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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

erfüllen die Königstage Bosniens, und um so trauriger ist es, daß der letzte König kein Held war. Nach schmachvoller Demüthigung vor dem kriegerischen Sultan Mohammed dem Zweiten wurde er 1463 auf der Hochebene von Bilaj hingerichtet. Zwanzig Jahre später waren die Türken auch Herren der Herzegowina. Noch dreiundsechszig Jahre lang suchte Ungarn den Türken den Besitz Bosniens streitig zu machen, bis die Schlacht bei Mohacz für die Türken entschied. Kein späterer Türkenkrieg änderte diesen Besitzstand, und der Friede von Carlowitz (1699) erhob den Sultan zum anerkannten Herrn des gesammten Bosniens.

Vor zwei Jahren hätte die Pforte sich mit den Kränzen des vierthalbhundertjährigen Jubiläums der Beherrschung Bosniens schmücken können; das Land feierte es durch den Ausbruch der Empörung. Die Umgestaltung aller Besitzverhältnisse hatte sofort mit der vollbrachten Eroberung begonnen, und sie ging rasch von Statten, denn sie fand bereitwillige Hand gerade in den Schichten des Volkes, dem die Ehre desselben hätte am heiligsten sein sollen. Da in den Augen der Türken nur die Gläubigen zum Besitz berechtigt waren, so schwor zuerst der bosnische Adel den christlichen Glauben ab, um seine Vorrechte zu retten. Seinem Beispiel folgte ein Theil der Bevölkerung und als Dritte die Secte der Bogomilen. Es sollen dies versprengte Waldenser gewesen sein, die gegen Ende des zwölften Jahrhunderts nach Bosnien und Dalmatien gekommen waren, wohin sie zu den schon vorhandenen zwei confessionellen Gegensätzen noch den dritten gebracht hatten. Sie waren die Ursache vieler Kämpfe und Verwüstungen, bis sie, gegen 40,000 Seelen stark, wegen harter Bedrückung in Bosnien nach der Herzegowina auswanderten. Stets von den beiden christlichen Confessionen angefeindet, traten sie jetzt zum Islam über und sind mit der Zeit von allen Renegaten die furchtbarste Geißel der Rajah geworden.

Die osmanischen Eroberer theilten nach dem bei ihnen herkömmlichen Brauche alles Land in drei Theile; einen Theil erhielt der Sultan, den zweiten die „Todte Hand“ und den dritten der Lehensadel. An das Volk kam nichts. Einen klugen Schritt zu ihrer Machtstärkung thaten die Türken damit, daß sie das Land in fünf große Heerbanne mit etwa vierzig Spahiliks (Capitainschaften) eintheilten. An der Spitze der Heerbanne standen die Sandschak-Beys, an jener der Spahiliks die Spahis, die einen erblichen Kriegsadel bilden, steuerfrei bleiben und von den Erträgnissen des Bodens ihres Gebiets den Zehnten (Dessetina) erhalten sollten. Auch der kleinere und kleinste Adel (Beys und Agas) erhielt entsprechende Vorrechte, war jedoch kein eigentlicher Kriegsadel und hatte, trotz seines Grundbesitzes, auf welchem die Rajah (die ihrem Glauben treu gebliebene Landbevölkerung) nur Pächter (Kmets) waren, keinen Anspruch auf den Zehnt.

War diese rücksichtsvolle Behandlung des Renegatenthums schon geeignet, den christlichen Landbewohnern einen harten Stand zu bereiten, so kam das Aussaugesystem, dem sie schutzlos preisgegeben waren, doch erst recht in Flor, als die Nachkommen der Renegaten sich als geborene Mohammedaner fühlten. Sie trieben’s toller, als die wirklichen Osmanen. Um das Uebel ganz voll zu machen, kam dazu noch ein eingeborenes Janitscharencorps, das in seinen Ansprüchen an die Rajah jedoch die Spahis und Beys noch überflügelte. Alle diese Renegaten-Nachkommen waren es auch, welche jede den Christen von Constantinopel anscheinlich bestimmte Erleichterung unmöglich machten, ja, mit Revolutionen nicht nur drohten, sondern sie sogar ausführten, wenn irgend eine Maßregel zu Gunsten der Rajah ihrer Beutegier ein Hinderniß zu bereiten drohte.

Wenn es trotz alledem in der letzten Zeit den Anschein hatte, als wollten die Verhältnisse der Rajah sich etwas erträglicher gestalten, so kam dies daher, daß der mohammedanische Bauer zuletzt nicht viel besser daran war, als der christliche, und daß Beide keine Abhülfe mehr von Stambul erwarteten. Das Grundübel lag an der „Efendi“-Wirthschaft in Stambul, welche durch den Erlös der verkauften Beamtenstellen ihr Lotterleben möglich und dagegen jede Steuerordnung unmöglich machte. Je theurer eine solche Stelle war, desto mehr beeilte sich der Beamte, innerhalb seines Verwaltungsbezirkes rücksichtslos zusammenzuscharren, so viel er vermochte. Was half alles Ach und Weh dem christlichen Bauern, dessen Zeugniß vor Gericht gegen jeden Mohammedaner ungültig war und der für jede Beschwerde sich unmenschlicher Rache aussetzte?

