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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und gethan haben. Sein liebster Gedanke ist es vielmehr, die Sammlung einst auf griechischem Boden lassen zu können, mit dessen Cultur- und Kunstgeschichte sie ja doch für alle Zeiten verknüpft ist. Die Klugheit jedoch gebietet ihm, seine Schätze nicht allzu früh aus der Hand zu geben, dieselben vielmehr einstweilen noch zur Förderung weiterer Zwecke und Ziele an sich zu halten. Auch könnte er wohl früher, als ihm dies lieb sein möchte, die schon von Alters her im Sprüchwort umgehende griechische Undankbarkeit erfahren.

Erwägen wir diese Thatsachen, und berücksichtigen wir ferner, daß Schliemann Alles, was er uns als Alterthumsforscher geleistet hat, in dem Alter von vierzig und fünfzig Jahren zu Stande gebracht hat, so werden wir uns nicht darüber wundern, wenn wir ihn schon in seinen Knabenjahren von dem Drange bestimmt sehen, der seinem späteren Mannesleben den Inhalt gegeben hat. In der That: während der gewöhnlichen Erfahrung zufolge die Menschen bei zunehmendem Alter auf ihre Jugendphantasien wie auf einen gänzlich verlassenen Standpunkt herabsehen, erleben wir bei Schliemann das gerade Gegentheil. Mit ungeminderter Wärme und Begeisterung hält er die ersten Neigungen seiner Seele bis zum gegenwärtigen Augenblicke fest.

Dasselbe Gutsdorf, in dessen altem Schlosse einst Johann Heinrich Voß die Leiden eines Hauslehrers zu ertragen hatte, sah unsern Schliemann ein halbes Jahrhundert später seine Kinderjahre im Pfarrhause verleben. Es war in Ankershagen bei dem Städtchen Penzlin, nahe an der Grenze von Mecklenburg-Strelitz. Der Aufenthalt in diesem Dorfe sollte für den Knaben zu einem Verhängniß werden, das seinem ganzen Dasein die Richtung gab. Als guter Mecklenburger fühlte sich nämlich der Vater geehrt, an demselben Orte Pfarrer zu sein, wo sein berühmter Landsmann Voß, der meisterhafte Uebersetzer des Homer, einst sein Kommen und Gehen gehabt hatte. So geschah es, daß er sich für den Homer stärker interessirte, als es sonst wohl der Fall gewesen sein würde, und darum machte er auch schon früh seine Kinder, und vor Allem seinen Sohn Heinrich, mit den troischen Sagen bekannt. Auch las er denselben zuweilen einzelne Stellen aus der „Odyssee“ und „Ilias“ vor. Das zündete in der Seele des Knaben, nur mochte dieser durchaus nichts davon hören, daß die großen Mauern der alten Stadt verschwunden sein sollten. Vielmehr pflegte er schon damals die Meinung zu äußern, die Mauern könnten wohl verschüttet, aber unmöglich ganz vom Erdboden vertilgt sein, ja er verstieg sich bereits zu dem Wunsche, daß sie durch ihn noch einmal wieder an’s Tageslicht gebracht werden möchten. Es steckte also schon früh die Idee eines Schatzgräbers in seinem unruhigen Kopfe. Uebrigens trug auch die nähere landschaftliche Umgebung wesentlich zu solchen und ähnlichen Phantasien bei. Schon frühe regten ihn die alten Thurmruinen im herrschaftlichen Schloßgarten, die steinernen Wendeltreppen, die langen Corridore und Gewölbe des Schlosses selber zur Versenkung in die geheimnißvolle Vergangenheit an. Aus einem benachbarten Hügel hätte er gern die goldene Wiege und auf dem Teiche hinter dem Pfarrgarten die silberne Schale geholt, welche die Sage darin verborgen sein ließ. Auch das große Grab eines bösen Schloßherrn längsvergangener Zeit auf dem Dorfkirchhofe beschäftigte seine Einbildungskraft.

Heinrich Schliemann.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Aber durch das Glück der Kinderzeit zog die rauhe Wirklichkeit ihre herben Striche. Früh starb ihm die Mutter. Außerdem änderten sich die häuslichen Verhältnisse in so ungünstiger Weise für ihn, daß er nur bis zum vierzehnten Lebensjahre auf der Schule bleiben konnte, und zwar auf keiner andern als auf der Realschule der benachbarten kleinen Residenz Strelitz. Hier aber vermochte er, zumal in damaligen Zeiten, nicht diejenige Nahrung zu finden, die ihm gut gethan hätte. So erduldete er es denn ohne Widerrede, daß er, vierzehn Jahre alt, nach seiner Confirmation in die Kaufmannslehre geschickt wurde. Fünf und ein halbes Jahr diente er in dem Kramladen einer benachbarten kleinen Stadt.

Allein eine Brustverletzung, die er sich beim Aufheben eines schweren Fasses zuzog, bestimmte ihn, die Laufbahn des Kaufmanns aufzugeben. Trieb ihn doch ohnehin ein unwiderstehlicher Drang in die ungewisse Ferne. Er ging nach Hamburg und wurde Schiffsjunge. Aber das erste Schiff, auf dem er ausfuhr, strandete am 12. December 1841 an der holländischen Insel Texel, und die Mannschaft rettete nichts als das nackte Leben. Der neunzehnjährige Schliemannn, von guten Leuten mit einem Almosen versehen, ging nach Amsterdam, fand hier nach mancher Noth und herber Erfahrung endlich eine Bureaudienerstelle, und das Glück wollte es, daß er allmählich in die Höhe kam und zuletzt im Hause B. H. Schröder und Comp. die Stelle eines Buchführers bekleidete. Zugleich gewann er die lang ersehnte Gelegenheit zu praktischen Sprachstudien. Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, zuletzt auch Russisch – eines kam nach dem andern an die Reihe. Wie er uns selber (in der Vorrede zu seinem Buche „Ithaka, der Peloponnes und Troja.“ Leipzig, 1869, bei Giesecke) erzählt, bestand seine Methode darin, viel mit lauter Stimme zu lesen, jeden Tag eine Stunde zu nehmen, nicht Uebersetzungen nach irgend einer Vorlage zu machen, wohl aber, sobald er dazu im Stande war, eigene kleine Ausarbeitungen über Dies und Jenes niederzuschreiben, letztere unter Aufsicht eines Lehrers zu verbessern und in der nächsten Lection mündlich frei herzusagen, was er in der vorhergehenden gelernt hatte. Diesen Uebungen, besonders dem lauten Lesen und Sprechen, lag er mit solchem Eifer ob, daß er wegen Störung der Stubennachbarn zweimal die Wohnung wechseln mußte.

Nachdem er es endlich in der russischen Sprache bis zu einer gewissen Fertigkeit gebracht hatte, sandten ihn seine Vorgesetzten – es war im Jahre 1846 – als Stellvertreter ihres Hauses nach Petersburg. Aber schon nach einem Jahre hatten sich hier seine Handelsbeziehungen der Art gestaltet, daß er die Gründung eines eigenen Geschäfts unternehmen konnte. Und nun begann für ihn eine Zeit der erfolgreichsten Geschäftsunternehmungen. Indigo, Salpeter, Blei, Blauholz und Baumwolle waren die Handelsgegenstände, mit denen er besonders während des Krimkrieges und nachher während des amerikanischen Bürgerkrieges seinen Reichthum begründete. Freilich aber gehörte er auch nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 713. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_713.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)