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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und prämiirt, und weit über die Grenzen des Vaterlandes hinaus, ja selbst weit drüben über dem Meere hat sein Name ruhmvollen Klang. Er selbst aber ist schlicht und anspruchslos geblieben, wie ehedem, ein Liebling des kleinen heiteren Kreises, auf den er seinen geselligen Verkehr beschränkt, denn die Sympathien, die er als Künstler gefunden, verdient in gleichem Maße der Mensch.

Wer noch jung ist, wie er, der spricht nicht viel von der Vergangenheit, aber gedenken mag er derselben wohl tausendmal, wenn er jetzt in seiner prächtigen und doch so trauten Werkstatt an der Arbeit sitzt. Keiner von uns kann die Fülle der Lebensbedingungen, unter denen seine Persönlichkeit sich entfaltet hat, zergliedern; er kann nicht entziffern, was er dem einen oder dem anderen Umstande verdankt, aber vielleicht war es doch gerade der harte Boden der Bauernwelt, aus dem der junge Meister einst seine urwüchsige Frische und dieses kerngesunde Können gewann. Denn eine Macht, die uns lebenslang beherrscht, liegt unsichtbar in jener Erde, aus der wir hervorgewachsen sind.

Dr. Karl Stieler.


Der canadische Achilles.
Von E. Werber.

Oft erscheint mir im Traume der canadische Wald, den ich, längst kein Jüngling mehr, durchwanderte, als nach achtzehnjähriger Trennung mein Herz ungestüm gesagt hatte: Ich will Wilson wiedersehen. Wilson und ich waren nicht eigentlich Freunde gewesen. Wir hatten uns nur Einen Tag gekannt, doch jener Tag blieb mir unvergeßlich. Er hatte ein junges reiches Mädchen entführt, aber er hatte es arm entführt, denn er wollte nichts haben, als Eleanor, und Eleanor ließ sich arm entführen, denn sie wollte nichts haben, als Wilson.

Es war in Ohio, wo ich beide am Fuße eines Hügels fand, das Mädchen bewußtlos und Wilson verwundet. Sie waren auf Pferden entflohen; unweit der Stelle, wo ich sie fand, in tiefer Nacht, waren sie von Freibeutern überfallen und der Pferde beraubt worden; Wilson hatte beinahe mit Verlust seines Lebens Eleanor ihren Händen entrissen. Er hatte eine Wunde am Kopfe und eine am Oberarm und sagte mir, er habe vergeblich nach Wasser gesucht und sei jetzt von dem Blutverluste ganz entkräftet.

„Aber,“ setzte er hinzu, „lassen Sie mich sterben, denn Eleanor ist schon todt.“ Nach diesen Worten verlor er das Bewußtsein. Sie waren beide jung und beide schön; sie schwarz, er blond. Auf Beider Stirn lag Geist und Offenheit, auf Beider Lippen die Liebe und der Tod.

Ich lauschte an des Mädchens Munde – sie athmete noch. Wäre sie todt gewesen, so hätte ich Wilson ruhig sich verbluten lassen; denn ich hatte errathen, daß ich hier jener positiven, großen Liebe begegnet war, nach welcher es nichts mehr auf Erden giebt.

Nachdem ich Beide durch Branntwein in’s Leben zurückgerufen und Wilson’s Wunden verbunden hatte, ließ ich sie sich auf mein Pferd setzen und brachte sie zu einer Farm, in welcher tüchtige, gute Menschen wohnten, auf die ich mich verlassen konnte. Wilson dachte nach Canada zu entfliehen und dort durch Jagd und Pelzhandel sich und seine Frau zu ernähren. Da ihm seine Baarschaft, welche seine ganze Habe war, geraubt worden, zwang ich ihm meine Börse auf. „Wenn ich es Ihnen aber nicht zurückgeben kann?“ sagte er zaudernd.

„Bezahlen Sie mich mit Edlerem, als mit Geld, bezahlen Sie mich mit Freundschaft!“ erwiderte ich.

„So lange ich lebe, werde ich Sie lieben,“ sagte er, mit männlichem Ernst mir die Hand drückend.

Und die schöne Eleanor rief mit süßer Stimme: „So lange ich lebe, werde ich für Sie beten.“

Sie konnte nicht lange für mich beten, denn sie starb ein Jahr später, nachdem sie Wilson ein kleines Mädchen in die Arme gelegt und gesagt hatte:

„Sie soll Eleanor heißen.“

Wilson hatte sich weit hinter Montreal im tiefen Wald eine Hütte gezimmert und mit einigen Indianerstämmen, besonders mit den Creeks, durch Klugheit und Wohlwollen gute Beziehungen geschaffen. Er jagte mit ihnen und verkaufte die erbeuteten Felle an die Unterhändler der Canadischen Pelz-Compagnie. Nach fünfzehn Jahren verließ er den Wald und baute sich vor demselben ein festes, warmes Häuschen. Jagd und Pelzhandel blieben seine Beschäftigung. Wenn ich einen Brief von Wilson bekam, war mir jedesmal wie einem Wanderer, der von der staubigen, geräuschvollen Landstraße in Waldeinsamkeit tritt.

