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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Und wie nahm Blum sie auf? Am 25. Juni schreibt er der Gattin, nachdem er ihr von der Pfälzer Reise und den ihm von den Pfälzerinnen gespendeten Gunstbezeigungen erzählt: „Das ist ein schönes Zeichen, aber vor persönlicher Eitelkeit bewahrt mich erstens jeder Blick in den Spiegel, der mir sagt, daß ich nicht schön und vierzig Jahr alt bin. Zweitens das Bewußtsein, daß es nicht dem Manne, sondern dem Parteiführer gilt und ich also stets mit meinen Getreuen theilen muß, wobei mir sehr wenig bleibt. ... Ging es doch dem alten, häßlichen Mirabeau gerade so; hoffentlich werde ich demselben in anderer Beziehung nicht ähnlich.“

Noch als ich 1864 zum ersten Male in der schönen Pfalz war, traf ich überall die lebendigste Erinnerung an diese Pfingstreise der Linken und besonders an Robert Blum. „Hier hat er gestanden, gesprochen“ – erzählen noch heute die Alten, die damals jung waren. Und auf dem Eschbacher Schloß stand einst auf steinerner Platte eingegraben, daß hier auf den Trümmern des gebrochenen Bischofssitzes, von wo der Blick umspannt die Höhen des Schwarzwaldes von Baden-Baden, die Vogesen von Straßburg an bis zu dem fernen Kaiserstuhl von Heidelberg und dem ferneren Melibocus der Bergstraße, Robert Blum gesprochen habe zum Volke über seine heiligsten Rechte und Ziele. Der Stein ist zerschlagen von der Wuth einer baierischen Soldatenschaar. Neue Trümmer haben sich zu den Trümmern gesellt, die einst Melac’s Wüthriche gebrochen. Die Gebeine des gefeierten Redners und Volksmannes modern an den Ufern der Donau. Das erzählt das Eschbacher Schloß von der Pfingstfahrt der Linken.

Nach fast fünfmonatlicher Abwesenheit von Leipzig war es Robert Blum vergönnt, Mitte August die Seinen wiederzusehen, auf wenige Tage wieder sein Haus zu betreten. Aber nur mit tiefem verhaltenem Schmerz mochte er der Gattin in’s Auge blicken. Sie war im Sommer schwer erkrankt. „Jenny hatte sich mühsam und eben wieder etwas erholt, war aber noch keineswegs wieder gekräftigt. Meine Vermuthung, daß sie die Auszehrung habe, bestätigt sich, und ich weiß wahrlich nicht, ob ich es preisen oder beklagen soll, daß ich hier bin. Zeuge einer Krankheit zu sein, die mit furchtbarer Langsamkeit den Menschen aufreibt, ist entsetzlich; fern zu sein, ist um so entsetzlicher, als bei der Zunahme der Kraftlosigkeit die Kinder natürlich verwildern und den Vater doppelt bedürfen.“ So schrieb er am 29. August von Frankfurt an Mutter und Schwestern.

Natürlich durfte Blum auch in Leipzig nicht auf ein idyllisches Stillleben im Familienkreise hoffen. Tag und Nacht nahmen die politischen Freunde den gefeierten Volksmann in Beschlag mit Versammlungen, Volksfesten, Ehrenbezeigungen aller Art. Was immer das Herz des Mannes mit Stolz und Freude erfüllen kann, hat damals Leipzig seinem Abgeordneten geboten. Noch heute leben jene Festestage, die Robert Blum von der ganzen Bevölkerung der Stadt dargebracht wurden, in der Erinnerung des Volkes; namentlich der gewaltige Fackelzug, der an seinem bescheidenen Hause in der Eisenbahnstraße vorüberwallte, über eine Stunde lang, mit zehntausend Fackeln; noch unvergessener ist die Rede, die Blum am 16. August 1848 im Garten des (alten) Schützenhauses vor zehn- bis zwölftausend Hörern hielt. Er gab hier einen Rechenschaftsbericht über sein Verhalten im Vorparlament, im Fünfzigerausschuß und der Paulskirche. „Ich beginne damit,“ sprach er, „daß ich nach langer Abwesenheit einen herzlichen Gruß an Sie richte, den Gruß, den man den Seinen bringt (Stimmen: es lebe Blum!) bei endlichem Wiedersehen. Eine gewaltige Zeit ist in unserm Vaterlande dahingegangen, seit wir uns nicht gesehen. In dem Gesetze, welches die Vertreter des Volkes schaffen und feststellen sollen, sehen meine Genossen und ich die Bürgschaft der Einheit unseres Vaterlandes, basirt auf die einzig dauernde Grundlage der Freiheit, durch welche die Größe und Kraft eines Volkes allein wachsen und gedeihen kann.“ Er schildert dann, wie er von Anfang an im Sinne dieser gesetzlichen Entwickelung in Frankfurt gewirkt habe gegen die Reaction wie gegen die Anarchie, wie ihn das Vertrauen des Fünfzigerausschusses nach Köln, Coblenz, Aachen, Mainz etc. als Commissar gesandt habe, um dort nach blutigen Empörungen „die Einheit, das Recht und den Frieden zu befördern, und diejenigen, die mich gesandt hatten, waren mit mir zufrieden“. Nachdem er dann aller wichtigen Beschlüsse der Nationalversammlung gedacht und seine und seiner Partei Haltung in derselben beleuchtet hatte, schloß er: „So also werde ich fortfahren. Ich werde festhalten an der Einheit, die ruht auf der Freiheit, an der einzig haltbaren Grundlage und an der Beförderung des Volkswohls nach meinen Kräften. Die Grundzüge meines Handelns stehen fest, und ich werde nicht von ihnen wanken. Das ist ein schlechter Soldat, der sich zurückzieht vom Schlachtfelde, weil er eine Niederlage erhalten hat. (Allgemeiner Applaus.) Die Linke wird die Paulskirche nicht verlassen; sie wird bleiben und aushalten, wie der Würfel auch fallen möge; sie wird immer auf’s Neue kämpfen für ihre Ansicht. Aber sie wird und muß sich auch fügen der Mehrheit und ihren Beschlüssen. Was einmal die Mehrheit gewollt hat, das ist Gesetz und die Linke wird dasselbe anerkennen als heiligen Willen der Nation, deren Vertreter es gegeben. (Großer Beifall.) Und so scheide ich von Ihnen, geehrte Mitbürger, mit der offenen Darlegung meines Bekenntnisses und der heiligsten Versicherung, das Wohl des Volkes, die Freiheit und Einheit des Vaterlandes zu vertreten nach Kräften und, wenn es die Zeit erfordert, freudig Gut und Blut dafür aufzuopfern.“

