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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

einen nie geahnten Aufschwung. Aus den vor zehn Jahren im Handel vorhandenen etwa zweihundertfünfzig Arten fremdländischer Stubenvögel sind bis jetzt schon über siebenhundert Arten geworden, und die Summen, welche theils an eingeführten, viel mehr aber noch an gezüchteten Vögeln alljährlich umgesetzt werden, betragen mehrere hunderttausend Mark. Etwa fünfhundert Vereine haben sich gebildet, von denen sich die meisten mit Geflügelzucht und Geflügelliebhaberei eingehend, manche mit der Vogelliebhaberei nur nebensächlich, viele dagegen auch mit der letzteren ausschließlich beschäftigen. Großartige Vogelausstellungen werden bekanntlich in vielen Städten alljährlich veranstaltet. In den immer mehr sich erweiternden Kreisen der Liebhaber werden für die Wissenschaft zahlreiche Jünger geweckt, die mit ernstem Sinn nach tieferem Eindringen auf dem Gebiete streben, welches ihnen anfangs nur Erheiterung geboten. Die Liebhaberei nützt der Wissenschaft auch darin nicht wenig, daß sie entweder zur näheren Kenntniß bisher noch gar nicht beschriebener oder erst wenig gekannter Arten beiträgt oder, soweit es sich um solche Vögel handelt, welche zu beobachten die Forscher und Reisenden in der Heimath noch keine Gelegenheit gefunden, die Erkundung der Brutentwickelung, des Jugendkleides etc. bedeutend und in bahnbrechender Weise fördert. Das zoologische Museum von Berlin hat z. B. eine stattliche Anzahl im Laufe der Zeit in der Vogelstube gezüchteter Vögel aufzuweisen, deren wissenschaftliche Beschreibung und populäre Schilderung zugleich mein Werk „Die fremdländischen Stubenvögel“ bietet.


Die Insel Niuafou.
Ein Beitrag zur Geschichte des modernen Missionswesens.


Ungefähr unter dem sechszehnten Grade südlicher Breite und dem hundertsechsundsiebenzigsten Grade westlicher Länge von Greenwich liegt im stillen Meere, oder wie es dort immer benannt wird, in der Südsee, die Insel Niuafou, die neue Insel (Niu bedeutet in der Tonga-Sprache: Insel; fou ist: neu). Meines Wissens hat noch Niemand diese Insel einer näheren Erwähnung gewürdigt, und doch ist sie in vielen Beziehungen merkwürdig; sie war vor nicht langen Jahren selbstständig und hatte ihren eigenen eingeborenen König, Fotofile mit Namen, der noch als alter Mann auf der Insel lebt und daselbst jetzt das Amt eines Gouverneurs inne hat. Die Insel wurde vor Jahren nach sehr tapferer Gegenwehr des Fotofile von König Georg von Tonga erobert; sie gehört seitdem mit zu der Tonga-Gruppe oder den Freundschaftsinseln, wie diese Eilande vom Weltumsegler James Cook benannt wurden, und ist dem König Georg tributpflichtig; einige Erdwälle und langgezogene Gräben bezeichnen noch die Stellen, wo die Niuafou-Männer gegen die in großen Canoes von Hapai und Tonga-Tabu angekommenen Tonga-Krieger kämpften. Die Insel ist von keinem sichtbaren Korallenriff umgeben, wie es sonst fast alle Südseeinseln sind; steil und dunkel steigt sie als eine zerrissene Lavamasse, von der heftigsten Brandung bespült, unmittelbar aus der Tiefe empor; ist doch die ganze Insel nur die lavafelsige Einfassung eines ausgebrannten Kraters. Der Krater selbst ist verstopft und mit Brackwasser angefüllt, welches einen See von etwa vier englischen Meilen Umfang bildet; in diesem See liegen vier kleine Felseninseln. Wer von den ungefähr fünfhundert Fuß hohen Seitenwänden des Kraters auf den See hinabschaut, vor dessen Augen entfaltet sich ein Bild, das wohl dem Pinsel des Malers einen würdigen Gegenstand darbietet.

Auf der ganzen Insel Niuafou ist kein Tropfen Süßwasser zu finden, aber merkwürdiger Weise befindet sich auf einer der kleinen Inseln im Kratersee eine frische Wasserquelle. Die Eingeborenen sind oft genöthigt, ihren wenigen Bedarf an Süßwasser, hauptsächlich zur Bereitung ihres Kawa-Getränkes,[1] von hier zu holen, wenn ihnen das Regenwasser, welches sie in ausgehöhlten Cocosnußstämmen unter ihren mit den Blättern desselben Baumes gedeckten Hütten sammeln, ausgeht. Obwohl die Erdschicht über der Lava, aus welcher die Oberfläche der Insel größtentheils besteht, nirgends sehr tief ist, so ist der Boden darum doch sehr fruchtbar; namentlich gedeiht der Cocosnußbaum hier ganz vortrefflich. Er ist hier der einzige Reichthum der Eingeborenen; vor Jahren besaßen sie auch noch Schweine und Geflügel in Menge, aber diese guten Zeiten sind für die Insel vorüber – warum? Davon später!

