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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

leichten Schritten vor uns her; seine Ferse hob sich mit Anmuth, und die ganze kräftige Gestalt war stramm und geschmeidig, wie eine Bogensehne.

Es war Mittag, als wir zur Station kamen. Die Beamten schüttelten Wilson und Creek die Hände und gingen gleich an die Zahlungen. Creek setzte sich auf eine Bank und zählte die ihm übergebenen Summen, ehe er sie in kleine hirschlederne Säckchen band, die er dann sorgfältig im Innern seines Gürtels befestigte. Nachdem die Geschäfte beendet waren, nahmen wir mit den Beamten ein zweites Frühstück ein, wovon Creek nur wenig genoß. Er zog sich dann wieder auf die Bank zurück und entkleidete sich geräuschlos, während wir über Handel und Politik sprachen. Ich sah mit Vergnügen seinen raschen, gewandten Bewegungen zu. Er rollte seine Kleider, nachdem er sie sorgfältig zusammengelegt, eng zusammen und band die Rolle mit einem Riemen um seine Schulter. Außer dem mit Federn verzierten Gürtel und den Mocassins, die seine schmalen Füße bekleideten, trug er nun nichts. Neben ihm auf der Bank lagen seine Büchse und sein Tomahawk, von welchem eine blutrothe Quaste niederhing.

Als er uns eine Weile schweigend zugehört, trat er zu Wilson und sagte, ihm die Hand auf die Schulter legend: „Creek muß jetzt gehen.“

„Warum eilst Du so?“ fragte Wilson.

„Creek muß gehen. Die Saugees schleichen herum; Creek muß zu Hause sein, wenn Saugees kommen.“

„Glaubst Du denn, daß die Heuschrecken heute noch über Euch herfallen werden?“

„Creek weiß es nicht, aber Creek will nicht auf der Bank sitzen und weißen Männern zuhören, wenn rothe Männer daheim Pfeile spitzen für Saugeeherzen und Scalpmesser schleifen für Saugeeköpfe. Creek will gehen.“

Wilson sagte nach einem Augenblicke des Nachdenkens: „Gut, Creek! Wir gehen auch. Es ist zwei Uhr Mittag: ich muß zu Hause sein, wenn die Mäher das Gras hereinbringen.“

Wir verabschiedeten uns rasch von den Beamten und traten den Heimweg an. Der Officier und die Soldaten der Station grüßten Creek mit vieler Achtung, als er an ihnen vorbeischritt. Er nickte stolz und kaum zur Seite blickend.

Als wir etwa zweihundert Schritte vom Walde entfernt waren, blieb Creek stehen und sagte: „Creek geht jetzt nicht mit Euch; Creek geht andern Weg.“

„Welchen Weg?“ fragte Wilson.

Der Indianer zeigte mit der Hand nach links, weit ab.

„Creek! Dort? Das ist ja feindliches Gebiet, Saugeegebiet!“ rief Wilson.

„Creek macht sich nichts daraus. Jener Weg ist kürzer; Creek kommt schneller heim.“

„Thu’ es nicht!“ sagte Wilson, sorgenvoll die Stirn faltend. „Was thut es, ob Du eine Stunde früher oder später heimkommst!“

„Creek hört rothe Männer daheim eine Stunde lang sagen: ‚Wenn doch Creek da wäre! Kommt Creek noch nicht?‘“

„Du willst durch feindliches Gebiet gehen? Bedenke doch!“

„Creek hat schnelle Füße und Büchse und Tomahawk.“

Mit diesen Worten fing er an zu laufen.

„Creek,“ rief ihm Wilson nach, „halte Dich fern von den Zelten! Denke an mich!“

Der Indianer drehte sich um und rief: „Creek denkt an Wilson!“

Schon flog er über die Wiese hin; dann und wann blitzte sein Tomahawk in der Sonne.

„Welch prächtiger Mensch!“ sagte Wilson, indem er ihm nachblickte, und lenkte dann sein Pferd dem Walde zu.

Die dunkle Gestalt des Indianers eilte um eine Waldesecke. Als sie verschwand, fiel jähe Traurigkeit in mein Gemuth.

„Wenn Creek im bevorstehenden Kampfe –“ sagte ich.

Wilson blickte mich erschrocken an und erwiderte: „Ich würde ihn beweinen wie meinen Sohn. – Aber,“ fuhr er nach einer Weile fort, „Creek ist gegen die Gefahr gefeit; kein Pfeil, keine Kugel, kein Messer, keine Klaue, kein Zahn hat ihn je verwundet.“

Ich weiß nicht, Wilson, wie es kommt, aber ich bin traurig, beklommen. Ich bin es seit dem Augenblicke, wo er um die Waldesecke bog.“

Wilson sagte nichts darauf, und wir ritten wohl eine halbe Stunde, ohne zu sprechen. Plötzlich hielt er sein Pferd an.