So tief die Wirkung dieser Rede, dieser Feste war, so hat doch Robert Blum’s Reise nach Leipzig ihren wahren eigentlichen Zweck, den nämlich: die mehr und mehr aus einander fallenden demokratischen und fortschrittlichen Elemente Leipzigs und des Landes sämmtlich, wie ehedem, unter Blum’s Führung zu vereinigen und an seinen guten Namen zu fesseln, nicht erreicht. Als er Sachsen Ende März verlassen, war sein Einfluß unter den politischen Männern des Landes bei weitem der größte gewesen. Die Wahlsitze im Landtag, im Parlament wurden damals beinahe ausschließlich von ihm vergeben. Nur vier bis fünf entschiedene Anhänger der Erbkaiserpartei sandte Sachsen in’s Parlament. In Leipzig vollends war Blum’s Einfluß im März 1848 fast dominirend. Sein Leipziger Blatt, das sich mit der Revolution des Jahres 1848 wieder „Vaterlandsblätter“ nannte, war die gelesenste politische Zeitung des Landes. Von Frankfurt aus wirkte er außerdem durch die von ihm dort mit Günther begründete „Deutsche Reichstagszeitung“. Die von ihm in’s Leben gerufenen sächsischen „Vaterlandsvereine“ waren im März zu einer einheitlich organisirten, im ganzen Lande nach seinem Willen einheitlich und energisch handelnden Macht im Staate geworden.

Das Alles war in den wenigen Monaten seiner Frankfurter Abwesenheit in’s Schwanken gerathen. Denn erstes war an dem Bewußtsein, die große Mehrheit des Frankfurter Parlaments hinter sich zu haben, in Leipzig die gemäßigt liberale Partei, die fest und bestimmt auf ein monarchisches Oberhaupt aus dem preußischen Herrscherhause hinsteuerte, immer mehr erstarkt, und im Parlament saßen ihre Mitglieder Biedermann und Koch, der spätere gefeierte Bürgermeister Leipzigs. Auch die Fehler der politischen Haltung der Linken in Frankfurt erhöhten den Einfluß dieser „Deutschen Partei“ in Leipzig und im Lande täglich. Schon Anfang Juli war von dieser Partei, die ihre Agitation durch die „Deutschen Vereine“ über das Land spann, bei der Nationalversammlung eine mit 9600 Unterschriften bedeckte Adresse überreicht worden, welche sich gegen die Republik aussprach. Diese eine Thatsache schon hatte Blum bereits am 6. Juli 1848 einen Brief „an die Generalversammlung der Sächsischen Vaterlandsvereine zu Dresden“ entlockt, der trotz aller Zuversicht in die Gesinnung der Adressaten doch deutlich zeigt, wie ernst Blum die Gefahr ansah, welche die „Deutschen Vereine“ seinem politischen Einflusse bereiteten, und mit welchen Mitteln er dagegen zu operiren gedachte. Es sollte der Trumpf des republikanischen Particularismus gegen das Project des Erbkaiserthums der Mehrheit des Frankfurter Parlaments ausgespielt werden.

Nun, da Blum in Leipzig am 16. August sein Verhalten vertheidigt, sprachen die Führer des „Deutschen Vereins“ in Leipzig im Tageblatte in einer öffentlichen „Erklärung“ vom 18. August offen aus, warum sie mit dem Vertreter Leipzigs im Parlament unzufrieden seien und die Versammlung im Schützenhause nicht besucht hätten. Der Vorwurf „undeutscher Gesinnung“, der hier gegen Blum erhoben wurde, war gewiß unberechtigt, aber im Uebrigen traf die kurze Erklärung scharf und schneidend die Fehler seiner Parteipolitik. Blum’s sehr umfangreiche Entgegnung („Offener Brief“) aus Frankfurt vom 25. August 1848 widerlegt mit Glück, was zu widerlegen war, den ungerechten Vorwurf undeutscher Gesinnung. Aber dem Unparteiischen wird kaum entgehen,

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