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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

ergriff die dargebotene Hand und sagte das Erscheinen Deutschlands auf dem Marsfelde zu. Aber es war zu spät, um die deutschen Gewerbetreibenden zur nachträglichen Betheiligung aufzufordern. So faßte denn Fürst Bismarck einen praktischen, glücklichen Gedanken. Er stellte den Franzosen die Ausstellung der deutschen Kunst in Aussicht, und was er zugesagt, das pflegt er auch zu halten.

Ganz leicht wurde ihm diesmal die Sache nicht. Der Kaiser ging schnell und gern auf den Vorschlag ein, dessen Ausführung die Friedensliebe und das gute Einvernehmen mit dem früheren Feinde bezeugte. Aber die Künstler? Leicht wäre es gewesen, mit dem, was allein Berlin besitzt, den zugewiesenen Raum glänzend zu füllen. Es sollte jedoch nicht die Berliner, sondern die gesammte deutsche Kunst in Paris vertreten sein. Deshalb galt es, die großen deutschen Kunststätten, vor allen München, Düsseldorf, Weimar zu gewinnen. Dazu brauchte man einen zweiten Bismarck, der mit Eifer, Geschick, Thatkraft, unterstützt durch einen Namen von bestem Klange in der Künstlerwelt, die Ausführung leitete, sich durch keine Schwierigkeiten und Hindernisse zurückschrecken ließ. Ein solcher wurde in Anton von Werner, dem jugendlich-genialen Director der Berliner Akademie, gefunden. Es gehörte das Talent eines Feldherrn und das eines Diplomaten dazu, die Aufgabe so meisterhaft, wie es geschehen, zu vollbringen. Nur wenige Wochen vor Eröffnung der Ausstellung wurde die Theilnahme des deutschen Reichs beschlossen. Nur einen kleinen Saal konnte man in dem bereits überfüllten Bau des Marsfeldes unserer Kunst zur Verfügung stellen. Und aus ganz Deutschland sollte in dieser kurzen Zeit, in diesem beschränkten Raume das Beste gesammelt werden, damit wir würdig, der Bedeutung unseres künstlerischen Vermögens angemessen, in Paris auftreten konnten. Dies die eine Seite der Aufgabe. Dann aber galt es mancherlei Bedenken und Vorurtheile zu beseitigen. Der Entschluß war so plötzlich gekommen, daß man in München und Düsseldorf sich nur schwer an den Gedanken seiner Ausführung gewöhnen konnte. Zuerst glaubte man von Berlin überrumpelt worden zu sein und wollte jede Mitwirkung ablehnen. Dann verursachte die Auswahl unglaubliche Schwierigkeiten. Kein Maler von Bedeutung durfte übergangen werden, nicht jedes Bild von jedem derselben aber eignete sich für unsere Ausstellung: denn der beschränkte Raum gebot zunächst die Ausschließung aller gar zu großen Gemälde; schickliche Rücksicht gebot ferner, keins der Kunstwerke nach Paris zu senden, welche die letzten Ruhmesthaten unseres Volkes und des Heeres verherrlichten. Sogar die Bildnisse unserer berühmten Staatsmänner, Feldherren und der Mitglieder der Herrscherfamilien sollten unseren Saal in Paris nicht schmücken dürfen.

Werner ging mit gutem Muthe, mit fester Zuversicht und mit bewundernswerthem Geschick an’s Werk. Er umgab sich mit einem vortrefflichen Generalstabe, in dem auch die andern deutschen Kunstgenossenschaften vertreten waren, und bald hatte er alle Schwierigkeiten überwunden. Er erfaßte seine Aufgabe höher, als sie ihm ertheilt worden war: Er wollte nicht nur den deutschen Saal in Paris mit guten deutschen Kunstwerken füllen, sondern trachtete darnach, durch die Gesammtheit dieser Kunstwerke die deutsche Kunst in ihrer nationalen Eigenartigkeit der Welt zu zeigen.

Als der Kaiser die Theilnahme der deutschen Kunst auf des Grafen St. Ballier Ersuchen und des Fürsten Bismarck lebhafte Befürwortung gestattet hatte, mußte zunächst für einen entsprechenden Raum gesorgt werden. Die beiden Säle, welche man den französischen Staatswerkstätten angewiesen hatte, der Porcellanfabrik von Sèvres, der Bildteppichweberei von Gobelin, wurden vereint den Deutschen eingeräumt.

Alle Eingänge des Raumes waren mit Zäunen vernagelt, selbst die schmalen Thüren verbargen sich hinter Vorhängen. Niemand vermochte einen Blick zu werfen auf das Schaffen der Deutschen. Unsere Arbeiter, die alle Mundarten der deutschen Gaue redeten, waren sehr gewissenhaft und ließen selbst den neugierigen Landsmann nicht ein. Zum Ueberfluß hatten die Franzosen noch einige uniformirte Schutzleute vor die Eingänge gestellt. Länger als zwei Wochen nach der Eröffnung blieb der deutsche Saal verschlossen. Die Neugier der Ausstellungsgäste, besonders der Franzosen, stieg. Wir Deutschen sahen nicht ohne Besorgniß dem Tage entgegen, an dem unsere vaterländische Kunst auf dem Kampfplatze erscheinen würde, zu einem Wettstreite, für den alle Völker, zumeist natürlich das französische, seit Jahren gerüstet hatten. Und wenn man die Fülle, den Werth, die durchschnittliche Vortrefflichkeit der Leistungen, die alle Kunstgallerien der europäischen Länder enthielten, vorurtheilslos betrachtete, so schien diese Besorgniß nicht unberechtigt. Die meisten waren zeitig genug mit ihren Ausstellungen fertig geworden. Nur Belgien, Rußland und die Säle der französischen Bildhauerei blieben noch verschlossen gleich dem unsrigen. Zu sehen gab es also genug.

