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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Jetzt hielt er sich nicht länger; seine Arme umfaßten sie und zogen sie fest, fest an sein wildschlagendes Herz:

„Jane, so liebst Du mich? So bist Du mein – mein Weib!“

Sie richtete sich auf, ihr Gesicht sah wie verklärt aus:

„Ich wollte es nie und nimmer gestehen – nun mag’s drum sein. Braucht man sich zu schämen, wenn man das Hochstehende, das Gewaltige verehrt? Mögen sie es Alle wissen, damit sie nicht wieder wagen wollen, den Altar zu stürzen, auf dem Ihr Bild steht!“

Sie trat von ihm zurück und faßte Gottlieb’s Hand:

„Sieh Vater, um den Mann da, der herb und kurz mit mir war und vor dem ich mich doch beugen mußte, wie vor einer Gottheit, habe ich den Conrad verschmäht, und jetzt erkläre ich, daß ich nie –“

„Halt ein!“ rief Ehrenfried’s jauchzende Stimme, „nicht weiter, Gratiana! Sprich kein Gelübde aus, das Du nicht halten darfst, weil Du mein bist! Vater Gottlieb, Ihr wolltet einen Bergmann zum Sohne – da steht ein solcher vor Euch – wollt Ihr mich?“

„Dein Weib?“ flüsterte das Mädchen, während Gottlieb stumm auf die Beiden blickte, „nein, Deine Magd!“ aber wieder konnte sie nicht ausreden, denn Ehrenfried hatte sie auf’s Neue an seine Brust gezogen.

Der alte Gottlieb nahm seine Mütze ab und setzte sie wieder auf; endlich fragte er schüchtern die Umstehenden:

„Ist denn das wirklicher Ernst – und der da will mein Schwiegersohn werden? Leibhaftig, wie er da ist? Und gestern habe ich noch behauptet, daß kein Professor sie würde zum Weib haben wollen. Die Welt ist curios, aber da ist meine Hand – ‚Glück auf, Glück auf‘ – viel Worte mache ich nicht, das wißt Ihr.“

Der Baron Negris wurde an der Gruppe vorübergeführt.

„Komm’, Jane!“ sagte Ehrenfried und folgte mit ihr dem kleinen Zuge, der nach dem Zimmer des Schützers ging.

Dort ließ man den Beschädigten bis zur Ankunft des Arztes ausruhen. Gratiana am Arm, trat der Professor zu ihm heran und nahm die gesunde Hand in die seine.

„Ich bedaure Ihren Unfall von ganzem Herzen – vielleicht trug die Aufregung, in welcher Sie sich befanden, mit Schuld an demselben, was ich besonders beklage. Dennoch konnte ich Ihnen vor der Einfahrt noch nicht sagen, was ich jetzt thue: ‚Hier ist meine Braut‘; sie trägt diesen Namen erst seit wenigen Minuten.“

Eine peinliche Verlegenheit malte sich in den Zügen des jungen Mannes.

„Ah, das ahnte ich nicht –“

„Aber,“ fiel ihm Ehrenfried in’s Wort, „Sie erklären sich doch wohl daraus mein Benehmen. Ich bekenne ganz offen, daß etwas Eifersucht –“

„Ich habe um Verzeihung zu bitten – Sie und Fräulein Jeanne,“ fuhr der Akademiker fort.

Das Mädchen legte ihre Finger in seine ausgestreckte Hand; der Baron berührte sie mit einem ehrfurchtsvollen Kusse, und dann verließ Ehrenfried mit Jane das Gemach.

„Was nur die Großmutter, der Conrad und der Lehrer sagen werden?“ fragte Gottlieb, welcher hinter dem Paare drein schritt. „Am Ende ist das Bücherlesen doch nichts so Unrechtes gewesen, denn schwatzen hat sie dadurch gelernt – nein, was die Alle nur sagen werden?!“

Weder Ehrenfried noch Gratiana hatten eine Antwort; sie gingen stumm neben einander; nur dann und wann trafen sich ihre Blicke, und die sagten mehr, als Worte vermocht hätten.




Der Schnee lag so hoch im December, daß man vor den niedern Bergmannshäusern förmliche Gänge aufschaufeln mußte. Vor den Fenstern bildete sich dadurch eine Art weißer Mauer. Auch für den heutigen kleinen Brautzug war über den Marktplatz hin ein besonderer Weg gemacht worden, und Kinder hatten in das frische Weiß Tannengrün und einige bunte Blumenblätter gestreut, die jetzt die Füße der aus der Kirche strömenden Neugierigen vollends zertraten. Darüber aber war nur eine Stimme in dem Publicum, bei Männern wie Frauen, daß man noch nie solch rührender Trauung beigewohnt habe. Und obgleich die Gottlieb’s „Jane“ eine so vornehme Heirath gemacht, war Alles einfach gewesen, wie bei jeder Bergmannshochzeit; sie hatte sich gar nicht überhoben – das mußte die böseste unter allen scharfen Harzzungen anerkennen.