Wie ungeachtet aller Verordnungen und Befehle von Stambul in den Provinzen Alles beim Alten blieb, dafür lassen wir zwei Beispiele sprechen.

„Hatischerif von Gülhane“ hieß das Verfassungsstatut vom 2. November 1839, welches verkündete: „Die Regierung werde die Sicherheit des Lebens, der Ehre und des Eigenthums ihrer Unterthanen ohne Unterschied des Glaubens mit aller Energie zu wahren wissen.“ Trotz dieser Glaubens-Sicherung verurtheilte der Stambuler Staatsrath einen Armenier, der den Islam angenommen und später reuig wieder aufgegeben hatte, zum Tode. Als der englische Gesandte Einspruch erhob, warf im Rathe der Großmufti nur die Frage auf: „Sind wir Mohammedaner?“ Das Urtheil ward unter dem Jubel des Volkes vollzogen, und zum Hohne aller Giaurs setzte man dem am Fischmarkt auf einen Spieß gesteckten Kopf des Hingerichteten einen Cylinderhut auf.

Dieselbe Beachtung fand der „Hati Humajun“ von 1856, welcher die völlige Gleichstellung der Christen mit den Mohammedanern aussprach. Als der Pascha von Erzerum den armenischen Bischöfen das großherrliche Schriftstück mittheilte, that er es mit der Bemerkung: wenn sie dasselbe öffentlich bekannt machten, so möchten sie für ihre Köpfe sorgen. Derselbe Pascha steckte nach wie vor jährlich nur an ungesetzlichen Steuern das Sümmchen von 800,000 Franken in seine Tasche.

Die politischen Humanitäts-Schauspiele der Pforte, deren Vorhang bald aus Haß gegen Rußland, bald zur Beschwichtigung der Großmächte des Abendlandes aufgezogen wurde, blieben für die Rajah selbst ohne jede Bedeutung. Nach wie vor lebte die christliche Bewohnerschaft im Sclavendienste der osmanischen Herren und mußte den Sclavenzoll der Kopfsteuer („Haradsch“) für die Erlaubniß ihres rechtlosen Daseins erlegen.

Eine Volkszählung nach unseren Begriffen fand dort nie statt; sie war schon unmöglich, weil bei dem mohammedanischen Theil der Bevölkerung das weibliche Geschlecht davon ausgeschlossen worden wäre. Nur ungefähre Schätzung ist es, welche Zahlen aufstellt, die zwischen 1,105,000 und 1,242,000 schwanken. Berechnet man, daß durch den Berliner Friedensvertrag ein Theil der Herzegowina an Montenegro abgetreten wurde und daß die letzten Revolutionen und Kriege viel Menschenleben gekostet, so wird die jetzige Bevölkerungszahl wohl hoch genug zur runden Summe von einer Million angeschlagen. Von diesen gehört etwa die Hälfte den beiden christlichen Confessionen an, von welchen wiederum etwa Vierfünftel dem griechisch- und der Rest dem römisch-katholischen Cultus huldigt. – Da eigentliche Osmanen nur in geringer Zahl in den größeren Städten zerstreut leben und nirgends in einflußreichen Massen auftreten, so ist die gesammte mohammedanische wie christliche slavische Bevölkerung Bosniens und der Herzegowina in ihrem ursprünglichen Wesen unberührt geblieben. Körperlich ihren Stammverwandten im östereichischen Croatien und in Serbien noch vollkommen gleich an hohem Wuchs, an Haltung und Gesichtsbildung und nur geistig gedrückter, haben sich ihre guten und schlimmen Sitten und Gebräuche aus uralter Zeit ziemlich unverändert erhalten. Ihre schöne Sprache, die bosnisch-serbische, hat besonders auf dem Lande nicht das Geringste an Reinheit und Wohllaut verloren, und ebenso fest bewahrten sich selbst die mohammedanischen Bosnier ihre alten Familiennamen.

Von den beiden christlichen Confessionen ist leider gerade die stärkste, die griechische, in jeder Beziehung, auch hinsichtlich der Geistlichkeit, am schlimmsten daran. Während bei den Katholiken der Orden der Franziskaner (schon seit dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts dort thätig) durch Beispiel und Lehre, durch Uneigennützigkeit und Opferfreudigkeit wirklich ein Segen für das unterjochte Volk war, sind die griechischen Geistlichen dem ihren nur eine Last mehr. Von Metropoliten bis zum untersten Popen, von denen viele weder lesen noch schreiben können, sucht Jeder die Kirchenabgaben möglichst hoch zu steigern, und so ist es wohl möglich, was Maurer und Thoemmel in ihren Büchern über Bosnien erzählen, daß dort erwachsene Personen noch ungetauft herumlaufen, weil ihre Eltern die Taufgebühren nicht zu erschwingen vermochten.

Es ist selbstverständlich, daß ein solches Volk auch in seiner äußeren Erscheinung das armselige Innere treu widerspiegelt. Wie stattlich auch der Körperbau dieser Menschen sich erhalten hat, so können sie die Gewohnheiten ewiger Unterwürfigkeit nicht verbergen. Nur in den Augen leuchtet manchmal noch ein Blitz,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_679.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)