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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


– – Lieschen, Kind,“ flüsterte sie ängstlich, „gelt, Du thust es fühlen, daß ich es gut meine?“

Lieschen nickte: „Ja, ich weiß; daß Du es gut meinst, Muhme, aber – –.“ Sie schwieg; es war ihr so weh zu Muthe, so weh wie noch nie im Leben. – –

Drunten in der Wohnstube saßen sie auch noch und schwatzten mit einander von alten Zeiten, von der schönen Lisett und dem Baron Fritz, und nun stand die kleine Frau Pastorin auf, setzte sich an’s Clavier und sang mit ihrer innigen Stimme ein kleines Lied:

Auf ihrem Grab, da steht eine Linde;
Drin pfeifen die Vögel und Abendwinde,
Und drunten sitzt auf dem grünen Platz
Der Müllerbursch mit seinem Schatz.

Die Winde, die wehen so kalt und so schaurig;
Die Vögel, die singen so süß und so traurig,
Die schwatzenden Buhlen, die werden stumm,
Sie weinen und wissen selbst nicht warum.

„Wo ist denn unser Lieschen?“ fragte sie dann, „sie muß doch auch einmal singen.“

Und Lieschen saß noch immer oben neben der Muhme, und als sie den Gesang von dort unten hörte, da weinte sie auch, – und wußte selbst nicht warum. Es war, als sinke ein Nebel vor ihren Augen herab, die goldne Jugendzeit verhüllend mit all den fröhlichen Spielen, mit Sonnenschein und Blüthenschnee, und zwei lachende Kindergesichter verschwanden immer mehr und mehr, und der Nebel ward dichter und dichter und baute sich auf zu einer hohen Wand, und davor stand die stolze schöne Schloßherrin aus dem Ahnensaal dort oben, mit den wunderbar schwarzen Augen und dem blauen Sammetkleide, und sie streckte ihr wie abwehrend die Hände entgegen: „Was willst Du hier? Hier ist’s gefeit, und Du gehörst nicht zu Uns. Du bist Lumpenmüllers Lieschen, kehre um, sonst wird’s Dein Tod. Denk an Lisett, die schöne Lisett und – –.“ Da sprang sie hastig auf und flüchtete aus dem kleinen Stübchen in ihr Zimmer, und da warf sie sich auf’s Bett und weinte im heißen Schmerz um ein Etwas, das sie selbst noch kaum recht erfaßt, recht begriffen, und das nun mit seinem Schwinden ihr das Leben so leer, so traurig erscheinen ließ.

Die Muhme aber stand an ihrer Thür und horchte auf das bange Schluchzen da drinnen. „Herr Gott,“ sagte sie leise, „ich hatt’ schon richtig gesehen; sie ist ihm gut, dem Army, wär’s doch noch zur rechten Zeit gekommen, daß ich sie gewarnt; es ist besser jetzt geweint, als dann. Du armes Ding, ja – so eine erste Lieb’, sie ist ja gar zu süß –.“

Und drunten, da gingen eben die Gäste fort, und die Muhme hörte deutlich die Worte die zum „Gute Nacht!“ gesprochen wurden. „Ja, ja, Bernhard, so ist das Leben,“ sagte der Herr Pastor im Anschluß an ein vorhergegangenes Gespräch, „’s hat Leid und Freud, – na, wenn wir hier erst einmal als alte Leute sitzen und uns etwas erzählen von ferner Zeit, da ist’s hoffentlich nicht so traurig wie die Geschichte heut’ Abend, und wir können dann zu den Enkeln sagen: Guckt, Kinder, uns ist’s besser ergangen, als wir es verdient haben; na Bernhard, ich seh’ Dich wirklich schon als Großpapa, und das Lieschen neben so einem netten Mann hier aus der Mühle; ’s kommt Alles, wie der heutige Tag. Nun, Gott behüt’ Euch, auf Wiedersehn zu Pfingsten, den zweiten Festtag, – den dritten kommt Ihr dann zu uns, nicht Rosina?“

„Gute Nacht, gute Nacht! Grüßt das Lieschen und die Muhme!“

Und es wurde still im Hause, nur in Lieschen’s Stübchen verstummte das bange Schluchzen noch nicht, und erst spät stieg die alte Frau die Treppe hinunter und ging in ihr kleines Zimmer. „Jetzt schläft sie,“ murmelte sie. „Gott schenk’ ihr ein fröhliches Erwachen und Lebenslust, und dereinst viel Lieb’ und Segen! Sie ist ja noch so jung, so jung, und das Leben ist so schwer und lang, ja für die Meisten – die Allermeisten.“

(Fortsetzung folgt.)





Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
Eine culturhistorische Studie von Fr. Helbig.

