehre. Bevor die Leiche in den Sarg gelegt wird, müssen ihr die Nägel an Fingern und Zehen beschnitten werden. In der „Edda“ wird es als ein Vorzeichen des nahen Weltuntergangs hingestellt, wenn es allgemein wird, diese Pflicht der Nächstenliebe zu vergessen. Auch Haar- und Bartschnitt waren in der altdeutschen Leichenordnung von Bedeutung, wie überhaupt die größte Sorgfalt auf Reinigung und Bekleidung der Leiche verwandt wurde. Altnordische Sitte war es, daß dem Todten Schuhe mitgegeben wurden. Wer einer Leiche schlechte mitgiebt, der wird oft hören müssen, wie sie damit in der Nacht im Hause herumschlürft. Wie bei unseren Vorfahren, so ist es auch jetzt noch an vielen Orten Brauch, der Leiche Geld in’s Grab mitzugeben. Wer kein Geld bei sich hat, sagt der Volksglaube, der muß mit den Gliedern seines eigenen Leibes die Ueberfahrt über den Todtenstrom bezahlen. Bei der Bestattung hatten ursprünglich Alle mitzuhelfen; unser Brauch, daß jeder Begleiter etwas Erde auf den Sarg wirft, erinnert noch daran. Man darf auch einem Verstorbenen nicht zu lange nachweinen, sonst nimmt man ihm die Ruhe. Die Thränen empfindet der Begrabene als frisches Blut in seinem Herzen. Es heißt darum in einem schwedischen Volksliede:

Denn jegliche Thräne, die deinem Aug’ entquillt,
Macht, daß sich mein Herz mit Blut anfüllt;
Doch jegliches Glück, das dein Herz bewegt,
Den Sarg voll duftiger Rosen mir legt.

Aus diesem weit verbreiteten Glauben erklärt sich die Heiterkeit, die oft bei Leichenmahlen waltet, die sich manchmal sogar bis zu Gesang und Tanz versteigt.

So lassen sich die meisten noch jetzt existirenden Begräbnißgebräuche, von denen wir hier nur einzelne nannten, auf die alte Zeit zurückführen. Ein eben erschienenes Werk „Die Todtenbestattung, Todtencultus alter und neuer Zeit oder die Begräbnißfrage. Eine culturgeschichtliche Studie von Waldemar Sonntag. Halle, 1878“ stellt in interessanter Weise die verschiedenen Leichengebrauche zusammen. Wer sich für diese Fragen interessirt, wird hier wie in dem erwähnten älteren Werke von Professor Rochholz reiche Belehrung und Anregung finden. Letzterem Buche entnehmen wir noch folgende Bemerkungen: Der Hagedorn, der eine roth- und eine weißblühende Gattung hat, war der zur Verbrennung der Leiche vorgeschriebene Strauch- und Brenndorn. An ihm wächst die moosgrüne Stielverwucherung, deren verschiedene Namen heißen Schlafapfel, Schlafdorn, Moosrose, Donnerrose etc. Odin steckt einen solchen Zweig der Brynhild unter’s Haupt, daß die Gluthen ihres Scheiterhaufens als „Waberlohe“ sie einschließen; das Kindermärchen aber hat sich das Dornröschen daraus gebildet, das hinter undurchdringlichen Dornenhecken im Zauberschlosse liegen muß. – Wie noch jetzt ein Grab jedem gebildeten Menschen ein geweihter Ort ist, so war es auch unseren Vorfahren heilig und unantastbar. Wehe dem, der von einem Grabe auch nur eine Blume brach! Eine Entwendung, an Gräbern begangen, hieß in altdeutschen Gesetzen nicht Todtendiebstahl, sondern Todtenraub und wurde schwer bestraft. Ließ aber ein Geschlecht die Gräber seiner Ahnen verfallen, so galt dies für ein gewisses Zeichen, daß dieses Geschlecht dem Untergange nahe sei.

St.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_727.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)