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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


stellte Forderungen an ihn, die ihn fast erschreckten, diese öde, unglückselige Wirklichkeit. Woher die Mittel nehmen, um dem schönen Gast die traurige Dürftigkeit im Schlosse Derenberg mit etwas Glanz und Schimmer zu verhüllen? Das Geld, o, das böse Geld!

Er blickte träumend in den Park hinaus. Der Nachtwind hatte sich aufgemacht und bewegte flüsternd die Bäume. „Es ist Schlafenszeit,“ sagte der junge Schwärmer. Leisen Fußes verließ er den Ahnensaal und suchte sein Lager auf. Im Traume erschien ihm die schöne Agnese Mechthilde; sie stand vor ihm in der silbernen Brocatrobe und darüber flog es wie ein goldener Schleier; sie sah ihn an mit ihren großen traurigen Augen und hob warnend die Hand: „Darum nimb war, wasz für Haar! Ist solches roth, hatz groß Gefahr,“ tönte es in sein Ohr.




5.

„Army, wie ich mich freue, auch einmal einen Gast haben zu dürfen,“ sagte am andern Morgen Nelly zu dem Bruder, als er an ihrer Seite durch den thaufrischen grünen Park schritt. „Was wird nur Lieschen sagen? Ich muß es ihr erzählen. Sag’ einmal, Army,“ bat sie dann schmeichelnd und schmiegte sich an ihn, „wie gefällt Dir denn eigentlich Lieschen? Ist sie nicht wunderhübsch geworden?“

„Ich weiß wirklich nicht,“ erwiderte er wie zerstreut, „ich habe gar nicht darauf geachtet; ja, ich glaube wohl, ich erinnere mich kaum mehr –“

„Aber, Army!“ kam es aus dem Munde der Schwester. „Du bist zerstreut, oder gar traurig – ist Dir etwas Unangenehmes begegnet? Kann ich Dir etwa helfen?“

„Nein, Schwesterchen,“ lachte er und strich scherzend mit der Hand über ihr blühendes Gesicht, „Du kannst mir am allerwenigsten helfen; es ist eine fatale Geschichte, ich – fürchte mich, es Mama zu sagen, aber ich kann nicht anders.“

„Ach, sag’ es nicht der Mama, Army,“ bat das junge Mädchen stehen bleibend. Sie legte die kleine Hand auf seine Schulter, und ihre Blicke hingen angstvoll an dem Gesichte des Bruders. „Bitte, nicht! Sie ist so angegriffen und weint so viel, ach bitte, sag’ es nicht, wenn es etwas Unangenehmes ist –“

In den Zügen Army’s lag eine leichte Verlegenheit.

„Ja, mein Gott,“ sagte er, „was soll ich nur thun? An Großmama kann ich mich nicht wenden; es würde vergeblich sein, da sie wirklich nicht im Stande ist, mir –“

„Army!“ flüsterte das Mädchen, den Gegenstand seiner Verlegenheit errathend, und trat näher zu ihm, „ich glaube, ich kann Dir helfen, wart’ einen einzigen Augenblick, oder nein, geh’ weiter bis unter den großen Ahorn am Deiche! Ich bin gleich wieder da.“ Und eilig lief sie den schattigen Weg zurück, die Sonnenstrahlen huschten über ihr helles einfaches Kleidchen und leuchteten über die blonden Locken; bald war sie um die nächste Biegung des Weges verschwunden.

Der junge Mann schaute ihr nach und ging dann weiter. Was wollte sie nur? Sie konnte doch unmöglich wissen – – Er saß dann auf der Steinbank und sah über das klare Wasser hin, in dem sich der blaue Himmel und die hohen Bäume so anmuthig spiegelten. „Wie schön ist es hier!“ sagte er halblaut, „wenn sie nur ein wenig Sinn für Naturschönheit hat, so muß es ihr gefallen.“

Da klangen leichte Schritte hinter ihm, und sich umwendend blickte er in das vor Freude geröthete Gesicht seiner Schwester.

„Da, Army!“ sagte sie, noch röther werdend, und legte ihm ein zierliches seidenes Beutelchen in die Hand. „Ich gebrauche es wirklich nicht, nein, ganz wahrhaftig nicht, wozu auch? Und nun sagst Du der Mama nichts, nicht wahr?“ Die Freude, etwas geben zu können, leuchtete dem lieblichen Mädchen reizend aus den blauen Augen. „Guter, lieber Army!“ bat sie, „ganz geschwind steck’ es ein! Es wird gewiß reichen.“

„Nein, Nelly, nein!“ rief er dunkelroth, „Dein Gespartes –“

Sie hielt ihm die Hand auf den Mund. „Du machst mich bös, Army,“ sagte sie, „wenn sich Bruder und Schwester nicht einmal aushelfen sollen –! Wer weiß, ich komme auch einmal zu Dir! Nun laß uns weiter gehen, sprich nicht mehr davon! Sieh’, was meinst Du, wenn wir hier einen Kahn hätten? Ich habe es mir schon lange gewünscht. Dann könnten wir mit Blanka rudern, und Lieschen – nicht wahr, Blanka wird nicht stolz sein?“

Er antwortete nicht; er kam sich in diesem Augenblicke ganz erbärmlich vor. Hastig wandte er das Gesicht ab.