Unten in Großmutters Stübchen versammelte sich die kleine Gesellschaft beim Hochzeitsmahle; es waren lauter glückliche Gesichter, die auf das junge Ehepaar blickten, selbst die Großmutter, in deren Herzen schon das Abschiedsweh lauerte, sah heiter aus. Herr Anton führte das größte Wort am kleinen Tische; Vater Gottlieb schwieg vor solch wohlgesetzten Reden; Conrad war roth vor Verlegenheit und drückte nur dann und wann seiner Braut, die das Liebesglück wunderbar verschönt hatte, die Hand, und Baron Negris, dessen Arm aus der Schlinge befreit war und welcher der Braut einen weißen Camelienstrauß aus der Residenz geschenkt hatte, stieß sehr häufig mit dem Brautvater an.

„Euch würde ich schon in’s Haus nehmen,“ flüsterte ihm Großmutter zu, „da oben in die Professorstube – aber das Haus muß leer bleiben, denn im Sommer kommen die Kinder hierher; sehet, daran muß ich doch denken.“

Herr Anton hatte zur Feier des Tages den grünen Augenschirm abgelegt und sah in der blauen Brille recht vornehmfeierlich aus. Jetzt stand er auf und hielt eine Rede.

„Auch heute,“ sagte er, „selbst ehe wir des Ehepaares Gesundheit trinken, müssen wir unseres alten Spruches gedenken:

‚Es grüne die Tanne, es wachse das Erz,
Gott schenke uns Allen ein fröhliches Herz!‘

Der Harzspruch hat sich wunderbar an dem jungen Gatten erfüllt – er weiß es am besten – er kam weltmüde und traurig und geht mit ‚fröhlichem Herzen‘. Stoßt an: ‚Gott schenke uns Allen ein fröhliches Herz!‘“

Dieser Probe von Herrn Anton’s Rednergabe folgten noch viele andere, und es wurde immer lustiger in dem kleinen Kreise. Plötzlich kam die Großmutter feierlich zu der jungen Frau heran.

„Sieh, Jane, ich lasse Dich auch fröhlichen Herzens ziehen, so schwer mir der Abschied schon wird, aber – na, das Bild, das wir für Ehrenfried’s Liebste hielten, das hänge ich, da er’s mir einmal geschenkt hat, hier unten auf, und dabei denke ich jeden Tag an Dich. Was ich hier bringe, das hab’ ich absichtlich bewahrt – seit langen Jahren. Das sind die ersten Kinderschuhe, die Du selber gestrickt hast und die ich nicht verkaufen wollte – heb’ sie auf, Kind!“ Und eine Thräne im Auge ging sie davon.




Die römische Campagna.

Die Blicke nach Rom zu richten, ist immer zeitgemäß; bei keiner Stadt der Welt, selbst Paris nicht ausgenommen, bedarf es so wenig einer besondern Gelegenheit, um das Interesse der Leser dorthin zu lenken, wo Alles, was Herrschaft, Glaube, Kunst, Natur und Geschichte Gewaltiges und Fesselndes zubieten vermögen, in unvergleichlichem Maße vor Aller Augen liegt. Eng zu Rom gehört die römische Campagna.[1] Unter der „Campagna di Roma“ versteht man die weitgedehnte Ebene, welche von den prächtigen Sabinerbergen, von den ausgebrannten Kratern der Albanerhügel und von den Höhen, welche die Grenzscheide des alten Etrurien bilden, auf drei Seiten eingeschlossen wird, während die vierte, die südwestliche Grenze, das Meer bildet. Nur sehr uneigentlich kann man diesen Landstrich eine Ebene nennen; denn er besteht aus einer Menge zwar niedriger, aber in verschiedenen Richtungen laufender Hügelketten, Thäler und Schluchten, durch welche in zahllosen

  1. Bekanntlich liegt dieses ehemalige Parkgefilde Roms nicht blos in Folge der Kriegszerstörungen jener Gegenden, sondern auch deshalb in weitesten Strecken öde und wüst, weil der größte Theil der Ländereien Eigenthum der Kirche, etwa ein Drittel im Besitz von einundsiebenzig fürstlichen Familien und nur der geringe Rest das Besitzthum von ungefähr siebenzehnhundert Bewohnern ist. Seitdem das Mißregiment des Kirchenstaats aufgehört hat, erheben sich in ganz Italien die Stimmen dafür, daß die Campagna der „todten Hand“ und damit seinem Wüstenzustand entrissen werden müsse. Da dieser Gegenstand jetzt häufiger zur Besprechung kommen dürfte, halten wir es für unsere Pflicht, unsere Leser schon jetzt mit Wort und Bild in jenes verlorene und so schwer wieder zu gewinnende Paradies zu führen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_636.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2018)