In der Mitte des Maimonats, an einem Sonnabend, gegen drei Uhr Nachmittags, wurde die Ausstellung der deutschen Kunst mit besonderer Feierlichkeit eröffnet. Anton von Werner und Genossen hatten in der kurzen Zeit Staunenswerthes geleistet, dank besonders der rastlosen Energie des ersteren, welcher überall getrieben, im letzten Moment sogar persönlich Hand angelegt hatte, um das glücklich begonnene Werk rechtzeitig zu vollenden. Es wohnten der deutsche Botschafter, Fürst Hohenlohe, die Vertreter der französischen Ausstellungs-Direction und zahlreiche Mitglieder der deutschen Gemeinde in Paris der Eröffnung bei. Werner, umgeben von den deutschen Künstlern, die ihn unterstützt hatten, wandte sich an den Botschafter in deutscher Rede. Der Auftrag, der ihm geworden, sei heute erledigt, so gut es in der kurzen Zeit möglich gewesen; er übergebe hiermit das kleine Stück Deutschland auf dem Marsfelde dem Vertreter des Kaisers und des Reiches. Der Fürst stellte den deutschen Saal unter den Schutz der französischen Ausstellungsbehörde; diese dankte durch ihren Commissar, Herr Berger, für das Erscheinen unseres Vaterlandes auf dem Marsfelde, und die deutsche Ausstellung war eröffnet.

Aller Zweifel, alle patriotische Sorge war auf den ersten Blick gehoben. In der gesammten Anordnung, in der Auswahl und in der Zusammenstellung der Kunstwerke, durch die Gesammtheit dieser Ausstellung hat Werner bewiesen, daß er ein großer Künstler ist. Man empfindet sofort das Allgemeine des Eindrucks, die vornehme Ruhe, die wohlthuende Behaglichleit, den künstlerischen Athem, den das Ganze ausströmt, ehe man noch daran denkt, sich nach Einzelheiten umzusehen. Man fühlt sich nicht in einer Ausstellung, sondern könnte sich eher in einem Saale wähnen, den ein vermögender und geschmackvoller Kunstfreund, ein Kunstfreund mit warmem Herzen und tiefem Gemüth, ausgestattet hat mit seinen Lieblingen. Da drängt und drückt kein übermäßig großes Gemälde auf uns ein und stellt alle bescheideneren Nachbarn in Schatten, da sehen wir nicht jeden Zollbreit Wandfläche ausgenutzt, da schädigt der eine Künstler den anderen nicht; jeder findet bequem Platz. Man hätte gewiß noch ein Dutzend Bilder mehr aufhängen, den knappen Raum also gründlicher ausbeuten können. Daß man dies nicht gethan, das verdient ganz besondere Anerkennung, denn dadurch wird der vornehme heitere Eindruck des Ganzen entschieden begünstigt.

Der deutsche Saal ist etwas länger als breit, erhält sein Licht von oben und hat in der Mitte der beiden schmäleren Wände je eine Pforte. Man hat sich in der baulichen Gestaltung und in der inneren Einrichtung an Vorbilder aus jener Zeit vor etwa 300 Jahren gehalten, als in Deutschland Kunst und Kunstgewerbe in höchster Blüthe standen, auf der die Meisterwerke der Kunsttischlerei, der Teppichweberei, des Hausrathes stammen, die wir noch heute bewundern. Die beiden Pforten sind, nach einem Entwurfe des Münchener Bildhauers Hedon, eingerahmt von Säulen, Gesimsen und Krönungen von schwarzem Holze, das man an den unteren Theilen der Säulenschafte mit rothbraunem Sammt überkleidet hat. Ein feines Spiel von nachgeahmten Elfenbeineinlagen belebt die etwas ernsten, schwarzen Säulenpforten freundlich. Ueber denselben steht als Schild der deutsche Reichsadler auf goldenem Felde, und „Deutsches Reich“ leuchtet in lebhafter Schrift von der Höhe des Portals an die Weite. Ein schwerer, alter Teppich, ein Kunstwerk aus jener Zeit der kunstgewerblichen Blüthe, hängt vor den hohen Eingangsthore und wird nur so weit aufgezogen, daß man bequem darunter hinweggehen kann. Drinnen umläuft ein Gesims die Wände und grenzt etwa drei Viertel ihrer Höhe ab. Dort, auf einer braunvioletten matten Tapete mit breiten Atlasstreifen, sind die Gemälde aufgehängt, so daß das Auge jedes bequem erreichen und betrachten kann. Dieser untere, von dem breiten Leistengesimse abgeschlossene Theil der Wände ist allein benutzt worden; nur wenige größere Gemälde, die auch aus weiterer Ferne gesehen werden können, ja

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_694.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)