Die Schwester bemerkte es. „Army,“ sagte sie, „komm bald nach! Ich muß jetzt noch schnell zu Mama, und –“ es fiel ihr nichts ein, was sie bei Mama sollte – „ich habe es eilig,“ rief sie noch zurück und schlug den nächsten Weg zum Schlosse ein.

Er folgte ihr langsam in nie gekannter Beschämung. Er hatte ihr gestern nicht einmal eine Kleinigkeit zum Geburtstage geschenkt, und heute gab sie ihm glückselig ihre ersparten Schätze. Er blieb stehen und öffnete die kleine seidene Börse; ein paar einzelne Thaler lagen darin, und dann noch etwas in Papier gewickelt; er schlug es aus einander und fand ein Goldstück, auch ein paar geschriebene Worte von der Hand seiner Mutter auf dem Papiere: „Zu einem neuen Kleide für meine Nelly,“ las er. Das junge Mädchen hatte offenbar die Worte noch gar nicht bemerkt, sonst würde sie ihm die Beschämung erspart haben; er dachte an das verwaschene Kleid, das sie gestern und heute getragen, und wie sie sich wohl gefreut haben mochte auf ein neues. Ein neues Kleid für fünf Thaler! So viel gerade hatte der Strauß gekostet, den er neulich an Blanka geschickt und den sie vielleicht am Morgen nach der Ballnacht achtlos bei Seite geworfen; er dachte an die zierliche Gestalt, die er nie anders als von schweren Seidenstoffen oder duftigen Kreppwogen umrauscht gesehen hatte – welche Gegensätze bietet doch das Leben! Dort lag das Schloß vor ihm, so imposant mit seiner riesigen Façade, seinen Thürmen, und der Sohn dieses stolzen Hauses besaß nicht so viel, um – nein, es war zum Verzweifeln.

Er wandte sich hastig und schritt zurück; sein Blick schweifte unwillkürlich über den waldigen Grund und blieb an dem spitzen Schieferdache der Papiermühle hängen; er lachte plötzlich laut auf: „Ja, die haben dafür desto mehr,“ sagte er halblaut; „man muß sich nur mit Lumpen und dergleichen einlassen, dann fließt Einem das Geld in vollen Strömen zu, und das Alles wird die Hand des kleinen Mädchens füllen, mit dem ich einst gespielt; Lumpenmüllers Lieschen ist die reichste Erbin im ganzen Umkreise – wahrhaftig zum Todtlachen, wie das so vertheilt ist im Leben.“ In seinen dunklen Augen stand indessen nichts von Lachen geschrieben; er sah unendlich deprimirt aus, der hübsche junge Officier; das Geld der Schwester brannte ihm wie Feuer in den Händen, während er hastig weiter schritt, die Lippen verächtlich auf einander gepreßt. Der schöne Zukunftstraum war vor der drückenden Gegenwart geflohen, und die Unbehaglichkeit seiner pecuniären Lage hatte ihn mit voller Gewalt ergriffen. Er nahm den kleinen Zettel mit den Worten der Mutter und legte ihn in seine Brieftasche; dann schritt er wieder weiter und erblickte, in den Hauptweg einbiegend, den alten Heinrich, der ihm so rasch, als es seine müden Beine erlaubten, entgegen kam.

„Die Frau Großmama lassen den Herrn Lieutenant bitten, gleich zu ihr zu kommen,“ bestellte er, freundlich in das erregte Gesicht des jungen Mannes sehend. –

(Fortsetzung folgt.)




Die deutsche Kunst auf der Pariser Weltausstellung.

Als Deutschland im vorigen Jahre seine Betheiligung an der Pariser Weltausstellung ablehnte, hatte es dazu seine guten Gründe. In München waren kurz vorher die Erzeugnisse der deutschen Kunstindustrie ausgestellt gewesen, und wesentlich Neues konnte man nicht nach Paris schicken. Außerdem meinte man vielleicht, daß das Unternehmen nachträglich aufgegeben oder auf spätere Zeit würde verschoben werden. Die Pariser Ausstellung kam aber zu Stande, versprach glänzend zu werden. Frankreich bedauerte das Fernbleiben Deutschlands lebhaft, und sein Botschafter in Berlin, Graf von St. Ballier, hat wohl zuerst die Anregung zu einer nachträglichen Betheiligung des deutschen Reiches an dem friedlichen Wettkampfe aller Völker gegeben. Unser Reichskanzler

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_692.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2016)