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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Aus meiner Jugend? Aber was denn nur?“

„Ach, Muhme, erzähl’ mir einmal, wie es war, als Du – als Du Deinen Schatz zum ersten Mal gesehen hattest!“ –

„Ei Du – neugierig Ding! Alles zu wissen bist Du noch viel zu jung. Wozu soll ich Dir das erzählen?“

„Ich bin aber siebenzehn Jahr, Muhme, andere Mädchen haben dann längst einen Bräutigam, und –“

„Ei, sieh’ mal an! Du möchtest am Ende gar auch schon Einen haben, – ei, ei, wenn ich das der Mutter erzähle –“

„Das thu’ nur, Muhme!“ rief lachend das junge Mädchen. „Mutter hat mir erst neulich ach! soviel Leinenzeug gezeigt und gesagt: ‚Das ist Alles für Deine Aussteuer, Liesel.‘“

„Na, das muß ich sagen! Aber was wolltest Du wissen?“

„Du sollst mir einmal erzählen, wie es war, als Du Deinen Seligen zum ersten Male gesehen hast?“

Die alte Frau erstaunte, und das Kind vor ihr sah mit den großen feuchtschimmernden Augen erwartungsvoll zu ihr empor. Es war so still rings umher; nur das Brausen des Wassers, das über’s Wehr floß, klang in leisen einförmigen Melodien von draußen herein.

„Drei Lilien, drei Lilien, die pflanzet auf mein Grab!“ sang eine frische Mädchenstimme dort unten im Garten. „Da kam ein fremder Reitersmann und brach sie ab.“

Die Muhme hob den Kopf. „Das ist die Dora; wie sie singen kann, und hat erst heute Schelte bekommen! Lieben und Singen läßt sich nicht zwingen.“

„Ach Reitersmann, ach Reitersmann, laß Du die Lilien stehn! Die soll mein Schatz, mein allerliebster Schatz noch einmal sehn,“ klang es wehmüthig feierlich durch den stillen Abend.

„Das Liedel hab’ ich auch oft gesungen, als ich noch jung war,“ sagte die Muhme und nickte, „hab’ auch dort unten gesessen in der Jasminlaube mit der Lisett und aus Herzenslust gesungen, und sie konnt’s auch so wunderschön, – aber Du wolltest ja wissen“ unterbrach sie sich rasch, „wo ich ihn zum ersten Male gesehen? Guck, da gehe ich einmal an einem Abend, es war so schön wie heute, nur etwas später im Jahr, im Juli ungefähr, den Weg hinunter, der am Park entlang führt, und singe: ‚Er ist kein Kaiser; er ist kein König; er ist Soldat, er ist Soldat.‘ Da kommt aus dem Schatten der Lindenallee ein Mensch herausgetreten und fragt: ‚Na Jungfer, muß es gerad ein Soldat sein?‘ und weil ich so erschrocken war, hab’ ich gar nicht geantwortet und bin rasch weiter geschritten. Er aber hinter mir drein und hat höflich um Verzeihung gebeten, und wie ich ihn mir dann genauer anschaute, da sah ich in ein so gutes liebes Gesicht mit ein paar ehrlichen treuen Augen, daß ich mich gar nicht mehr fürchtete; da sind wir denn langsam zusammen weiter gegangen und er hat mir erzählt, daß er auf dem Schlosse Reitknecht sei bei der jungen Frau Baronin, was jetzt die Großmutter ist von Army und Nelly, die dazumal grad’ hingekommen war, und daß er schon oft nach mir geschaut, wenn er an der Mühle vorbei geritten, denn Du weißt ja, ich hab’ hier gedient bei Deiner Urgroßmutter selig. Und ich hab’ ihm auch erzählt von mir, und daß ich keinen Vater und Muttern mehr hätt’, und dann haben wir uns drüben am Mühlensteg die Hände gereicht und er hat gesagt: „Gute Nacht, Mariechen!“ und dann haben wir nichts mehr gesprochen, sondern sind stumm neben einander gestanden eine ganze Weile, und ich bin fortgelaufen über die Brücke, so rasch ich konnte – –“

„Wie war Dir denn zu Muthe, Muhme?“

„Ja, das weiß ich gar nicht mehr genau, Liesel,“ sagte die alte Frau, „ich weiß nur, daß es mir vorkam, als habe der Mond noch nie so golden auf die alte Mühle geschienen, und als sei der Himmel noch nie so hoch gewesen; ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen und war doch am andern Tage gar nicht müde, und die Worte: ‚Gute Nacht, Mariechen!‘, die schwirrten mir immer durch den Kopf.“

Die Alte sah zu dem jungen Mädchen hinüber, dessen Augen in Thränen schimmerten. „Sag mir nur, Liesel, was ist mit Dir eigentlich?“

„Ach, gar nichts, Muhme!“ erwiderte diese. „Weißt Du, ich gehe noch ein wenig hinaus vor die Thür; Vater und Mutter müssen gleich kommen. Gute Nacht, Muhme!“

„Gute Nacht, Liesel! Behüt’ Dich Gott! Höre aber, Kind, wenn Du morgen früh wieder Spargel stichst, da laß nicht wie heute die Hälfte stehen, sonst muß ich es künftig wieder selbst besorgen, so sauer es mir wird. Gute Nacht!“

Und nun war die alte Frau wieder allein in ihrem Stübchen. Sie schloß das Fenster und ging kopfschüttelnd zur Kommode; sie sah sich ihres Christian’s Bildniß an; die Strahlen des Mondes waren weiter geglitten; sie konnte das kleine Bild nicht recht erkennen, aber sie wußte ja so genau, wie es aussah.