5. Erziehung und Unterricht.

Sobald das Kind die Wände beschrieen hatte, wie der Ausdruck der deutschen Rechtssprache lautet, war es damit auch rechtlich in’s Dasein getreten. Der Vater nahm es auf die Arme, begoß es mit Wasser und gab ihm einen Namen. In vornehmen Kreisen wurden zu diesem Acte Zeugen herangezogen, und es war wohl statt des Vaters der Vornehmste in der Familie, der diese Namengebung verrichtete und sie mit einem Geschenke begleitete. So fand das einziehende Christenthum die Taufe in ihrer äußerlichen Form bereits vor. Es brauchte dieselbe nur der profanen Hand des Laien zu entziehen und ihr die geistliche Folie zu leihen.

Das fröhliche Ereigniß des Hauses versammelte die Frauen der Sippe und Nachbarschaft zu „Kindbetthöfen“, das heißt zu Gastereien, bei denen neben dem schmeckenden Gaumen auch der geschwätzigen Zunge ihr volles Recht verblieb.

Frei und lose, in Thierfelle oder linnene Tücher gewickelt, lag der kleine Germane auf dem Teppich des Estrichs, bis ihn in späterer Zeit, fest und gut geschnürt, die schaukelnde Wiege aufnahm, wie Bilder des vierzehnten Jahrhunderts uns vor Augen stellen. Schon Tacitus erzählt uns, wie es der Stolz der deutschen Mutter gewesen sei, ihr Kind selbst zu stillen. Der Brauch erhielt sich auch lange („Parcival“ II, 16). Im fünfzehnten Jahrhundert aber war in vornehmen Kreisen das Halten von Ammen schon zur Regel geworden. Die übergeschäftige Liebe der weiblichen Umgebung, das Zumarktetragen der Weisheit von Muhmen und Basen fehlte dem Kinde schon damals nicht. Davon liefert der wandernde Sittenprediger Bruder Berthold von Regensburg (dreizehntes Jahrhundert) in seinen uns theilweise noch überlieferten Predigten eine ergötzliche Schilderung: „Da macht ihm, dem Kinde.,“ sagt er, „seine Schwester ein Müslein und streicht es ihm ein. So ist sein Magen klein und schier voll geworden. Da kommt dann die Muhme, die thut ihm dasselbe. So kommt dann die Amme und spricht: ‚O weh, mein Kind. Du aßest heute noch nichts.‘ Und sie streicht ihm ein, wie die erste und zweite, daß das Kind greint und zabbelt.“

Auch der spielende Verkehr mit Puppen („Docken“), welche römische Kinder schon kannten, war dem deutschen Kinde bereits früh vertraut. Urkundlich verbrieft ist derselbe im neunten und zehnten Jahrhundert. Selbst die größten Meister der Dichtkunst verschmähen es nicht, die Freude zu verherrlichen, welche die Kinder über diese stummen Miniaturbilder des wirklichen Menschen empfanden, denen ihre kindliche Phantasie Bewegung und Leben verlieh. Naiv rührend ist die Klage der kleinen Burggrafentochter in Wolfram’s „Parcival“, welche dem einkehrenden Gaste, der sich scherzend zu ihrem Ritter erklärt, Gaben verehren möchte, und doch nichts weiter besitzt als ihre Docken, die, wenn er sie nähme, sie gern würde geben, ob sie auch viel schöner sind, als die der Nachbarskinder.

Im Germanischen Museum in Nürnberg befindet sich eine Anzahl kleiner, kaum einen Daumen langer Figuren aus weißem Thon, die bei Umlegung des Nürnberger Straßenpflasters gefunden wurden. Sie stellen Frauengestalten in der Tracht des vierzehnten Jahrhunderts dar. Es sind Kinderpuppen, bei denen die in dem Brusttheile der Figuren befindliche Vertiefung zur Einlegung des Pathenpfennigs diente; daneben stellen einige der Figuren auch Reiter, Wickelkinder, Heiligenbildchen dar. Ferner finden wir ein zinnenes Schwert, eine bewegliche Ente, irdene Näpfchen und Tellerchen. Bleisoldaten gehören einer späteren Zeit an. Auch Puppenhäuser, Puppenstuben, Kaufläden und Küchen bescheerte man im Mittelalter schon den Kindern. Das genannte Museum hat eine Anzahl davon, welche durch die Reichhaltigkeit der Ausstattung fast frappiren. Eins davon scheint nach der Art der Ausrüstung noch in das späte Mittelalter zu fallen, wenn auch die anderen mehr der Rococozeit angehören. Die Puppen sind aus Wachs geformt und vollständig bekleidet;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_710.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2019)