„Kommt!“ sagte er, „wir wollen umkehren, schnell reiten, Creek nachreiten. Traurigkeit ist auch über mich gekommen. Die Saugees sind mir nicht feindlich gesinnt; wir haben nichts für uns zu fürchten, können aber vielleicht Creek beschützen.“

Wir gaben den Pferden die Sporen und ritten zurück. Es schien noch etwas von Creek’s Feuer in meinem Pferde zu sein, welches jetzt flog, wie es noch nie unter mir geflogen war. Bald ritten wir über die Wiese dahin und in den Wald hinein, wo der Saugees Gebiet war und wo ich Creek hatte verschwinden sehen. Dieser Wald war ungeheuer dicht, zwischen den Stämmen wuchs hohes Gesträuch; hier und dort ragten beträchtliche Steinblöcke aus dem Boden, was ihm einen unruhigen, einen drohenden Charakter verlieh. „Die Zelte der Saugees liegen weit ab, und ich vermuthe, ich hoffe, daß Creek diesen Weg einschlug, der oft von weißen Jägern begangen wird,“ sagte Wilson.

Wir ritten schnell, sprachen wenig und späheten nach Creek. Es war furchtbar still im Walde; meine Seele sagte mir, wie ahnend: Es kommt etwas. – Auf einem Baumstumpf, der seine Wurzeln über den Weg gespannt hatte, saß furchtlos und unheimlich, wie eine Unheilsverkünderin, eine Eule. Ich mußte noch einmal nach ihr umblicken – da fiel ein Schuß, dann mehrere – und dann gellte ein kurzer, entsetzlicher Schrei durch den Wald, und es erhob sich ein Geheul von mehreren Stimmen. Wir sprengten hinan und sahen – wehe! daß wir es sehen mußten – wir sahen Creek in einem Regen von Kugeln und Pfeilen stehen und seine rauchende Büchse fortwerfen und mit beiden Armen sein Tomahawk über dem Kopfe schwingen und gegen einen Felsblock anklimmen und schwanken – und taumeln und – fallen.

Wir schossen unsere Revolver ab nach der Richtung, wo die Pfeile hergeschwirrt waren. Da sprang ein Haufen Indianer hinter dem Felsen herab, und der Vorderste, als er Wilson erkannte, rief:

„Halt! – Wilson, gebt Eure Waffen!“

„Fluch über Euch Meuchelmörder!“ schrie Wilson. Der Indianer entriß ihm den Revolver und ein anderer mir den meinigen.

„Laßt mich sehen, ob er todt ist!“ rief Wilson und beugte sich über Creek.

O, wie könnte ein Mann noch leben, der siebenzehn Pfeile und Kugeln in der Brust und den Lenden hat? Ich trat auch hinzu. Es kam kein Hauch mehr zwischen Creek’s verbleichenden Lippen hervor; seine Augen waren gebrochen; die Erde trank sein Blut.

„Herrlicher, so ist’s aus mit Dir?!“ rief Wilson; er erhob sich und griff ingrimmig nach seinem Jagdmesser.

Ein Indianer entwand es ihm. „Wilson,“ sagte er, „die Saugees haben geschworen, daß sie nicht eher ruhen werden, bis sie Creek’s Scalp haben, und wir werden ihn haben, und Ihr sollt Zeuge davon sein, denn dieser Scalp ist unser Ruhm.“

„Ich Zeuge?“ rief Wilson.

Wir wurden von den Indianern gefaßt und Jeder an einen Baum gebunden, und dann – o Schauder, o Schmerz, o Schmach! – dann nahmen sie von der edlen Leiche, unter feierlichem Schweigen, die Kopfhaut mit den schönen langen schwarzen Haaren. Wilson und ich schlossen die Augen – ich weinte Thränen ohnmächtiger Wuth. – Ein wildes Siegesgeschrei verkündete uns, daß es geschehen war.

Einer der Indianer schoß unsere sechsläufigen Revolver vollends ab, gab sie uns zurück, durchschnitt die Seile, mit welchen wir angebunden waren, und sagte:

„Wilson und Ihr, fremder Mann, saget im Lande überall, daß Ihr gesehen habt, wie die Saugees Creek’s Scalp genommen!“ Dann lief der Haufe durch das Dickicht den fernen Zelten zu.

Wilson und ich warfen uns bei der Leiche auf die Kniee. Creek – zwei Männer haben auf Deinen durchbohrten Leib geweint. –

„Fassung!“ sagte Wilson. Er nahm den Todten bei den Schultern; ich nahm ihn bei den Füßen; so trugen wir ihn bis zur nächsten Lichtung, wo eine Jägerhütte stand.

„Gebt mir ein Pferd!“ bat Wilson. Er erhielt es und ritt davon, den Creeks die entsetzliche Nachricht zu bringen. Der Sohn des Jägers und ich wuschen die Leiche, legten sie nackt auf eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_685.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)