„Ja, so war es,“ flüsterte sie, „dort draußen am Mühlsteg, da fing es an. Lieb’ hat ein gut Gedächtniß[WS 1]; ich weiß es heut’ Abend wieder so genau, als hätten wir gestern dort gestanden. Die Liesel ist schuld daran. Was sie nur eigentlich wollte, das närrische Ding? –“ – –

Lieschen hat sich draußen unter die Linde gesetzt, und der Mühlbach rauscht an ihr vorbei. Ihre Augen sind auf den Weg jenseits des Wassers geheftet, der zum Schlosse führt, und dort drüben hinter den dunklen Wipfeln, dort ragen die stolzen mondbeglänzten Thürme empor in den Nachthimmel, wie sie es schon so oft gesehen, so unzählige Male – wie war ihr nur heut’ so sonderbar zu Muthe?

Das machte ein unverhofftes Wiedersehen. Army war auf einmal in die Laube getreten, in der Nelly und sie gesessen und sich etwas vorgelesen. Ganz unvermuthet stand er da und schloß lachend die Schwester in die Arme, die, vor Freude dunkelroth, gar nicht sprechen konnte, und dann hatte er ganz erstaunt zu ihr hinübergesehen und sie endlich „Fräulein Lieschen“ angeredet. „Fräulein Lieschen“! Wie das klang! Sie mußte lachen und er lachte mit, oder er blieb doch dabei, sie so zu nennen. Er war größer und stattlicher geworden seit jenem Winterabende, wo sie ihn zum letzten Male unter der alten verschneiten Linde sah, und jetzt lag über dem frischen Munde ein keckes Schnurrbärtchen; wie hübsch war er doch! Und nun war der Abend von Nelly’s Geburtstag so rasch vergangen; sie hatten alte Kindererinnerungen aufgefrischt, und er war so lustig, so vergnügt gewesen; das Gesicht seiner Mutter hatte wie verklärt geleuchtet, und dann, als sie fortgehen mußte, da hatte er sie begleitet; sie waren zusammen die alte Lindenallee entlang gegangen und dann den Weg bis zum Mühlsteg, ebenso wie damals die Muhme mit dem Christian; sie hatten von ihrer Kinderzeit geplaudert, und am Mühlensteg war er stehen geblieben. „Gute Nacht, Fräulein Lieschen!“ Sie hatte wieder lachen müssen; „Gute Nacht, Herr Army!“ hatte sie sagen wollen, aber es kam nicht über die Lippen; sie hielt ihm nur unsicher die schlanke Hand hin, die er wie ein alter Bekannter ergriff, und dann wandte er sich ab und ging, und sie bog sich über das Geländer und sah in das Wasser, auf dem der Mondschein in silbernen Streifen zitterte, und hörte die Nachtigall singen in den alten Linden – wie im Traume.

„Ob er wohl diesmal in die Mühle kommen wird?“ fragte sie sich jetzt und sah hinüber zum Schloß. „Ach ja, sicher! Wenn nur Mutter nicht gerade morgen den längst besprochenen Besuch bei der Frau Oberförsterin machen will!“ dachte sie. „Nein, das wäre doch zu schade, und mitgehen müßte ich auf jeden Fall.“

Und so saß sie und träumte unter der alten Linde in der Frühlingsnacht, und der Mond lächelte still hernieder, als wolle er sie nicht stören in diesen seligen Jugendträumen; er weiß es ja, der alte Geselle, daß sie so leicht, so leicht verwehen. – –

Drüben im Schloß schimmerte noch bis spät in die Nacht gelber Lichtschein aus den Fenstern der alten Baronin. Sie saß in ihrer schwarzen Robe in den Sessel zurückgelehnt, und ihre Hände spielten mit dem weißen Tuche auf ihrem Schooße.

„Und Du sagst, Army,“ begann sie forschend zu dem jungen Officier, der ihr gegenüber saß, „Tante Stontheim habe selbst den Wunsch geäußert, daß Blanka uns hier besuchen soll?“

„Nein, liebste Großmama, das wäre zu viel gesagt,“ erwiderte dieser; „Tante Stontheim ist eine eigenthümliche Frau, einen Wunsch äußert sie eigentlich nie; sie sprach davon, daß die Fatiguen des Winters Blanka angegriffen haben, und richtete die Frage an mich, ob die Luft unserer Wälder gut sei, worauf ich natürlich, den Wink verstehend, sofort unsere Gastfreundschaft anbot.“

„Sehr übereilt, mein lieber Army! Ich muß gestehen, eine junge verwöhnte Dame hier in diesem öden einsamen Schlosse einigermaßen zu unterhalten, das dünkt mich eine schwierige Aufgabe. Es ist tactlos von der Stontheim, Dein Anerbieten anzunehmen, und noch dazu für diese Blanka. Sie kann nachher

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gedächniß
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_690.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2022)