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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

zu denjenigen, die nur Andere für sich arbeiten lassen; stets war er selbst vom Morgen bis zum Abend in seinen Speichern thätig und übertrug seinen jungen Leuten so wenig, wie irgend möglich. Auch verstand er mit besonderem Geschick, sich stets zahlungsfähig zu erhalten. Wenn Andere um keinen Preis Geld aufzutreiben vermochten, hatte er das nöthige immer zur Hand.

Die nächste Folge dieses emsigen Geschäftsbetriebes war, daß seine Sprachstudien liegen blieben. Erst nach achtjähriger Unterbrechung, im Jahre 1854 konnte er dieselben wieder aufnehmen. Was ihn jetzt beschäftigte, war das Schwedische, Polnische und Neugriechische; letzteres führte ihn endlich an der Hand tüchtiger Lehrer zum Altgriechischen und damit zum Studium des Homer. So hatte er endlich das in der Jugend so heiß erahnte Ziel auf langen und schweren Umwegen erreicht.

Die folgenden Jahre sahen ihn auf Reisen durch Schweden, Dänemark, Deutschland, Italien, Aegypten und Syrien, und im Sommer 1859 war er zum ersten Mal auf kurze Zeit in Athen. Zu einer schon damals nach der Insel Ithaka, dem Eilande seines geliebten Odysseus, projectirten Reise kam es nicht, weil ihn eine Krankheit zur Rückkehr nöthigte. Dafür machte er im Jahre 1864 eine Reise um die Welt, worüber er 1867 eine recht hübsche Beschreibung in französischer Sprache veröffentlichte, die unter dem Titel „La Chine et le Japon“ im Verlage der Pariser Librairie Centrale erschien.

Drei Jahre nach dieser Reise, im Jahre 1867, wurde es ihm endlich möglich, die classischen Stätten der homerischen Gesänge aufzusuchen und in aller Muße zu besichtigen. Das hierüber veröffentlichte Buch „Ithaque, le Peloponnèse, Troie, Paris 1869“ (in deutscher Uebersetzung bei Giesecke und Devrient in Leipzig) ist von Anderen mit Recht als eine Art Roman bezeichnet worden. Von Seite zu Seite merkt man es dem begeisterten Verfasser an, daß er das volle Glück der Verwirklichung eines seiner liebsten Jugendträume empfindet. Die homerische Dichtung galt ihm mit allen ihren Einzelheiten als eine so reine geschichtliche Wahrheit, wie dem Gläubigen die Bibel. Mag man da sich noch wundern oder gar einen Tadel darüber aussprechen wollen, daß er auf den vom göttlichen Sänger ihm gewiesenen Spuren fast Alles findet, was er sucht? Man vergegenwärtige sich in diesem Falle – und das ist der einzig richtige Standpunkt der Verurtheilung – stets den Autodidakten, der zwar Odyssee und Ilias beinahe auswendig weiß, aber die ganze Fülle kritischer Erforschung, das einem hoch angeschwollenen Strome vergleichbare gelehrte Rüstzeug der sogenannten homerischen Frage nicht kennen gelernt hat.

Von Ithaka, das ihm mit seiner biedern Landbevölkerung ganz an’s Herz gewachsen war, ging er zur troischen Ebene hinüber, seinen Homer wie ein Evangelium im Herzen tragend. Die größten Mühen und Beschwerden, Hunger und Durst, dazu Betrügerei von Seiten seiner Führer und Arbeiter, alle diese Uebelstände hielten ihn nicht ab, die Skamandroslandschaft zur Auffindung Troja’s so gründlich wie möglich zu untersuchen, um seine Ueberzeugungen zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen. Der Hügel Hissarlik mußte die Stadt des Priamos decken – das stand zuletzt bei ihm fest. Und mit dieser Gewißheit im Herzen begann er im April 1870 seine ersten Ausgrabungen, die er mit kleineren und größeren Unterbrechungen während der Sommermonate bis in den Juni 1872 fortsetzte.

Noch heute vergegenwärtigen wir uns den frischen Eindruck seiner zahlreichen und zum Theil wahrhaft glänzenden Entdeckungen. War es doch Jedem, der die ersten märchenhaften Berichte vernahm, als ob der Hügel eine Gold und Silber bergende, mit seltsamen Mauern und Thürmen verschlossene uralte Stadt in seinem geheimnißvollen Innern begraben hätte. Kein Wunder, daß der Entdecker selber, der mit der sichersten Ueberzeugung, nur hier könne die Stätte des alten Troja gefunden werden, an die Ausgrabung gegangen war, nicht im Mindesten daran zweifelte, daß die Bestätigung seiner Hypothese eine der allerglänzendsten sei, welche die archäologische Wissenschaft jemals erlebt habe. Kein Wunder, daß er in diesem berechtigten Gefühle höchsten Glückes eine Zurückführung seiner Funde auf die homerischen Schilderungen im Einzelnen versuchte und im Bewußtsein seiner Verdienste um die Wissenschaft dem Drange nicht länger widerstehen konnte, seine Lieblingsideen selbstständig zu verfechten. Man staunte und hörte nicht auf, nach den Wundern zu fragen; lange währte es, bis überall die Aufregung sich legte.

