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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

ihrem Herrn Vater erzählen, wie Schloß Derenberg seine Gäste aufzunehmen vermag.“ Die Alte lachte bitter.

Army schwieg; er beobachtete einen Schmetterling, der um die Glaskuppel der Lampe flatterte.

„Wie sieht sie eigentlich aus, diese Blanka?“ fragte die Großmutter nach einer Pause.

Ueber Army’s Gesicht flog es plötzlich wie Sonnenschein. „Wie soll ich Dir das beschreiben, Großmama? Ich kann Dir nur sagen, Blanka ist eine außergewöhnliche Erscheinung; man ist geblendet, wenn man sie zum ersten Male sieht, und je öfter man sie erblickt, desto mehr Fesselndes entdeckt man an ihr.“

„Das ist ja die Ausdrucksweise eines Verliebten,“ bemerkte die alte Dame kühl; „meines Wissens hat sie nie Anlage zur Schönheit gehabt.“

Army wurde glühend roth unter den kalten Blicken der großen dunklen Augen.

„Sie ist eigentlich nicht schön; sie hat so etwas –“

„Genug!“ unterbrach ihn die Baronin ungeduldig, „sage mir lieber, wie denkt man über das Verhältniß der Tante zu Blanka und was diese zu hoffen hat?“

„Sie gilt für die einzige Erbin der Tante. Von großer Herzlichkeit der Beiden gegen einander habe ich übrigens in den vierzehn Tagen meines Dortseins zum Weihnachtsfest und zum Geburtstage der Tante nichts bemerkt.“

Die Baronin zuckte verächtlich die Schultern.

„Hast Du schon Deiner Mutter von dem zu erwartenden erfreulichen Besuch Mittheilung gemacht?“

„Nein, weder der Mama noch Nelly; sie waren nicht allein – die Kleine aus der Mühle war bei Nelly.“

„Natürlich! Es ist unbegreiflich! Ich habe mir ihre Gegenwart ein für allemal verbeten, aber leider ist sie das A und das O bei Deiner Mutter und Schwester, die in ihr einen Engel von Güte und Schönheit erblicken. – Aber, Army, wo um Alles in der Welt soll diese Blanka wohnen? Woher soll ich die Bedienung nehmen?“

„Ich hatte an die Zimmer neben den Deinen gedacht, Großmama, und das Thurmzimmer zur Wohnstube ausersehen; die Bedienung bringt Blanka mit, eine Kammerjungfer.“

„Das Thurmzimmer? Nimmermehr!“ rief die alte Dame auffahrend; ihr ohnehin bleiches Gesicht hatte in diesem Augenblick etwas beinahe geisterhaft Blasses.

Army blickte sie erschreckt an. „Wie Du willst, Großmama!“

„Mach’ das mit Deiner Mutter ab!“ fügte sie hastig hinzu, „laß die Blanka wohnen, wo sie will! Das Thurmzimmer bleibt verschlossen, so lange ich lebe. – Geh jetzt zur Ruhe! Morgen sprechen wir weiter.“

Army beugte sich auf ihre Hand und ging dann hinaus. Draußen auf dem hallenden Corridor lag der Mondschein, der durch die vielen kleinen Scheiben der hohen Fenster voll auf die weißen Steinfließen fiel.

„Noch immer das alte Lied.“ sagte er leise, „was das nur wieder heißen soll mit dem Thurmstübchen? Und ich hatte mir so reizend ausgemalt, es für Blanka einzurichten –“

„Für Blanka!“ Er stand einen Moment still; seine Gedanken flogen zurück in die große Stadt, zu der eleganten Villa mit den hohen Spiegelscheiben und der blumengeschmückten Veranda; dort oben im zweiten Stock hinter den spitzenduftigen Vorhängen, da lag sie wohl jetzt und schlief. Er trat in sein Zimmer; die Fenster waren geöffnet, und die Zugluft trug ihm einen Strom von Blüthenduft entgegen; er sah in den mondbeglänzten Park hinaus. Es überkam ihn die Erinnerung an einen Winterabend, an dem er hier in demselben Zimmer geweilt, noch unbekannt mit dem Leben, bange vor der Zukunft, und wie ihm dann der alte Spruch dort am Kamin so überraschend Hoffnung und Lebensmuth brachte. „An Gott nit verzag! Glück kombt all Tag“. War das Glück ihm gekommen? Ach nein, das Glück selbst noch nicht, aber seine Strahlen hatten ihn schon getroffen. Im Geiste sah er sich der Tante Stontheim gegenüber, in dem eleganten Zimmer.

Er war damals auf die Einladung der alten Dame zum Weihnachtsfeste in D. eingetroffen, und als er ihr die Hand küßte, die sie ihm zum Willkommen gereicht hatte, da hatte er gar nicht freundlich ausgesehen. Es wurde ihm Thee servirt, und das Gefühl, als müßte es nun unsäglich langweilig werden, legte sich wie ein Alp auf seine Brust. Da waren auf einmal die Thürvorhänge zurückgeschlagen worden, und vor ihm hatte eine Mädchengestalt gestanden, wie hereingeweht in’s Zimmer. Der Kronleuchter, der von der Decke herabhing, warf sein blendendes Licht auf ein Geschöpfchen, das elfenhaft zierlich erschien in dem wie aus Duft gewobenen blaßgrünen Kreppkleide, das sie in durchsichtigen Wogen und Wellen umrauschte. Blendend weiße zarte Schultern tauchten aus diesen Wellen auf, und über der weißen schmalen Stirn flimmerte es goldig und wallte auf den Rücken hernieder in mächtiger Fülle – üppiges rothes wundervolles Haar.