Er schrieb mir nicht oft, alle zwei Jahre etwa einmal; in seinen Briefen fand sich dann und wann ein stylistischer Fehler, aber nie ein Gemüthsfehler.

Wilson war ein ganzer Mann. Ich wollte ihn nach achtzehnjähriger Trennung wiedersehen.

Acht Meilen von seiner kleinen Besitzung führte mich mein Weg durch tiefen Wald. Ich trat in eine grüne Nacht. Zuweilen stahl sich in diese Nacht ein Sonnenstrahl, fein wie ein Goldfaden, zitternd wie die Seide eines Spinnengewebes. Mit fessellosem Ungestüm brauste hier und dort ein niederstürzendes Wasser, und über mir ertönte der wilde Schrei und der Flügelschlag großer Vögel. Hier pochte das Herz der Natur; hier wehte ein Hauch der Ewigkeit. – Ich ging neben meinem Pferde hin in jener Stimmung, in welcher wir fühlen, daß jeder Schritt, mit dem wir uns von der Natur entfernten, uns von der Wahrheit entfernte. All unser Treiben ist verkehrt. Unser Leben ist ein Lügennetz, in dem des Herzens freier Schlag erstickt. Das Blut, das die Natur uns mitgegeben, wird zu Wasser oder Gift. Wir vergessen, daß die Natur unsere Mutter ist, und daß nach einem schmerzensvollen Leben, wenn alle Himmel, die wir über sie erhoben, uns lügen sollten, sie uns dennoch ihren Schooß zur Ruhe öffnet. Wir haben der Natur vergessen. Nur wenn sie im Gewitter spricht oder Berge und Meere über die menschliche Lüge wälzt, dann denken wir ihrer und – zittern.

Ich mußte mich in solchen Gedanken ganz verloren haben, denn plötzlich sah ich, daß ich vom richtigen Pfade abgekommen war. Ich befand mich vor einer Schlucht, aus der ein gurgelndes Wasser quoll und links über zerklüftetes Gestein zur Tiefe rann. Ich suchte den Weg, auf dem ich hergekommen, allein ich gerieth in immer tiefere Nacht. Schwarze Tannenäste spannten ihre Bogen bis zur Erde herab; ich versank bis hoch über die Knöchel in feuchtes Moos und mein Pferd begann ängstlich zu wiehern und wollte nicht weiter gehen. Ich erinnerte mich des Pfeifchens, welches mir am verflossenen Tage ein Farmer gegeben hatte.

„Ein Indianer-Ohr wird Euer Pfeifchen weithin hören, falls Ihr Euch verirren solltet. Die Creeks und freundliche Leute und Wilson’s gute Freunde,“ hatte der Mann gesagt. Ich pfiff. Nach einer Weile tönte mir schwach, gleich einem fernen Echo, ein Pfiff entgegen. Vielleicht ist es ein Echo, dachte ich, und wartete; dann pfiff ich noch einmal und wieder kam mir die Antwort entgegen, aber etwas stärker und hörbar näher.

Nachdem ich mit einem unbekannten Wesen mehrere, immer lebhaftere Pfeifenrufe getauscht, hörte ich ein leises Geräusch wie das kollernder Erde und dann ein anderes: das Knicken schwerer Aeste. Ich wollte rufen, aber die Stimme versagte mir – zwischen zwei Tannenästen, dicht vor mir, brannten in einem braunroten Gesicht zwei tiefliegende schwarze Augen und bohrten ihren ruhigen Blick in den meinen. Ich stand gebannt, versteinert, aber nur äußerlich. Die Verzauberung, der ich unterlag, berührte meine Seele nicht und ich empfand keine Bangigkeit und kein Unbehagen; ich fühlte, daß ich mich einem starken und gerechten Manne gegenüber befand. Da er mich beobachtete, beobachtete ich ihn auch.

Sein Gesicht war jung, lang und schmal. Nie habe ich ein Antlitz gesehen, das jenem an düsterem Ernst, an Festigkeit und Entschlossenheit gleich käme. Sein Auge, ein wenig von den Lidern bedeckt, sagte: Ich weiß nicht, was die Furcht ist. Unter einer schmalen scharlachrothen Binde fiel dichtes blauschwarzes Haar in Strähnen an den Wangen nieder; einzelne Büschel hingen über die Binde und auf die ruhige Stirn herab, welche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_663.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)