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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

zu Muthe war, der wird wissen, daß er in der eingeschlossenen schlechten Luft unruhig und ohne rechte Erquickung geschlafen, nach dem Erwachen Abgespanntheit und schweren Kopf, trübe Augen und trübe Stimmung als Folgen davongetragen hat, während der Schlaf in reiner Luft ihn erquickt und gestärkt, in gehobener Stimmung dem Tageswerke entgegengehen ließ. Nicht die Hitze ist es, was uns im Sommer vergeblich die Nachtruhe suchen läßt, sondern der bei dem geringen Wärmeunterschiede zwischen drinnen und draußen äußerst geringe Luftwechsel, der uns Beklemmungen verursacht und die Ruhe verscheucht. Oeffnet die Fenster und sorgt für genügende Lüftung auch während der Nacht, so wird ein erquickender Schlaf auch im Sommer auf die Arbeit des Tages folgen!

Kinder sind wegen ihres lebhaften Athembedürfnisses noch empfindlicher gegen schlechte Luft als Erwachsene. Bleiche Farbe, mangelhafte Eßlust, schlechte, weinerliche Stimmung, nicht selten als Unart angesehen und bestraft, sind die nächsten Folgen. Zahlreiche Kinderkrankheiten, Scrophulose und Schwindsucht, diese verheerendste Seuche unserer Binnenluft-Bevölkerung, wurzeln und wuchern in schlechter Schlafstubenluft. Manche Arzt- und Apothekerrechnung, manche Brunnen- und Badecur, die in jedem Jahre mehr kosten, als die beste Ventilationseinrichtung für das ganze Leben, viel Siechthum und Elend könnte gespart werden, wenn man der Reinheit der Luft, dieses ersten Lebensbedürfnisses, genügende Sorgfalt widmen wollte.



Unser Falstaff-Maler.[1]

Warum nur ist es so selten, daß schöpferisch bedeutende Menschen auf ebenem Wege ihr Ziel erreichen? Mühsal und Noth warten an ihrer Wiege; ein Kampf um’s Dasein ist ihre Jugend, bis sie endlich die Arbeit der Hände mit der geistigen Arbeit vertauschen.

Fast von jedem hervorragenden Künstler läßt sich erzählen, wozu er von Haus aus bestimmt war, bevor er Künstler wurde. Warum? Es ist, als hätte die Natur, wo sie echtes Gold geschaffen, auch gleich das Feuer hinzugefügt, in dem das Gold sich läutert.

Wenn wir zurückschauen auf die ersten Jahre Eduard Grützner’s, dem diese Zeilen gewidmet sein sollen, dann steht eine kahle ärmliche Bauernstube vor uns, um deren Tisch acht kleine Kinder sitzen, wie zwitschernde Schwalben um’s Nest. – Harte Diele, harte Züge, harte Kost!

Eduard Grützner war am 16. Mai 1846 zu Carlowitz in Schlesien geboren, auf der Erde, die sein Vater im Schweiße des Angesichts pflügte. Es hat ja, wenn man aus besseren Tagen darauf zurückschaut, etwas Hochpoetisches, so ganz aus dem ursprünglichsten Volksthum hervorzugehen; es ist ein Schatz unverwüstlicher Frische für den, der ihn zu heben weiß, aber ein Schatz, dessen Besitz auch mit tausend Schmerzen erkauft wird. Denn nur jene, die zutiefst in’s Leben des Volkes hineingesehen, wissen es ganz, was es heißt, ein Bauer sein, welche innere Gebundenheit, welche Menschenscheu, welch’ heimliche Last ein Bauer durch’s Leben trägt, und was es ihn kostet, sich loszureißen aus diesem Banne zur geistigen Freiheit.

Unserem kleinen schlesischen Freunde war diese Freiheit bestimmt, aber freilich verstanden die Eltern etwas Anderes darunter, als er selbst; er sollte ein katholischer Priester werden und die höchste Würde bekleiden, die ein Sterblicher erreichen könne. Für dieses Ziel schien kein Opfer zu groß, das Vater und Mutter sich auferlegten, aber auch der Pfarrer des Ortes, ein liebenswürdiger und menschenfreundlicher Mann, that alles Erdenkliche, um den kleinen künftigen Collegen zu unterstützen. Es war so gut gemeint, und dennoch stimmte es so schlecht zum Charakter, zu der ganzen Persönlichkeit des wilden Knaben, dem schon die ersten frohen Lebensgeister durch die Seele zuckten. Das arme Bauernstudentlein, das zur Theologie erzogen wird, es ist und bleibt ja doch immer ein wehmüthiges Bild – er soll so ernsthaft sein, und wäre doch viel lieber lustig; er ist etwas Anderes, als die übrigen Kinder im Dorfe, und wäre doch so gern ihres Gleichen; er weiß es noch nicht, aber er fühlt es doch mit ahnungsvollem Kinderherzen, wie er schon jetzt heranwächst aus seinem Kreise und innerlich vereinsamt.