Er war aufgesprungen und hatte sie angestarrt, als sähe er eine Spukgestalt. Die junge Dame warf das prachtvolle Bouquet aus weißen Camelien auf den Tisch, eilte an ihm vorüber und begrüßte die Tante.

„Agnese!“ klang es in ihm, „die schöne Agnese Mechthilde aus dem Ahnensaal zu Hause!“

„Ist es schon so spät?“ fragte die Tante, einen prüfenden Blick über die reizende Gestalt werfend, und dann auf ihn deutend, sagte sie: „Liebe Blanka, Dein Vetter Armand von Derenberg, der für die Feiertage unser Gast sein wird!“

Die junge Dame hatte aus ein Paar dunklen Augen einen raschen Blick auf ihn geworfen; er sah sie noch immer an; er konnte nicht anders; vor ihm stand sie ja, die schöne Agnese Mechthilde, als sei sie eben aus ihrem vergoldeten Rahmen gestiegen. – Ja gewiß, er hatte sich sehr linkisch benommen; das Blut stieg ihm noch jetzt siedend heiß in den Kopf, wenn er daran dachte. Dann hatte er auf der Tante Wunsch über Hals und Kopf Toilette gemacht, saß den Damen in seidegepolstertem Wagen gegenüber und trat in feenhaft erleuchtete Säle; er war mit Blanka im Tanze über spiegelglattes Parquet geflogen, hatte mit ihr geplaudert und ihr erzählt, daß daheim im Schlosse ein Bild im Ahnensaal hänge, das ihr so ähnlich sähe und vor dem er als Knabe stundenlang gestanden in nimmersattem Schauen.

Sie hatte darob gelächelt und gemeint, sie möchte wohl einmal die Probe machen und sich daneben stellen, um zu sehen, ob es nicht viel Einbildung mit der Aehnlichkeit sei. – Freilich, die Augen, die tiefen traurigen Augen, die hatte sie nicht; wohl waren sie auch dunkel, aber dieser unergründliche Schmerz lag nicht darin; wie war das auch möglich? War sie doch so jung, so heiter, so gefeiert! – Er folgte ihr mit den Blicken, wenn sie im Tanz an ihm vorüberschwebte; wie ein goldschimmernder Schleier umwob das aufgelöste Haar ihr blasses Gesichtchen; er konnte sich nicht satt sehen an diesem wundervollen Schmuck; er beneidete jeden Andern, der mit ihr tanzte, und freute sich auf den heiligen Abend, zu dessen Feier er ja eigentlich gekommen war und den man doch gewiß still im Hause verleben würde. Aber gerade da hatte sie ihm am wenigsten gefallen, nicht daß sie weniger reizend ausgesehen – gewiß nicht; der goldene Schleier lag so wundervoll auf dem dunkelblauen Seidenstoff des Kleides; die Kerzen des Weihnachtsbaumes woben schimmernde Funken darein, aber das strahlende Lächeln fehlte, das ein Gesicht erst wahrhaft bezaubernd macht; die holde Weihnachtsfreude vermißte er gänzlich in Blankas schwarzen Augen.

Und dann folgte wieder Fest auf Fest, und endlich mußte er abreisen, wie schwer es ihm auch wurde. Er bat die Tante, bald wiederkommen zu dürfen, und in der Brusttasche der Uniform trug er ein zierliches Juchten-Etui, ein Vielliebchengeschenk der Cousine; das war sein Kleinod geworden, denn darin lag eine lange Strähne rother weicher Frauenhaare. Sie gab ihm das Haar im Scherz, auf seine Bitte, damit er vergleichen könne, welches goldiger sei, das auf dem Bilde im Ahnensaale, oder das ihre.

Army stand noch immer am offenen Fenster des dunklen Zimmers; er zog hastig das Etui hervor und betrachtete im Mondlicht die Locke, die oben und unten zierlich mit einem blauen Bändchen geknüpft war; er preßte sie an seine Lippen, und eine ganze Reihe wonniger Zukunftsbilder zog an seiner Seele vorüber; er sah sich wieder hier in dem Schlosse seiner Väter; sie stand neben ihm in der Sommernacht; er hielt den Arm um sie geschlungen, und sie schmiegte das goldige Köpfchen an seine Brust; draußen im verödeten Sandsteinboden plätscherte wieder nach langer trauriger Zeit ein frischer Wasserstrahl empor, neues fröhliches Leben verkündend.

Wie schön war dieser Zukunftstraum! Aber es war ja nur ein Traum, und die Wirklichkeit? Army schauerte zusammen; sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_691.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2016)