Da erschien im Jahre 1874 in Commission bei F. A. Brockhaus der große Atlas trojanischer Alterthümer, und mit ihm erschienen zugleich die in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ in langer Reihe hinter einander veröffentlichten Ausgrabungsberichte als ein stattlicher Band. Leider aber waren die photographischen Tafeln des Atlas zum großen Theile mißrathen und machten einen den gehegten Erwartungen durchaus nicht entsprechenden Eindruck. Obwohl der kundige Fachmann schon beim ersten Blicke die große Masse und Bedeutung dieses der Wissenschaft neu gelieferten Materials hinlänglich zu übersehen vermochte, konnte doch auch ein solcher trotz aller Vorurtheilslosigkeit sich einer gewissen Verstimmung über eine derartige Publication nicht ganz erwehren. Nur zu bald erlebte man es daher, daß sich in einer außerordentlichen Fluth von Recensionen und Kritiken der wissenschaftliche Verdruß zur Genüge, ja mehr als zur Genüge, Luft machte. An die Stelle des Lobes trat der Tadel. Wehe dem Deutschen, welchem der eigene Landsmann vom Katheder herunter Bescheid sagt! Er kann sicher sein, daß kein gutes Haar an ihm übrig bleibt, zumal dann, wenn er nicht mit zur Zunft gehört.

So geschah es Schliemann; man ging stellenweise geradezu unbarmherzig mit ihm um und vergaß ganz und gar die Art, wie dieser Mann, mit dem verschiedensten Ungemache kämpfend, unerschüttert auf dem Schlachtplane ausgehalten hatte; man sah nichts als Schwächen und Mängel, man verurtheilte nur und überließ es dem vereinzelt dastehenden Entdecker, sich mit Hand und Fuß dagegen zu wehren. Und damit der Verdruß des auf alle Art, auch mit Verleumdungen angefeindeten Mannes das höchste Maß erreiche, verwickelte ihn die türkische Regierung obendrein an einen Proceß, aus dem er sich zuletzt mit einem Trinkgelde von 50,000 Francs die völlige Unantastbarkeit des Besitzes seiner Sammlung erkaufen mußte.

Aber so unerquicklich und unbehaglich auch jene Sturmfluth ungünstiger Recensionen für ihn sein mochte; Schliemann ließ sich dadurch nicht beugen. Der feste Glaube an die geschehene Verwirklichung seiner Ideale half ihm durch die Brandung der Kritik, wie einst die Leukothea dem Odysseus durch die Wogen des Meeres. Er behielt den Kopf immerfort oben. Allerdings hatte er für den Augenblick in Folge seines Processes und der dadurch zwischen ihm und den griechischen Behörden entstandenen Differenzen die Lust verloren, auf hellenischem Grund und Boden, wie er anfänglich beabsichtigte, weitere Ausgrabungen zu veranstalten. Er ging einstweilen nach Italien hinüber, um dort ein ihm zusagendes Arbeitsfeld zu finden. Obwohl er aber auf der Insel Sicilien, wie auch an mehreren Stellen des italienischen Festlandes mit Ausgrabungen begann, fühlte er sich doch nirgends befriedigt und knüpfte schließlich am Ende des Jahres 1875 auf’s Neue und mit günstigem Erfolg Unterhandlungen mit der türkischen Regierung zur Wiederaufnahme der Ausgrabungen auf Hissarlik an. Allein die Intriguen des damaligen Dardanellen-Paschas hinderten ihn vorläufig an der Vollendung seiner Arbeiten. Man hat dies mit gutem Grunde beklagt, denn nichts ist wünschenswerther, als daß die bezüglich Hissarliks angeregten wissenschaftlichen Fragen durch weitere Ausgrabungen zum Abschluß gebracht werden; aber der Klage folgte ein rascher Trost; die Verzögerung gab Veranlassung zu den reichen Entdeckungen von Mykene. Dem Manne ist in der That ein merkwürdiges Glück beschieden: kaum stößt er den Spaten in die Erde, so öffnet sie ihm auch sofort ihre mehr als tausendjährigen Geheimnisse! Eine ausführliche Beschreibung aller jener Funde in Troja und Mykene an dieser Stelle zu geben, würde zu weit führen. Es mögen hier darum nur wenige Andeutungen genügen.

Die Funde der oberen Schichten des Hügels Hissarlik, unter diesen einige sehr werthvolle Inschriften und Marmorbildwerke, stammen von jener jüngeren Stadt her, die zur Zeit des Lyderkönigs Kroisos im siebenten Jahrhundert vor Christus von einer äolischen Colonie gegründet und mit dem alten Namen Ilion benannt worden ist. Diese Niederlassung hat, wie sich mit Sicherheit nachweisen läßt, bis in’s fünfte Jahrhundert nach Christo, vielleicht noch länger bestanden. Erst im Mittelalter – wann und wie, ist nicht aufgeklärt – muß sie zerstört worden sein. Aber erst unter diesen oberen Schichten beginnt die eigentliche Schliemann’sche Welt. Hier liegt eine – vielleicht sogar mehr als eine, was noch genauer zu ermitteln ist – mit trefflich gepflasterten Straßen, mit Mauern und Thürmen versehene uralte Niederlassung in der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_714.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)