So war es wohl auch unserem Freunde zu Muthe, als ihn die Eltern nun nach Neiße auf die Schule sandten, damit er sich mit der lateinischen Grammatik und dem griechischen Alphabet auseinander setze. Mit gekreuzten Beinen und mit aufgestützten Ellenbogen saß er dort auf den verwünschten Bänken und starrte in die gelehrten Blätter, die Cornelius Nepos einst – so vielen Jünglingen zum Leide – hinterlassen; widerwillig mußte er dem großen Kahlkopf Cäsar folgen, aber nicht seinen Heldenthaten, sondern nur den meisterhaften Worten, womit er sie beschrieb. Es war wohl schwer, solch auserlesene Geister zu bemeistern; er saß und brütete, und leise tändelte sein Stift über den Rand des verschwiegenen Blattes. Er kritzelte einen Römer hin, der mit preußischer Pickelhaube Schildwache stand vor dem neuen Capitel; es waren fast die sämmtlichen Genossen, die sich allmählich in dieser heimlichen Gallerie zusammenfanden, und welcher Schüler, der Carricaturen zeichnen kann, hätte dabei jemals seine Lehrer vergessen? Manch schwüles Gewitter zog sich darob zusammen über dem hohen Katheder, wo der Professor zürnend die Locken schüttelte, wie ein drohender Zeus; manch wohlverdienter Blitz fuhr aus seinen Blicken auf den kühnen Bauernknaben – es schlug auch bisweilen ein – aber den kleinen Schalk, der ihm im Nacken saß und über die Schulter sah, konnte nichts mehr vertreiben. Der war sein Trost in den lateinischen Schmerzensstunden und bei den Foltergebilden gleichschenkliger Dreiecke; es ging so hart mit dem Studiren und so leicht mit den lustigen Kritzeleien, die bald jedes leere Blatt bedeckten und sich sogar al fresco verbreiteten. Man zürnte und schalt, aber dennoch konnte man dem liebenswürdigen kleinen Missethäter, der den Beruf des Gesalbten so hartnäckig verneinte, nicht ernstlich böse sein, denn es kam ja auch ihm das alte Dichterwort zu statten:

Von allen Geistern, die verneinen,
Ist mir der Schalk am wenigsten verhaßt.

In Obertertia endlich kam es zum Bruche mit aller Gelehrsamkeit; der innere Drang zum Künstlerberufe war mächtiger, als die äußere Bedrängniß, in welche der halberwachsene Knabe durch diesen Wechsel seines Berufes gerieth. Denn daß die Eltern ihn nach einem solchen Schritte nicht weiter unterstützen würden, das schien wohl außer Zweifel; er konnte es ihnen ja kaum verargen, aber ebenso wenig konnte er ihrer Anschauung die seinige opfern. Und was mochte nun vollends sein Wohlthäter, der gute alte Herr Pfarrer, sagen?

Gleichwohl ging Alles besser, als er sich’s jemals gedacht. Denn obwohl er dem priesterlichen Berufe entsagt hatte, blieb ihm dennoch der alte liebenswürdige Pfarrherr ein Freund, der ihm mit Rath und That an die Hand ging; er sah in dem bedrängten Jüngling nicht einen geistlichen Deserteur, sondern nur den Menschen, den sein Herz überwältigt hatte, und einem solchen durfte ja auch er aus ganzem Herzen zugethan bleiben.

Bald kam von außen her noch weitere Hülfe. Es war der Baumeister Hirschberg, auch ein Schlesier von Geburt, dem man auf einer Reise nach seiner Heimath von dem begabten jungen Manne erzählt hatte, der jetzt mittellos und rathlos in der Welt stehe; sofort suchte er den Bedrängten auf, packte dessen Arbeiten zusammen und nahm sie mit sich nach München.

Nachdem die Künstler, die er dort zu Rathe zog, ihm das seltene Talent seines jungen Schützlings bestätigt hatten, ließ er denselben ohne weiteres kommen und stellte ihm die Mittel zur Verfügung, deren er auf Jahre hinaus für seine Studien bedurfte.

Grützner trat nun zunächst (es war im Jahre 1864) in die kunstgewerbliche Schule ein, die unter den Arcaden ihre Ateliers besaß, und zeichnete dort nach Gypsmodellen, um sich vor Allem

  1. In den Kunstausstellungen der letzten Jahre haben die geistreichen Compositionen Eduard Grützner’s und in jüngster Zeit namentlich die Falstaffbilder desselben die Theilnahme der Kunstfreunde an den Schöpfungen dieses so rasch und frisch erblühten Talents in einer Weise angeregt, daß wir dem vielfach uns ausgesprochenen Wunsche nach einem Lebensbilde des Künstlers wohl nachkommen mußten. Wir thun dies mit um so mehr Berechtigung, als der Künstler den Lesern der „Gartenlaube“ auch durch manche erquickliche Leistung werth geworden ist.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_659.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)