Niuafou ist mehrfach vulcanischen Ausbrüchen unterworfen gewesen. So wurde im Jahre 1853 das große Dorf Ahafakatau gänzlich durch die Lava zerstört und viele Menschen verbrannten; oft habe ich mir von den Eingeborenen erzählen lassen, wie das Feuer auf einmal mit schwerem Getöse aus der Erde hervorgequollen sei und wie sie aus Leibeskräften gelaufen seien, um ihm zu entfliehen; die farbige Frau des damaligen Missionärs sei mit einem Kinde auf dem Rücken vom Feuer eingeholt worden und stehe, in Stein verwandelt, noch auf derselben Stelle; die weißen Missionäre hätten ihnen nachher gesagt, solches sei eine gerechte Strafe für ihre Gottlosigkeit, und solches würde sich noch öfters ereignen, falls sie nicht reichliche Gaben an die Mission gäben. Ich habe die Brandstätte mehr als einmal besucht. Ein trauriger, öder Anblick: meilenweit nichts als schwarze Lava! Auch an dem Krater bin ich gewesen, von woher die geschmolzene Masse floß oder hinausgeschleudert wurde, und habe dort in der Nähe wirklich etwas wie eine menschliche Figur mit einem Kinde auf dem Rücken, in Lava gegossen, stehen sehen, jedoch hatten die Eingeborenen der Figur den Kopf abgeschlagen, weil, wie sie behaupteten, die Frau sonst Nachts auf dem Lavafelde umherwandere und klage. Ob das Ganze nichts als ein Naturspiel ist, will ich Fachmännern zu entscheiden überlassen; gewiß ist es, daß auf dem ganzen Lavafelde jede Stelle, wo früher ein Cocosnußbaum stand, durch eine fünf bis sechs Fuß hohe hohle Lavasäule bezeichnet ist; die Säule ist nur etwas dicker als ein gewöhnlicher Cocosnußbaum.

Niuafou ist seitdem im Jahre 1867 wiederum von einem neuen Ausbruch heimgesucht worden, und es ist nichts Ungewöhnliches, daß die Insel von vulcanischen Stößen erbebt; auch der Anprall der Wellen an die hohe felsige Küste vermag die Insel sehr fühlbar zu erschüttern; besonders empfindet man dies, wenn der Wind sich zum Sturm aus Norden erhebt.

Eine andere Merkwürdigkeit der Insel ist eine eigenthümliche Vogelart, die sich auch auf dem australischen Festlande aufhalten soll. Diese seltsamen Vögel, welche zur Familie der Hühner gehören, legen in Gesellschaft von zwanzig bis dreißig Genossen ihre Eier in eine Grube von Lava-Asche, und tragen dann diese Eier in ihren Klauen nach einer neuen, von ihnen gescharrten Grube und zwar so, daß dort die neuesten, zuletzt gelegten Eier unten zu liegen kommen, worauf sie das Ganze mit Asche bedecken und das Ausbrüten der Sonne oder der Erdwärme überlassen. Die ausgebrüteten Küchlein zerstreuen sich bald im Busch und leben, in der ersten Zeit besonders, von Ameisen und deren Eiern. Jeder Vogel legt nur ein Ei, welches vollkommen so groß wie ein gewöhnliches Entenei und von rothbrauner Farbe ist; die Größe des Vogels übersteigt nicht die einer Taube oder eines kleinen Rebhuhns.

Auf dieser mit Cocosnußwäldern bis zur höchsten Spitze bedeckten lieblichen Insel lebt ein Menschenschlag, welcher mir von allen den verschiedenen Insulanern der Südsee, soweit ich auf meinen dortigen ausgedehnten Reisen in einem Zeitraum von mehreren Jahren mit ihnen in Verkehr trat und Tauschhandel trieb, am allerbesten gefallen hat; es ist ein hübsches Volk; Männer wie Frauen sind wohlgebaut und zeigen meistens sehr angenehme Gesichtszüge, ihre Farbe ist bedeutend heller, als man sie bei den Bewohnern der Fidschi-, Gilbert-, Marschall- oder Neu-Hebriden-Inseln findet. Die Männer tätowiren sich sehr geschmackvoll; die Frauen tragen ihr Haar lang, frei am Rücken herabfallend, und Reinlichkeit und Sauberkeit ist dort mehr vorherrschend als irgendwo sonst in der Südsee.

Wie schon seit Jahren das ganze Inselreich Tonga zum Christenthum bekehrt ist, so sind die Einwohner auf Niuafou auch


  1. Kawa-Getränk wird aus Kawa-Wurzel (Piper mysticum) bereitet, indem die Eingeborenen die Wurzel kauen. Das Gekaute wird mit Wasser gemengt und, nachdem es durchgesiebt, in Cocosnußschalen zum Trinken verabreicht; das Getränk hat eine berauschende Wirkung.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_718.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)